Umfrage

Ahnungslos in Frankreich

Rüdiger Mahlo, Repräsentant der Claims Conference in Deutschland und Mitglied der Taskforce Foto: dpa

Umfrage

Ahnungslos in Frankreich

Studie der Claims Conference zeigt große Wissenslücken zum Holocaust unter jüngeren Menschen auf

von Michael Thaidigsmann  22.01.2020 08:37 Uhr

Fast ein Drittel der französischen Erwachsenen glaubt einer Umfrage zufolge, dass zwei Millionen oder weniger Juden während des Holocausts ermordet wurden. 66 Prozent der Befragten kennen zwar Auschwitz-Birkenau, nur die wenigsten Franzosen können aber etwas mit den Namen Dachau, Buchenwald, Treblinka, Sobibor oder Bergen-Belsen anfangen. Gar nur jeder Fünfzigste in Frankreich kennt den Namen des Internierungslagers Drancy, von dem aus während des Zweiten Weltkriegs französische Juden in die Todeslager der Nazis deportiert wurden.

Zu diesen Resultaten kam jetzt eine von der Claims Conference unter 1100 erwachsenen Franzosen durchgeführte Umfrage zum Wissen über den Holocaust. Die Ergebnisse wurden am Mittwoch veröffentlicht.

Der Präsident der Claims Conference, Julius Berman, sagte, man erlebe »wieder einen signifikanten Wissensmangel über den Holocaust.« Die derzeitigen Bemühungen um Bildung und Aufklärung reichten nicht aus, und die Ergebnisse der Studie unterstrichen »die Notwendigkeit von Holocaust-Erziehung«.

Taskforce Matthew Bronfman, Vorsitzender der Claims Conference-Taskforce, die die Studie begleitete, nannte es »verheerend zu erfahren, dass die jüngeren Generationen die Auswirkungen des Holocaust nicht verstehen«. Bronfman sagte weiter: »Wie können wir ohne entsprechendes Wissen sicherstellen, dass wir Vorurteilen und unkontrolliertem Hass entschlossen entgegentreten?«

Gerade unter jüngeren Befragten, den sogenannten Millennials und der Generation Z, ist das Unwissen über den Massenmord an sechs Millionen Juden durch Nazi-Deutschland weit verbreitet, vor allem, wenn Einzelheiten abgefragt werden. So konnte eine Mehrheit der Befragten (57 Prozent) die genaue Zahl der Holocaust-Opfer nicht korrekt benennen, unter jüngeren Befragten waren es sogar 69 Prozent.

 

Knapp die Hälfte der jüngeren Befragten waren sich der Kollaboration der Vichy-Regierung mit dem Nazi-Regime gar nicht bewusst.

»Wir müssen neue Kommunikationsstrategien für die Holocaust-Vermittlung entwickeln, die geeignet sind, die junge Generation zu erreichen«, verlangte Rüdiger Mahlo, Repräsentant der Claims Conference in Deutschland und ebenfalls Mitglied der Taskforce. Immer weniger Wissen über den Holocaust gehe anscheinend einher mit anwachsenden Antisemitismus, sagte Mahlo der »Jüdischen Allgemeinen«.

Länderstudien Die Frankreich-Umfrage ist die vierte in einer Reihe von Länderstudien, die die Claims Conference bereits durchgeführt hat. Zuvor waren Menschen in den USA, in Kanada und in Österreich in Bezug auf ihr Wissen über den NS-Massenmord an Europas Juden und ihre Einschätzung der aktuellen Lage interviewt worden.

Eine Mehrheit der französischen Umfrageteilnehmer äußerte sich zwiespältig über die Haltung Frankreichs in der Zeit der NS-Besatzung und der Deportation. Zwischen 1940 und 1944 waren 75.000 Juden aus Frankreich in die deutschen Vernichtungslager deportiert worden, nur rund 2500 von ihnen überlebten.

Vichy Obwohl nur der nördliche Teil des Landes von deutschen Truppen besetzt war, beteiligte sich die Vichy-Regierung von Marschall Pétain im Süden des Landes aktiv an Razzien gegen Juden. Nun gaben in der Umfrage 58 Prozent der Befragten an, Frankreich sei damals sowohl Opfer als auch Täter gewesen. Knapp die Hälfte der jüngeren Befragten waren sich der Kollaboration der Vichy-Regierung mit dem Nazi-Regime gar nicht bewusst.

