Zypern

Aphrodites Kinder

Wenige Kilometer südöstlich der zyprischen Kleinstadt Paphos ragt eine imposante weiße Felsformation ins Meer hinaus. Heute wird sie »Petra tou Romiou« genannt, »Stein der Griechen«. Der antike Geschichtsschreiber Hesiod beschrieb diesen Ort um 700 v.d.Z. etwas poetischer: »Aus dem Meer stieg sie dort, die Ehrfurcht gebietende, schöne Göttin. Blüten sprossen unter den Schritten ihrer Füße.« Gemeint ist Aphrodite, die schönste aller antiken Göttinnen, die an diesem Felsen dem Meer entstiegen sein soll und bis heute auf Zypern verehrt wird.

Obwohl die Insel 1974 in einen von türkischen Zyprern und Festlandtürken besetzten Norden und einen von griechischen Zyprern bewohnten Süden geteilt wurde, hat sie ihre Attraktivität für Touristen in den vergangenen 30 Jahren noch weiter steigern können. Und die bis vor der Inselteilung eher unterentwickelte Region rund um Paphos konnte sich mehr und mehr zu einer wirtschaftlichen Hochburg und einem beliebten Reiseziel entwickeln.

Touristen Dazu haben jüdische Händler und Touristen einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet. Der erste Restaurantbesitzer im Hafen von Paphos, Andreas Nikolaou, erinnert sich gerne daran zurück. »Damals hatte ich vorwiegend israelische Gäste. Die Nähe zu Israel und das gute Klima sorgten dafür, dass Touristen aus Israel Zypern gerne besuchten. Neben den Briten waren sie unsere zweitwichtigsten Gäste.« Bis heute empfängt der 73-jährige Gastronom in seinem Restaurant »Myrra« Gäste aus Israel. Und das, obwohl er längst aus dem touristischen Hafen in die Oberstadt gezogen ist.

Schon seit der Römerzeit lassen sich auf Zypern zahlreiche Nachweise jüdischen Lebens erbringen. Zum Beispiel ist der Babylonische Aufstand 115 bis 117 n.d.Z. ausführlich dokumentiert. Damals soll den Juden per Gesetz verboten worden sein, die Insel jemals wieder zu betreten – als Strafmaßnahme für die Zerstörung der damaligen Inselhauptstadt Salamis, bei der 240.000 Griechen getötet wurden.

Doch laut der Inschrift auf einer Säule aus dem 4. Jahrhundert, die heute im zyprischen Nationalmuseum ausgestellt ist, muss dieses Verbot wieder aufgehoben worden sein. Dort ist von der Renovierung einer Synagoge die Rede, was darauf schließen lässt, dass Juden wieder auf der Insel gelebt haben.

Flüchtlinge Seither erlebte Zypern immer wieder An- und Abstiege jüdischen Lebens, zuletzt mit der Stationierung von geflüchteten Juden aus ganz Europa, die nach 1945 auf ihrem Weg nach Palästina auf der Insel gestrandet waren, weil die festgelegte Emigrationsquote in Palästina ausgeschöpft war. Die letzten von ihnen verließen die Insel Anfang der 50er-Jahre.

Der Titel der Kulturhauptstadt verpflichtet die Organisatoren in diesem Jahr, das historische Erbe von Paphos aufzugreifen und kulturell zu präsentieren. So denkt zumindest die künstlerische Leiterin der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt, Georgia Dötzer, die mit dem geringsten Budget, das jemals für eine europäische Kulturhauptstadt ausgegeben wurde – knapp fünf Millionen Euro –, ein imposantes Kulturprogramm auf die Beine gestellt hat. »Als Kulturhauptstadt haben wir den Fokus auf das Thema Wiedervereinigung gelegt. Wiedervereinigung der kulturellen und religiösen Einflüsse, die unsere Insel geprägt haben«, betont die engagierte Frau immer wieder in ihren Vorträgen.

