Ungarn

Abschied von der ältesten Olympiasiegerin

Ágnes Keleti wurde 103 Jahre alt. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Ungarn

Abschied von der ältesten Olympiasiegerin

Die legendäre Turnerin Ágnes Keleti ist in Budapest gestorben – nach einem langen, außergewöhnlichen Leben voller Medaillen

von Martin Krauß  15.01.2025 17:37 Uhr

103 Jahre alt wurde Ágnes Keleti. Bis zum 2. Januar 2025 war die frühere Weltklasseturnerin die älteste lebende Olympiasiegerin aller Zeiten. Doch es waren nicht nur ihr hohes Alter und ihre Fähigkeit, noch bis kurz vor ihrem 100. Geburtstag in den Spagat zu gehen, die Keleti zu einer der beeindruckendsten Personen der Sportgeschichte machten.

Geboren wurde sie 1921 in eine jüdische Familie in Budapest. Bald fing sie nicht nur an, Cello zu spielen, sondern entdeckte auch das Turnen. Und sie hörte nicht mehr auf. Schon eine einfache Auflistung ihrer Erfolge offenbart die Bedeutung dieser Frau, und das nicht nur im Sport. Mit 18 Jahren gab sie 1939 ihr Debüt in der ungarischen Nationalmannschaft. 1940 wurde sie erstmals ungarische Meisterin. Dann klafft in der Chronologie eine große Lücke. Die Schoa.

Der Vater wurde verschleppt und in Auschwitz ermordet

Ungarn wurde ab 1941 zum Verbündeten des NS-Regimes, auch ungarische Juden wurden verfolgt. Noch schlimmer wurde es, als die Wehrmacht Ungarn besetzte. Auch die Familie Keleti wurde drangsaliert, und Ágnesʼ Vater, der ihr sportliches Talent so sehr gefördert hatte, wurde schließlich verschleppt und in Auschwitz ermordet. Die Mutter und Schwester konnten von dem schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg gerettet werden. Ágnes Keleti selbst überlebte, weil sie sich gefälschte Papiere besorgt und als Dienstmädchen bei einer nazifreundlichen Familie in Südungarn untergetaucht war.

Nach der Befreiung ging sie zurück nach Budapest und begann sogleich wieder mit Sport und Musik. Sie turnte und wurde Profi-Cellistin. Die Erfolgs-Chronologie setzt 1946 wieder ein, mit einem Sieg bei den Balkanspielen. 1948 konnte sie verletzungsbedingt nicht an den Olympischen Spielen in London teilnehmen.

1952 in Helsinki errang sie den ersten, ganz großen Triumph.

Doch 1952 in Helsinki errang sie den ersten, ganz großen Triumph: Olympisches Gold, dazu Silber und Bronze. 1956 in Melbourne gab es dreimal Einzelgold und einmal in der Mannschaftswertung plus zwei Silbermedaillen. 31 Jahre alt war Keleti, als ihr erstmals die Olympiamedaille umgehängt wurde, 35, als sie ihren Vierfach-Triumph feierte. Für eine Turnerin war sie damals schon bemerkenswert alt. Sie hat sich die ihr von den Nazis gestohlenen Jahre zurückgeholt.

Die Olympischen Spiele 1956 fanden im November statt, weil das in Melbourne klimatisch die bessere Wahl war. Im fernen Australien bekam Keleti mit, dass die sowjetische Armee den Aufstand ihrer Landsleute in Ungarn für mehr Demokratie brutal niedergewalzt hatte. Keleti entschied sich mit 50 anderen ungarischen Sportlerinnen und Sportlern, in Australien zu bleiben.

Mit Mutter und Schwester nach Israel

Ein Jahr später ging sie mit Mutter und Schwester nach Israel. Sie wurde Turntrainerin am Wingate-Institut, der israelischen Sporthochschule südlich von Netanya. Ihr Talent und ihre Erfahrung ließen sie bald zur Nationaltrainerin aufsteigen. Zwischenzeitlich wurde sie von Italien zur Betreuung des Turnequipe abgeworben. Eine Ehe, die sie in Ungarn geschlossen hatte, wurde geschieden. In Israel heiratete sie einen ungarischen Trainer, der ebenfalls Alija gemacht hatte. Sie bekamen zwei Söhne, »zwei weitere Goldmedaillen«, wie Keleti einmal sagte.

Nach der politischen Wende 1990 zog es sie zurück nach Ungarn, doch ohne sich je ganz von Israel abzuwenden. 2017 wurde sie mit dem Israel-Preis geehrt, der höchsten Kulturauszeichnung des jüdischen Staates. Israels Turnmeisterschaften tragen mittlerweile ihren Namen.

Nun ist Ágnes Keleti an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Sie wird in Budapest, auf dem jüdischen Friedhof in der Kozmastraße, beigesetzt – am 9. Januar, dem Tag, an dem sie 104 Jahre alt geworden wäre.

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert

Australien

16 Tote bei antisemitischem Massaker in Sydney

Australien ist im Schockzustand: Zwei Attentäter schossen am Sonntag auf Juden, die sich in Bondi Beach zu einer Chanukka-Feier versammelt hatten

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025 Aktualisiert

Australien

Judenfeindlicher Terroranschlag in Sydney: Zwei Personen in Polizeigewahrsam

Die Polizei ruft nach dem Angriff in Sydney dazu auf, das Gebiet des Angriffs weiter zu meiden. Der Einsatz dauere an

 14.12.2025

Terror

Medienberichte: Terroranschlag in Australien bei Chanukka-Feier

Die Polizei warnt vor einem »sich entwickelnden Vorfall« am Bondi Beach. Ersten Berichten zufolge soll das Ziel ein Chanukka-Fest gewesen sein. Australische Medien berichten von mehreren Opfern

von Denise Sternberg  14.12.2025 Aktualisiert