Schweiz

»Am Ende ist es mein Kafka«

Weiß, was er will und wo er hingehört: der Zürcher Schauspieler Joel Basman (34) Foto: Alain Picard

»Jede Situation, die du nicht richtig einordnen kannst, ist schon kafkaesk.« Das Zitat stammt nicht von Franz Kafka selbst, sondern von dem, der ihn in der neuen ARD-Serie über den weltberühmten Autor spielt: Joel Basman. Der Zürcher Schauspieler sagt den Satz mit leicht ironischem Unterton, weil er weiß, dass dieser Begriff, der längst Eingang in die Alltagssprache gefunden hat, mittlerweile abgedroschen klingt.

Wer einen der ganz großen Schriftsteller der Moderne darstellt, der sollte ihn auch kennen, und zwar von A bis Z. Joel Basman kannte ihn nicht oder zumindest nur wenig. »Ich hatte ein gefährliches Halbwissen«, gesteht der 34-Jährige, und dann tröpfeln die Stichworte nacheinander in den Raum: »Mittelscheitel, Käfer, und da war noch das Problem mit dem Vater.«

Aber das war noch lange vor dem Serien-Projekt. Inzwischen sind fast zwei Jahre vergangen, in denen Basman es sich zur Vollzeitaufgabe machte, in den Nimbus Kafka einzutauchen, was Knochenarbeit bedeutete, technisch wie intellektuell. »Als das Drehbuch auf dem Tisch lag und klar war, dass ich die Rolle bekomme, war das für mich die Initialzündung.«

Basman setzte sich monatelang eingehend mit Kafkas Werk auseinander. »Dank der Hilfe eines guten Freundes, der auch Deutschlehrer ist, vertiefte ich mich nicht nur in die Denkwelt Kafkas, sondern analysierte auch die Schriften Arthur Schopenhauers und anderer Intellektueller im Kontext Kafkas. Ohne diesen Prozess hätte ich keine Chance gehabt, mir die Rolle Kafkas zu eigen zu machen«, sagt er rückblickend und ist sichtlich erleichtert, dass die Serie nun kurz vor der Ausstrahlung ist.

Kafkas Briefe waren Fluch und Segen zugleich

Ein solches Projekt durchlaufe mehrere Phasen, von der inhaltlichen Auseinandersetzung über die Arbeit mit dem Schauspielcoach, wo Stimme, Gang und Bewegung eintrainiert werden, bis letztlich zum Dreh. Dann muss jedes Lachen sitzen und trotzdem von innen kommen, die Aussprache präzise dialektal gefärbt, der Gang natürlich sein. Eine Figur wie Franz Kafka zu spielen, gehe schauspielerisch mit einer großen Verantwortung einher. »Es gibt weder Ton- noch Videoaufnahmen von ihm. Jede Bewegung resultiert letztendlich aus seinen Briefen heraus.« Kafkas Briefe waren daher für Basman Fluch und Segen zugleich, auch im Hinblick auf diese schauspielerische Präzisionsarbeit, die das Projekt unbedingt erforderte.

Das von David Schalko und Daniel Kehlmann verfasste Drehbuch basiert stark auf dem umfassenden biografischen Werk von Rainer Stach, den Basman hin und wieder konsultierte, wenn Fragen auftauchten. »Aber am Ende ist es mein Kafka, weil ich nicht wusste, wie er wirklich war.« Und das ist Franz Kafka als symbiotische Figur, deren jüdischer Teil auch Gegenstand der Serie ist.

»Noch nie habe ich dieses Gefühl von Zusammengehörigkeit so stark gespürt wie jetzt.«

Für Joel Basman, der fließend Hebräisch spricht, ist es nicht die erste »jüdische Rolle«. Mit der Verfilmung des Bestsellers Wolkenbruchs Reise in die Arme einer Schickse von Thomas Meyer wagte sich Basman im Jahr 2018 mit voller Wucht an eine Figur aus dem orthodoxen Milieu. »In erster Linie geht es um schauspielerische Leistung. Aber natürlich trage ich meinen Rucksack der Identität auch beim Spielen auf mir«, so der Schauspieler, der eine Schweizer Mutter und einen israelischen Vater hat. »Aber mein Hintergrund macht mich noch nicht zum Experten.« Doch selbstverständlich bereite es ihm Freude, wenn er eine jüdische Rolle spielen darf.

