Spanien

Auf der Spur des Rimon

»Es sei Dein Wille, unser Gott und Gott unserer Väter, dass wir voll von Mizwot sind wie ein Granatapfel voller Kerne», sagt man zu Neujahr, bevor man auf die fleckengefährlichen, aber leckeren Kerne beißt. Exakt 613 sollen es sein, heißt es in den Schriften, auch wenn die Biologen jetzt widersprechen und sagen, dass die Kernzahl bei jedem Granatapfel (Rimon) variiert.

Wie dem auch sei, keine Frucht steht so sehr für Rosch Haschana wie der Granatapfel, und keine Stadt hat davon mehr zu bieten als das südspanische Granada. Auf Kacheln an Häuserwänden und auf Straßenschildern, in alten Stein gehauen und auf moderne Beton-Poller gedruckt, dekorativ in schmiedeeisernen Zäunen und urban auf Gullydeckeln, auf Souvenirs und im Stadtwappen. Und schließlich wachsen überall die Bäume, die der Stadt einst ihren Namen gegeben haben – heißt Granada doch nichts anderes als Granatapfel auf Arabisch.
Die Geschichte der Frucht, die nicht nur zu den «Simanim» an Rosch Haschana, sondern auch zu den «Schiwat Haminim» gehört, den «Sieben Arten», für die das Land Israel gepriesen wird, ist in dieser Stadt so süß-sauer wie ihr Geschmack selbst. Von einst einzigartiger Koexistenz der drei Religionen unter muslimischer Herrschaft bis zum Horror der Spanischen Inquisition unter den «Katholischen Königen».

Die Mauren gaben einer Siedlung am Fuße des Hügels, auf dem heute die Alhambra thront, den Namen Garnata-al-Yahud, «Granada der Juden».

Natürlich gibt es mehr als eine Legende über die Entstehung Granadas. Die jüdische Variante besagt, dass Juden, die nach der Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem auch nach Südspanien flohen, unter anderem Samen des Granatapfelbaums mitbrachten, der sich hier bis heute so wohlfühlt. Als nach Römern, Vandalen und Goten 711 die Mauren die Region eroberten, sollen sie einer vorgefundenen Siedlung am Fuße des Hügels, auf dem heute die Alhambra thront, den Namen Garnata-al-Yahud gegeben haben, «Granada der Juden». Heute heißt dieser Teil der Altstadt El Realejo, ist als jüdisches Viertel bekannt und gilt mit seinen stimmungsvollen Gässchen als Touristenmagnet, wovon Tapas-Bars und Cafés zeugen.

Das erste Pogrom auf europäischem Boden

Die maurische Herrschaft unter den Omajaden und Ziriden wird als Goldenes Zeitalter für das Judentum in Andalusien erinnert – auch wenn es unter Letzteren 1066 zum ersten Pogrom auf europäischem Boden kam. Wissenschaft, Kunst und Handel blühten über Jahrhunderte hinweg. Doch alles endete in der unvorstellbaren Brutalität der Umsetzung des «Edicto de Granada», auch Alhambra-Edikt genannt. Im März 1492, nach der Vertreibung der Mauren, von den katholischen Herrschern Isabella von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón erlassen, drohte es Juden mit dem Tode, wenn sie nicht sofort aus Spanien verschwinden würden oder sich taufen ließen. «Das Jahr von Spaniens größter Schande» nannte es damals der jüdische Schatzmeister und Philosoph Issac Abravanel.

Bereits unter den Almohaden hatte in den 1150er-Jahren die Zerstörung jüdischer Kultur in Andalusien begonnen. Mit der Spanischen Inquisition endete sie. Eine funktionstüchtige Synagoge gibt es im heutigen Granada nicht. Zum Rosch-Haschana-Gottesdienst müssen die Juden der Stadt mehr als zwei Stunden nach Málaga fahren. Eindeutig zuzuordnende Bauwerke sind ebenso verschwunden, die Häuser im Realejo von heute haben mit denen von damals wenig zu tun. Aber die Straßenführung sei noch ähnlich, heißt es.

Die Geschichte der Frucht ist in dieser Stadt so süß-sauer wie ihr Geschmack selbst.

Doch wer auf Spurensuche durch Granadas «jüdisches Viertel» wandert, wo an der Kreuzung Pavaneras, San Matías und La Colcha immerhin eine Statue des 1120 in Granada geborenen jüdischen Arztes, Philosophen, Dichters und Gründungsvaters der professionellen Übersetzung Jehuda Ibn Tibbon steht, kann mithilfe spezialisierter Stadttouren, dank der «Casa de las Granadas» und kraft der eigenen Fantasie erahnen, wie es hier wohl einst aussah.

Bedeutende Persönlichkeiten wie der einstige Dichter und Wesir Samuel HaNagid

Das Granatapfelhaus, auch Sefardisches Erinnerungszentrum genannt, ist ein familiengeführtes privates Museum, das mit seiner eigenen Sammlung versucht, das Leben jüdischer Familien im Granada vor der Inquisition nachzubilden. Alltägliche und rituelle Gegenstände werden auf kleiner Fläche genauso prä­sentiert wie wissenschaftliche Erkenntnisse oder die Geschichten bedeutender Persönlichkeiten: der einstige Dichter und Wesir Samuel HaNagid, der Philosoph Moses Ibn Esra und eben Tibbon. Es gibt auch eine Bibliothek, in der Kochbücher von damaligen Rezepten berichten. Denn ja, die Häscher der Inquisition ließen Menschen auch wegen der Verwendung «jüdischer Rezepte» auf dem Scheiterhaufen verbrennen.

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Wieder auf der Straße, kann immerhin der Blick auf die nordwestlichen Ausläufer der Sierra Nevada, auf deren Gipfeln im Frühling noch Schnee liegt, während die ganze Stadt schon vom Orangenblütenduft erfüllt ist, etwas von der Grausamkeit der Geschichte dieses Ortes ablenken. Und ein Gedicht von Samuel HaNagid, dessen Zeilen fast 1000 Jahre später sogar in Israels Popmusik Eingang gefunden haben, feiert das, was einmal war, mit dankenswerter Leichtigkeit und Süße: «Komm heraus und sieh das Morgenlicht wie einen scharlachroten Faden im Osten / Beeil dich, bevor die Morgendämmerung anbricht / Gib mir einen Becher mit gewürztem Granatapfelsaft / Aus der duftenden Hand eines Mädchens, das Lieder singen wird.»

Das neue Jahr wird auch süße Seiten haben, man muss sie nur sehen. Schana towa!

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