Moskau

Alles inklusive

Schlichtes Äußeres: Die Pulmonologie eines Krankenhauses dient auch als Leichenhalle. Foto: Christian Jahn

Früher brauchte man für eine jüdische Beerdigung in Moskau gute Nerven: Weil der Verstorbene entsprechend der Tradition möglichst am Folgetag nach Eintritt des Todes beigesetzt werden soll, hetzten die Angehörigen von Behörde zu Behörde und sammelten die notwendigen Dokumente ein. Der Leichnam selbst konnte erst in letzter Minute vor der Beisetzung hergerichtet werden, bereits in der Kapelle auf einem der vier jüdischen Friedhöfe im Moskauer Umland.

Mit der würdelosen Hektik soll jetzt Schluss sein. Der Beerdigungsdienst »Chewra Kadischa« bietet seit März einen »Service aus einer Hand« an. Ein Anruf genügt, und die Angehörigen eines Verstorbenen können die gesamte Last der Organisation auf die Mitarbeiter des Dienstes abladen.

Gemeindezentrum »Das ist möglich, weil wir seit März mit der Pulmonologie des Ersten medizinischen Krankenhauses in unserer unmittelbaren Nachbarschaft zusammenarbeiten«, sagt Lea Ratner, die die Arbeit von Chewra Kadischa in ihrem Büro im ersten Stock des Gemeindezentrums Schaarej Zedekim Norden Moskaus koordiniert.

In den Räumen der benachbarten Pulmonologie können die Leichname entsprechend der Tradition hergerichtet werden. »Wir organisieren sowohl die Beerdigung von Verstorbenen aus ganz Russland und den Ländern der GUS auf einem Moskauer Friedhof als auch die Überführung eines Leichnams aus der russischen Hauptstadt in die Heimat des Verstorbenen, zum Beispiel nach Israel«, sagt die kleine, schwarzhaarige Frau. Früher dauerten die Vorbereitungen zwei bis drei Tage.

Jetzt sei die Beerdigung innerhalb Moskaus tatsächlich am Tag nach dem Eintritt des Todes möglich. Wenn Angehörige Chewra Kadischa beauftragen, dann kümmern sich die Mitarbeiter zuerst um die notwendigen Dokumente. Vom Arzt lassen sie den Tod und die Ursache dokumentieren und besorgen beim Archiv des russischen Wohnungsamts in Moskau den Nachweis über die jüdische Abstammung des Verstorbenen. »Denn nicht selten«, so Ratner, »gingen die entsprechenden Papiere im Krieg, auf der Flucht oder unter ähnlichen Umständen verloren«.

obduktion Sobald die Dokumente vorliegen, kann der Leichnam zur Pathologie gebracht werden. Die befindet sich in einem gelb gestrichenen, klassizistischen Gebäude auf der Dostojewski-Straße, fünf Minuten Fußweg vom Gemeindezentrum entfernt.

Juri Beresowski leitet die Abteilung und ist der Ansprechpartner für Chewra Kadischa. Laut dem Arzt hat die Zusammenarbeit vor allem einen entscheidenden Vorteil für die jüdische Gemeinschaft in Russland. »Nicht selten schreiben Verordnungen der Städte vor, dass für eine Beerdigung das Leichenschauhaus in dem Viertel zuständig ist, in dem der Verstorbene gewohnt hat. »In Moskau ist das beispielsweise durch die Verordnung Nr. 300 geregelt«, so der Arzt.

Die Schauhäuser in den Stadtvierteln führten aber in der Regel eine Obduktion des Leichnams durch – unabhängig davon, ob der Tod durch Gewalteinwirkung, krankheitsbedingt oder offensichtlich natürlich eintrat. »Und ohne Rücksicht auf die Tradition einzelner Religionsgemeinschaften«, sagt Beresowski. »Mit der jüdischen Tradition ist eine Obduktion ja nicht vereinbar.«

Tradition Dank der Bemühungen der Moskauer Gemeinde könne für jüdische Tote eine Ausnahme von den Verordnungen erwirkt werden. »Die Leichname werden nicht mehr in die Schauhäuser der Viertel gebracht, sondern direkt zu uns. Hier halten wir uns an die jüdische Tradition und führen keine Obduktion durch«, sagt Beresowski. Lediglich von einer verordneten gerichtsmedizinischen Obduktion könne die Gemeinde keine Ausnahme durchsetzen.

Beresowski führt durch das Souterrain des Gebäudes. In einem Raum sind mannshohe Kühlschränke für die Aufbewahrung der Leichname aufgereiht. Die letzten beiden an der Wand sind für die jüdische Gemeinde. In der Mitte des benachbarten Raums, unter einer großen, runden Operationsleuchte, steht ein metallener Tisch für die Waschung und das Ankleiden der Leichname.

Am Ende des Korridors öffnet Beresowski die Tür zur Trauerhalle. »Die Angehörigen gelangen durch eine zweite Tür in den Raum, direkt von der Dostojewski-Straße«, sagt er. Von den Vorbereitungen »hinter den Kulissen« bekommen sie nichts mit. Sie können sich in Ruhe und in würdiger Atmosphäre vom Verstorbenen verabschieden.

Debatte

Missbrauch der Sarajevo-Haggadah für Hetze gegen Israel

Ein Kommentar von Rabbiner Pinchas Goldschmidt

von Rabbiner Pinchas Goldschmidt  11.08.2025

Schweiz

Der Breslauer Schatz

Tausende Schriften stehen für das Überleben der jüdischen Kultur in Europa. Nun sollen sie endlich restauriert und zukünftigen Generationen zugänglich gemacht werden

von Leticia Witte, Ralf Balke  11.08.2025

Berlin

Holocaust-Überlebende zweifeln an Deutschland

Das Waffenembargo verunsichert auch Schoa-Überlebende in Israel - das meint der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees

 10.08.2025

Washington D.C.

USA klagen Mörder von israelischen Botschaftsmitarbeitern an

Elias Rodriguez könnte für den Doppelmord an dem Deutsch-Israeli Yaron Lischinsky und der Amerikanerin Sarah Milgrim zum Tode verurteilt werden

 07.08.2025

Großbritannien

Das zweitschlechteste Halbjahr

Nach dem Allzeithoch 2024 ist der Judenhass im Vereinigten Königreich zwar etwas zurückgegangen. Doch der Gaza-Krieg fungiert weiter als Katalysator für Antisemitismus

 06.08.2025

Iberia Airlines

»Free Palestine«-Kritzeleien auf koscheren Mahlzeiten

Jüdische Passagiere bekamen auf einem Flug von Buenos Aires nach Madrid Lebensmittel mit antiisraelischen Botschaften serviert

von Michael Thaidigsmann  05.08.2025

Tourismus

Antisemitismus: Israelische Urlauber meiden Orte in Westeuropa

Der sich verbreitende Antisemitismus verändert das Urlaubsverhalten. Wohin fliegen Juden in den Ferien?

 05.08.2025

Porträt der Woche

Historikerin aus Leidenschaft

Shiran Shasha forscht zu antiken Gärten und sammelt Geld für eine Synagoge auf Kreta

von Gerhard Haase-Hindenberg  03.08.2025

Frankreich

Sie feierte den 7. Oktober - und bekam doch ein Stipendium

Eine 25-jährige Palästinenserin wurde aus Gaza nach Frankreich gebracht, wo sie einen Master-Studiengang absolvieren sollte. Doch dann wurden ihre antisemitischen Posts auf X bekannt

von Michael Thaidigsmann  01.08.2025