In der Studie ging es allerdings nicht nur um Wissen über die Vergangenheit, sondern auch um künftige Entwicklungen. 52 Prozent der Befragten brachten ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass sich ein Ereignis wie die Schoa in Europa durchaus wiederholen könnte. 36 Prozent waren der Meinung, dies könne auch in den USA passieren. In der Umfrage in Österreich bejahten das sogar 47 Prozent aller Befragten.

In der Frankreich-Umfrage erklärten 69 Prozent, dass der Antisemitismus in ihrem Land entweder angestiegen oder auf dem gleichen Niveau wie noch vor zehn Jahren sei. Nur 18 Prozent fanden, dass es heute weniger Hass auf Juden gebe.

Immerhin 82 Prozent stimmten der Aussage zu, es sei wichtig, auch künftig über den Holocaust aufzuklären, damit er sich nicht wiederhole.

Schulunterricht Immerhin 82 Prozent stimmten der Aussage zu, es sei wichtig, auch künftig über den Holocaust aufzuklären, damit er sich nicht wiederhole. Fast genauso viele Befragte forderten, dass alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend etwas über das Thema lernen sollten. Zwei Fünftel der Teilnehmer meinten, der Schulunterricht zu dieser Thematik sei verbesserungswürdig.

Robert Ejnes, Geschäftsführer des jüdischen Dachverbandes CRIF (CRIF), erklärte dazu: »Frankreich hat viel im Bereich der Holocaust-Erziehung getan, aber wir alle wissen, dass sie immer wieder aufs Neue überprüft und an jede Generation angepasst werden muss.«

Für knapp zwei Drittel aller Umfrageteilnehmer war übrigens das Tagebuch der Anne Frank ihre erste Begegnung mit dem Thema Holocaust. Die allermeisten wussten aber nicht, dass auch die Niederlande ein Schauplatz der NS-Judenverfolgung waren.

Alan Shatter

»Dieses Vorgehen ist nun wirklich idiotisch«

Irlands ehemaliger Justizminister nimmt kein Blatt vor den Mund: Im Interview kritisiert Alan Shatter nicht nur den Boykott des Eurovision Song Contest durch sein Land. Er macht die irische Regierung auch für wachsenden Judenhass verantwortlich

von Michael Thaidigsmann  08.12.2025

Dänemark

Männer sollen 760.000 Euro für die Hamas gesammelt haben

Am Dienstagmorgen nahm die Polizei einen 28-Jährigen fest. Sein mutmaßlicher Komplize sitzt bereits in U-Haft

 05.12.2025

Antisemitismus

Litauen: Chef von Regierungspartei wegen Antisemitismus verurteilt

In Litauen ist der Chef einer Regierungspartei mehrfach durch antisemitische Aussagen aufgefallen. Dafür musste er sich vor Gericht verantworten. Nun haben die Richter ihr Urteil gefällt

 04.12.2025

Ukraine

Alles eine Frage der Herkunft

Wie ein Korruptionsskandal den antisemitischen Narrativen in Russland Vorschub leistet

von Alexander Friedman  04.12.2025

Europa

»Yid Army« im Stadion

Ein neues Buch erklärt, warum Fußballvereine wie Tottenham Hotspur, Austria Wien und Ajax Amsterdam zu »Judenklubs« wurden

von Monty Ott  04.12.2025

Berlin

Prozess um Attentat am Holocaust-Mahnmal fortgesetzt

Das überlebende Opfer, der 31-jährige spanische Tourist Iker M., wollte am Mittwoch persönlich vor dem Kammergericht aussagen

 03.12.2025

Sydney

Jüdische Organisationen prangern »Geißel« Antisemitismus an

Im Fokus steht dieses Mal Australien. Es ist Gastgeber einer Konferenz der internationalen jüdischen Initiative »J7«. Sie stellt Zahlen zu Judenhass auf dem Kontinent vor - und spricht von historischen Höchstständen

von Leticia Witte  02.12.2025

New York

Das sind die Rabbiner in Mamdanis Team

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Mamdani keinen Ortodoxen in seine Übergangsausschüsse berufen – eine Lücke, die bereits im Wahlkampf sichtbar wurde

 02.12.2025

Italien

Francesca Albanese und ihre »Mahnung« an die Presse

In Turin wurden die Redaktionsräume von »La Stampa« von Demonstranten verwüstet. Die Reaktion der UN-Sonderbeauftragten für die Palästinensergebiete verstörte viele

von Michael Thaidigsmann  02.12.2025