Jüdische Künstler nehmen deshalb im paphiotischen Kulturjahr ebenso eine wichtige Rolle ein wie die türkisch-zyprischen Künstler aus dem Ostteil der Insel. So war es für Dötzer eine bewusste Entscheidung, den in Großbritannien lebenden jüdischen Künstler John Wassell für die Eröffnungszeremonie zu verpflichten.

Wassell hat sich in den vergangenen Jahren mit seinem künstlerischen Wirken für große Tanz- und Musikprojekte weltweit einen Namen gemacht. Gemeinsam mit seiner Performance-Gruppe »Walk the Plank« stellte er ein variantenreiches Eröffnungsprogramm auf die Beine. Darin gab es für jeden Geschmack etwas: moderne Tanzperformance mit professionellen Tänzern und zyprischen Schülern zu griechischer Musik, Theaterspiel, Feuerspektakel und Luftakrobatik.

Zur Erinnerung an die geflüchteten Juden nach dem Zweiten Weltkrieg war vor Kurzem auch eine Ausstellung mit Handarbeiten aus den damaligen jüdischen Camps zu sehen. Und erst vor wenigen Tagen hat der weltbekannte russischstämmige Pianist Vladimir Ashkenazy gemeinsam mit seinem Sohn Vovka sein Können im antiken Odeon von Paphos mit Smetanas Moldau, Schuberts Divertimento a l’Hongroise, op. 54, Ravels Rapsodie espagnole für zwei Pianos und Rachmaninows Suite No. 1, op. 5 vor vielen, auch jüdischen, Gästen unter Beweis gestellt.

Steuern Als der israelische Botschafter in Nikosia, Shaul Bar Haim, im Jahr 1970 zu seinem amerikanischen Amtskollegen David Popper sagte: »Cyprus is Israel’s nearest window to the outside world«, konnte er nicht ahnen, wie sehr sich seine Aussage heute bewahrheiten würde. Denn während 1966 noch etwa 7000 israelische Touristen die Insel der Aphrodite besuchten, werden in diesem Jahr mehrere Zehntausend israelische Gäste erwartet.

Das schätzt zumindest Dika Smith. Die israelische Maklerin hat vor elf Jahren ihren Lebensmittelpunkt nach Paphos verlegt und hilft heute Juden in einem »Umsiedlungsprogramm«, auf Zypern sesshaft zu werden. Als Smith 2006 nach Zypern kam, lebten ihrer Einschätzung nach nur wenige Hundert Juden verstreut auf der Insel. Nach der Inselteilung 1974 gab es die erste Zeit so gut wie gar kein jüdisches Leben mehr auf Zypern. »Inzwischen wächst ihre Zahl immer weiter an. Die meisten kommen zunächst als Touristen. Doch es sind zwei Altersgruppen, die sich immer mehr für ein Leben auf Zypern interessieren: Rentner und junge Familien«, sagt Smith.

Vor elf Jahren gehörte sie mit ihrem nichtjüdischen Mann und den beiden Kindern noch zu einer Minderheit. Bis vor drei Jahren lebten im Großraum Paphos neben den Smiths nur noch zwei andere jüdische Familien. »Seitdem hat sich die Situation enorm verändert«, erklärt die junge Frau, während sie sich das neue Logo ihrer Firma anschaut. Heute leben circa 120 jüdische Familien rund um Paphos. 620 Familien, also 3000 Juden, zählt man insgesamt auf der gesamten Insel, Tendenz steigend.

Chabad Ähnlich schätzt die Lage der 30-jährige Rabbi Yizcak Zev Eisenbach ein, der erst vor zwei Monaten mit seiner Familie nach Paphos umgezogen ist und dort das neue Chabad-Haus im Zentrum der zyprischen Kleinstadt führt. Rabbi Eisenbach ist Israeli, hat aber die letzten sieben Jahre in Hongkong gelebt. »Ich bin gekommen, weil Zypern für uns an Bedeutung gewinnt. Wir sehen voraus, dass es ein Ort sein wird, in dem immer mehr Juden leben werden.

