Nachruf

Architekt der Entschädigung

Saul Kagan sel. A. (1922–2013) Foto: Judith König

Am vergangenen Wochenende ist ein großer Mann des jüdischen Lebens von uns gegangen. Mit 91 Jahren ist Saul Kagan sel. A., der langjährige geschäftsführende Direktor und Seniorberater der Claims Conference, nach schwerer Krankheit gestorben. Wer nach Details seiner Vita fragt, wird kaum Antworten erhalten. Saul Kagan war ein Mann von größter persönlicher Bescheidenheit, der ausschließlich im Interesse der ihm Anvertrauten handelte. Die eigene Leistung galt ihm nichts, das Erreichte und noch zu Erreichende für die Überlebenden alles.

Eben dies machte die wahre Größe von Saul Kagan aus, dessen Lebenswerk auf dem Gebiet der Entschädigung von NS-Unrecht zweifellos historische Dimension besitzt: Er war der Architekt des überaus komplexen, mühsam errungenen und langwierigen Konstruktes, das unter dem irreführenden Begriff der »Wiedergutmachung« Eingang in die Geschichtsschreibung gefunden hat. Seine Arbeit hat entscheidend dazu beigetragen, dass Hunderttausende Holocaust-Überlebende kollektive und individuelle Entschädigung in Form von Sachgütern, Dienstleistungen und finanziellen Leistungen erhalten konnten.

weltkriege Saul Kagan wurde zwischen den Weltkriegen im damals polnischen Wilno geboren und gelangte noch vor den Massenmorden nach Amerika. Als amerikanischer Staatsbürger trat er in die US-Armee ein, landete 1944 in der Normandie und erlebte in der Folge die Befreiung von Konzentrationslagern durch die US Army. Das Ausmaß des Grauens und der Entmenschlichung, das die europäische Judenheit durch Deutsche erlitten hatte, sollte seinen weiteren Lebensweg für immer prägen.

Im Auftrag der amerikanischen Militärregierung untersuchte er zunächst die Rolle, die deutsche Banken bei der sogenannten Arisierung jüdischen Eigentums gespielt hatten. Die Untersuchungsergebnisse fanden Eingang in die bekannten OMGUS-Berichte, deren Mitverfasser er war.

militärdienst In Kenntnis des Ausmaßes der Ausplünderung ließ Kagan sich von General Lucius Clay vom Militärdienst freistellen, um in den darauffolgenden Jahren für die Jewish Restitution Successor Organisation (IRSO) zu arbeiten, die mit der Rückführung geraubter jüdischer Vermögenwerte betraut war. Eine Freistellung, von der Saul Kagan gerne sagte, dass sie für den Rest seines Lebens wirksam gewesen sei.

Als 1951 Bundeskanzler Konrad Adenauer Bereitschaft signalisierte, über deutsche Entschädigungsmaßnahmen zu verhandeln, kamen in New York Vertreter der wichtigsten internationalen jüdischen Organisationen zusammen und riefen die Conference on Jewish Material Claims Against Germany ins Leben. Saul Kagan leitete die Dienstgeschäfte der Organisation und war beteiligt an den Verhandlungen, die in der Folge zu den Luxemburger Abkommen führten.

hilfsgelder Neben einem Entschädigungsabkommen mit dem Staat Israel sahen die Verträge eine Zahlung in Höhe von 400 Millionen US-Dollar an die Claims Conference vor sowie die Verpflichtung des deutschen Staates, für individuelle Entschädigung Sorge zu tragen. Saul Kagan übernahm die Verteilung der Hilfsgelder, die für Um- und Ansiedlungsprogramme, schulische und berufliche Ausbildung junger Überlebender, aber auch für den Neuaufbau jüdischen Lebens in den zerstörten Gemeinden eingesetzt wurden.

Unter Kagans Ägide wurden schon in den 50er- und 60er-Jahren Verhandlungen mit deutschen Großunternehmen über die Entschädigung ehemaliger Sklavenarbeiter geführt und die verhandelten Beträge verteilt. Große Verdienste erwarb sich Saul Kagan bei der Entschädigung der mittel- und osteuropäischen Holocaust-Überlebenden, die aus politischen Gründen von den deutschen Entschädigungszahlungen ausgenommen waren. Die unter seinem Vorsitz verhandelten Härtefonds von 1980, 1992 und 1998 ermöglichten zumindest eine späte materielle Teilkompensation für diese benachteiligte Opfergruppe.

Saul Kagan hatte vielfältige Interessen. Die Beherrschung von sechs Sprachen erschloss ihm den europäischen wie den amerikanischen Bildungskanon. Er war ein Liebhaber bildender Kunst und klassischer Musik. Die deutsche Politik war ihm bis auf die Landesebene bestens vertraut. Sein zutiefst menschliches Engagement jedoch galt ohne jede Einschränkung denen, die die mörderischen Gräuel der NS-Verfolgung überlebt hatten. Unsere Welt ist ein Stück ärmer ohne ihn.

Großbritannien

Ärztin wegen antisemitischer Agitation festgenommen

Dr. Rahmeh Aladwan wurde vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen, weil sie die Hamas-Verbrechen vom 7. Oktober verherrlicht hatte. Nun muss der General Medical Council über ihre Approbation entscheiden

von Michael Thaidigsmann  22.10.2025

Regierungsrätin und Vorsteherin der Gesundheitsdirektion Natalie Rickli lehnte die unverbindliche Anfrage des Bundes ab, 20 Kinder aus Gaza in der Schweiz aufzunehmen.

Schweiz

Kinder aus Gaza bald in Zürich?

In der Schweiz wird eine politische Debatte darüber geführt, ob verletzte Kinder aus dem Gazastreifen aufgenommen werden sollen

von Nicole Dreyfus  22.10.2025

Mexiko

»La Doctora« liefert

Die Sozialdemokratin und Physikerin Claudia Sheinbaum ist seit einem Jahr Präsidentin. Eine erste Bilanz

von Michael Ludwig  21.10.2025

Charlotte (North Carolina)

Schachgroßmeister Daniel Naroditsky mit 29 Jahren gestorben

Das Charlotte Chess Center würdigt ihn als »herausragenden Schachspieler, Lehrer und geliebten Freund«

 21.10.2025

Nachruf

Abschied von einer starken Frau

Die tschechische Zeitzeugin Dita Kraus ist im Alter von 96 Jahren in Jerusalem gestorben

von Barbara Bišický-Ehrlich  21.10.2025

Großbritannien

König Charles besucht Synagoge von Manchester

Nach dem Anschlag an Jom Kippur, bei dem zwei Gemeindemitglieder getötet wurden, drückte der Monarch seine Anteilnahme aus

 20.10.2025

Israel

WIZO trauert um Ehrenpräsidentin Tova Ben-Dov

Sechs Jahrzehnte lang widmete sie sich der WIZO. Nun ist Tova Ben-Dov im Alter von 88 Jahren in Israel gestorben

 20.10.2025

Meinung

Warum ich Angst vor der politischen Linken habe

Dass Links bedeutet, sich für mit sozialem Gewissen für die Schwachen einzusetzen, gehört längst der Vergangenheit an

von Michel Ronen  20.10.2025

Florida

»Die Zeit der ungestraften Israel-Boykotte ist vorbei«

Der US-Bundesstaat geht gegen Israel-Boykotteure weltweit vor: Florida verbietet seinen öffentlichen Einrichtungen die Zusammenarbeit mit Regierungen, Universitäten und Unternehmen, die BDS propagieren

von Michael Thaidigsmann  19.10.2025