Basmans jüdische Herkunft väterlicherseits ist seit dem 7. Oktober 2023 ungefragt zentral geworden. »Noch nie habe ich in meinem Leben dieses Zusammengehörigkeitsgefühl so stark gespürt wie jetzt«, erzählt er im persönlichen Gespräch mit der »Jüdischen Allgemeinen«. Noch nie habe sich seine Identität, die geprägt ist von der jüdischen Kultur, von Israel, von der Schweiz – zwei kleinen Ländern, die ähnlich und unterschiedlicher nicht sein könnten –, von Werten wie Toleranz und Ehrlichkeit, so offenbart wie jetzt.

Der 7. Oktober habe in ihm eine Wunde gerissen, bevor sich »Gelähmtheit und große Betroffenheit« in ihm breitgemacht hätten. Seine Familie lebt in und um Tel Aviv, das arbeite in ihm. Jüngst sei sein Cousin, der vorübergehend in Berlin gewohnt hat, Opfer offensiver verbaler antisemitischer Angriffe geworden, was ihm die Lust genommen habe, mit gewissen Leuten zu diskutieren.

»In dem Moment merke ich, wo ich hingehöre«

»Ich hatte immer den Anspruch, mich am Diskurs zu beteiligen, offene Diskussionen zu führen. Aber wenn die Leute ›From the River to the Sea‹ schreien, nur weil es sich reimt und sie keinen blassen Schimmer haben, von welchen Gewässern überhaupt die Rede ist, wenn dir die Lebensberechtigung abgesprochen wird, nur weil du jüdisch bist, macht mich das wütend.« Resignation? »In dem Moment merke ich, wo ich hingehöre, wo ich den Raum finde, um meine Identität auszuleben.« Das passiere vor allem genau dann, wenn er mit jemandem Hebräisch sprechen könne. Die hebräische Sprache sei sehr wichtig in seinem Leben, sagt Basman.

So wie seine Eltern, die ein Kleidungsgeschäft in der Zürcher Innenstadt führen, wo Basman aufgewachsen ist. Seit geraumer Zeit beteiligt sich der Schauspieler auch an Entwürfen für die Kollektionen. »Ein Hobby, das es so langsam auch beruflich ernst mit mir meint«, sagt er schmunzelnd. Doch sein Herz schlage für die Schauspielerei, die ihn von der Schweiz via Deutschland schon in die USA gebracht hat. Mit Filmgrößen wie Ralph Fiennes (The Kingsman) hat Joel Basman genauso gedreht wie mit Cate Blanchett (Hanna). Nein, über die Rollenangebote, die er heute erhalte, könne er sich nicht beklagen.

Doch das war nicht immer so. Er habe auch »›Alarm für Cobra 11‹ und solche Sachen« machen müssen. Basman nahm am Anfang einfach alles, was ihm angeboten wurde, weshalb er seine Lehr- und Wanderjahre in Berlin absolvierte. »Die nehmen dich in Deutschland erst, wenn du dort präsent bist.«

Momentan sei nicht ans Filmemachen in Israel zu denken

Den akzentfreien Schliff verpasste er sich schnell. Heute kann Basman auf zahlreiche Fernseh- und Kinofilme zurückschauen, darunter zuletzt Lieber Thomas, Eldorado KaDeWe und Schachnovelle. Und die Liste wird immer länger. Sein filmisches Debüt gab er mit gerade einmal dreizehn Jahren in der Schweizer Soap Lüthi und Blanc. Schweizer Filmgrößen wie die Casting-Direktorin Ruth Hirschfeld, die Produzentin Ruth Waldburger und der Filmemacher Michael Steiner haben Basmans Talent früh erkannt und ihn auf dem Karriereweg unterstützt.

Einmal für eine israelische Produktion vor der Kamera stehen, das fehle ihm bislang noch in seiner Karriere, sagt Basman. Israelische Filmluft habe er bislang nur bei den Dreharbeiten von Wolkenbruch geschnuppert. »Dreimal am Tag frische Pita und Hummus am Set serviert zu kriegen, ist das Größte.« Er lacht. In Tel Aviv würden keine Straßen abgesperrt, Kirchenglocken seien auch nicht zu laut, dafür das Geschrei auf dem Schuk.

Dann wird er wieder ernst. Momentan sei aber nicht wirklich ans Filmemachen in Israel zu denken. Ist es schon fast kafkaesk zu behaupten, dass die Situation seit dem 7. Oktober die Menschen in einen Zustand versetzt hat, der gar nicht wirklich fassbar ist, weil er so grauenhaft ist? Joel Basman hat darauf keine Antwort parat.

Die Miniserie »Kafka« ist am 26 und 27. März jeweils ab 20.15 Uhr in der ARD und schon ab dem 20. März in der Mediathek.

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