Auch in den anderen zyprischen Städten haben junge Rabbiner die Leitung der Gemeinden übernommen. Rabbi Eisenbach widmet sich voll und ganz der Aufbauarbeit seiner Gemeinde in Paphos, die mit einem Zentrum, einem Chabad-Haus, einem Gebetshaus und einem Koscher-Restaurant ausgestattet ist. Zudem gibt der Rabbi Tora-Unterricht und kümmert sich darum, dass es immer Mahlzeiten zum Schabbat gibt.

Für die Maklerin Dika Smith ist es vor allem das Steuersystem auf Zypern, dass den Aufbau einer eigenen Firma leicht macht: »Kaufst du ein Haus über 200.000 Euro, zahlst du keine Steuern und bekommst die zyprische Staatsbürgerschaft. Wenn dein Jahreseinkommen unter 19.000 Euro liegt, wirst du von der Steuer befreit. Und als Firmeninhaberin zahle ich auf mein Einkommen nur 12,5 Prozent Steuern.«

Obwohl solche Bedingungen ein Leben auf Zypern begünstigen, brauchte diese Entwicklung ihre Zeit. Zypern galt nach 1974 zunächst als bevorzugte Zweitheimat von europäischen Rentnern, darunter auch Juden, die in den meisten Fällen aus England hergezogen waren. Darüber hinaus waren es jüdische Geschäftsleute, die, dem Steuersystem sei Dank, erfolgreich auf der Insel Handel betrieben oder ihren Firmensitz ganz nach Zypern verlegten.

Potenzial
Als Oberrabbiner Arie Seev Raskin 2002 zum ersten Mal Zypern besuchte, erkannte auch er das große Potenzial, das sich auf der Insel für Juden bot: die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen, die erleichternde Steuerlandschaft, die geringen Lebenshaltungskosten im Vergleich zu Israel, Europa und Amerika, aber vor allem die Nähe zu Israel. Knapp 500 Kilometer ist die israelische Küste von Zypern entfernt. Für junge Familien, die ihren Sitz nach Zypern verlegen, ist das ein wichtiges Argument. Sie fürchten potenzielle Anschläge in Israel, wollen aber nicht weit weg von Eltern und Verwandten sein. »Niemand kommt wegen des wunderbaren Klimas nach Zypern«, meint Raskin.

Der Oberrabbiner blieb, um den Juden eine Anlaufstelle zu geben. Dabei hatte man ihn vor den Schwierigkeiten seines Vorhabens gewarnt, erinnert er sich. »Rabbi, du hast eine junge Familie, was willst du hier machen? Wir kriegen nicht einmal zehn Juden zu einem Gebet an den Hohen Feiertagen zusammen«, erzählten ihm die Älteren in der Hauptstadt Nikosia. »Glaubst du, du kannst es schaffen, die Juden zusammenzuschließen?« Und doch hat der hochgewachsene junge Mann mit dem schwarzem Anzug und der roten Krawatte etwas geschafft, was damals niemand für möglich gehalten hatte.

Bereits ein Jahr später hatte Arie Seev Raskin zu Pessach 100 Leute zum Gebet in der Gemeinde versammeln können. 2005 wurde dann die erste Synagoge in Larnaca vom damaligen aschkenasischen Oberrabbiner Yona Metzger aus Israel eingeweiht und Raskin selbst deren Oberrabbiner. Arie Seev Raskin ist Chabadnik, aber Respekt verschaffte er sich, weil er ein Zentrum für alle Juden auf Zypern schaffen wollte. Heute begegnen sich in den Räumen des Gemeindehauses Aschkenasen und Sefarden zum gemeinsamen Gebet.

Raskins Engagement ist es zu verdanken, dass inzwischen noch fünf weitere jüdische Gebetshäuser auf Zypern entstanden sind. In Hauptzentrum von Larnaca hat der Oberrabbiner gerade mit dem Bau einer Mikwe begonnen – mit Spendengeldern auch von Nichtjuden, erklärt er dankbar. Der Rabbi glaubt, dass es diese Hilfsbereitschaft der Zyprer ist, die Juden die Entscheidung, auf Zypern zu leben, leicht macht.

Pessach Die Bemühungen, jüdisches Leben auf Zypern zu fördern und für die Insel zu werben, sind für den Rabbi und alle Verantwortlichen der Gemeinde zu einer wichtigen Aufgabe geworden. »Die Zyprer pflegen seit Jahrzehnten gute Beziehungen zu Israel. Beinahe jeder Zyprer kann von jüdischen Freunden in Israel berichten. Und umgekehrt«, erklärt Raskin zufrieden. »Die Zyprer können zwar keine finanziellen Mittel für Minderheiten bereitstellen, sie helfen aber, wo sie können – auch bei der Gründung eines jüdischen Museums in Larnaca.«

Weil in der letzten Zeit immer häufiger Juden aus USA, England, Israel und Russland die zyprische Staatsbürgerschaft erhalten, will Arie Seev Raskin die Werbetrommel für Zypern rühren. In diesem Jahr haben drei große Reiseveranstalter zu Pessach Tausende Gäste nach Zypern gebracht. Das Hilton in Nikosia war komplett mit jüdischen Gästen belegt. Das Gleiche galt für ein Hotel in Larnaca und auch für das Laura-Hotel in Paphos, das in diesem Jahr von einem jüdischen Investor gekauft wurde.

Rabbi Seev Raskin hat seine Entscheidung, nach Zypern zu gehen, bisher nicht bereut. Der Anstieg der Gemeindemitglieder ist für ihn ein deutliches Zeichen, dass immer mehr Juden ähnlich für Zypern empfinden. Hesiod beschrieb im Altertum, wie Aphrodite vor der südlichen Küste zyprisches Land betritt. Keine Frage, worüber er heutzutage aus Zypern zu berichten hätte.

New York

Ex-Krypto-König Bankman-Fried soll für 25 Jahre ins Gefängnis

Noch vor zwei Jahren wurde Sam Bankman-Fried als Finanzgenie und Galionsfigur einer Zukunftswelt des Digitalgelds gefeiert. Nun soll er als Betrüger mehr als zwei Jahrzehnte hinter Gittern verbringen

von Andrej Sokolow  28.03.2024

Interview

Der Medienschaffer

Der Ausnahmejournalist und Unternehmer Roger Schawinski über Erfolg, Judenhass und den 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  28.03.2024

Nachruf

Joe Lieberman stirbt mit 82 Jahren

Fast ein Viertel Jahrhundert lang setzte er sich als Senator auch für jüdische Belange ein

von Imanuel Marcus  28.03.2024

USA

Bildhauer Richard Serra gestorben

Für mehr als 100 öffentliche Orte schuf er Skulpturen – von Philadelphia und St. Louis bis Bochum und Kassel

 27.03.2024

Moskau

Evan Gershkovich bleibt in Untersuchungshaft

Putin will den inhaftierten US-Journalisten gegen russische Gefangene auszutauschen

 26.03.2024

Glosse

Woher stammt der Minderwertigkeits-komplex vieler Schweizer gegenüber Deutschen?

Und was verbindet die Identitätskarte mit der Rappenspalterei?

von Nicole Dreyfus  25.03.2024

Schweiz

Antisemitismus-Problem an Schulen

Die Zahlen sind erschreckend, doch die Stadt Bern wiegelt ab. Und jüdische Eltern verlieren das Vertrauen

von Nicole Dreyfus  24.03.2024

Großbritannien

»Beste Wünsche für eine Refua Schlema«

Oberrabbiner Sir Ephraim Mirvis und das Board of Deputies wenden sich nach ihrer Krebsdiagnose an Prinzessin Kate

 24.03.2024 Aktualisiert

Jubiläum

Mehr als koscheres Pastrami-Sandwich

New York feiert in diesem Jahr seinen 400. Geburtstag. Eine Reise durch die jüdische Geschichte der Stadt

von Hannes Stein  23.03.2024