Essay

Wir sehen Gelb, wo wir auch hingehen

Sophie Albers Ben Chamo Foto: STEPHAN PRAMME

Essay

Wir sehen Gelb, wo wir auch hingehen

Unsere Redakteurin besucht Familie und Freunde in Israel. Leid und Freude sind hier nah beieinander – und die Geiseln allgegenwärtig

von Sophie Albers Ben Chamo  18.01.2025 18:05 Uhr

Endlich Israel, sagen wir, als wir nach vier abgesagten Flügen schließlich doch noch aus dem Flieger steigen. Und das Land umarmt uns. Frühling im Winter, tiefblauer Himmel, milde Brise, glasklares Meer. Und Familie und Freunde verwöhnen uns. Ein Festmahl nach dem anderen. Esthers magisches Couscous in Haifa, der beste Hafuch mit Liati in Tel Aviv, Rachels ultimativer Pistazienkuchen am Kinneret, Matans Super-Marak in Chofit. Wir schlafen so tief wie seit Monaten nicht mehr, wir lachen, wir genießen.

Dann sitzen wir im Auto auf dem Weg in den Norden, und das Schweigen unserer Cousine aus Kfar Aza, die um Menschen trauert, mit denen sie aufgewachsen ist, ritzt uns die Herzen. Am Telefon drückt die nackte Angst in jedem Ton eines Freundes, dessen Sohn nicht auf der Liste der ersten Phase des Geiseldeals steht, von innen gegen das Trommelfell. Der Magen rebelliert, als ein Neffe uns nicht sehen will, weil er seit dem 7. Oktober Angst hat zu lachen. Banale Kopfschmerzen darüber, dass ausgerechnet Trump die Verhandlungen gerettet haben soll. Schreie im Kopf, als aus 33 plötzlich drei Geiseln werden, die schnell freikommen sollen.

Ich mache den Abwasch, um nicht mehr das leere Mikrofonpult in Katar sehen zu müssen, das in Endlosschleife läuft, bevor die Bedingungen des Deals bekannt gegeben werden.

Gelb, wir sehen gelb, wenn wir aufstehen, wenn wir schlafen gehen und wenn wir wachliegen. Gelb im Buchladen, gelb an Autotüren und an Bäumen im Park, gelbe Fahnen, gelbe Stühle, gelbe Schleifen am Revers.

Gelb sind die Begrenzungslinien auf den Straßen und die Blumen neben dem Asphalt. Gelb ist der Orangensaft, der vor mir steht.

Aber kein Gelb, wenn wir die Nachrichten sehen, wo Politiker Eltern anschreien, die jede Minute unvorstellbaren Schmerz ertragen müssen; wenn religiöse Fanatiker lieber Kinder ihrer Mitbürger tot sehen, als von Ego und Ideologie abzulassen; wenn Leute Zahlenspiele betreiben, wie viele der Verschleppten noch leben, und in welch schlechtem Zustand sie wohl sein werden; wenn Krankenhäuser sich um die zu behandelnden Geiseln streiten, gleich nachdem die Bilder der zuletzt gefallenen Soldaten gezeigt wurden.

Und all das, während die Hamas weiterhin ihre grausamen Spielchen auf Kosten aller spielt: doch noch eine Änderung der Bedingungen, noch ein Psychoterror-Video, noch mehr Terroristen zu den fast 2000, die im Gegenzug zu den Geiseln freikommen sollen. Auch Terroristen, die gemordet haben. Und immer wieder heulen die Sirenen, weil der Jemen weiter Raketen auf Israel schießt.

Gelb sind die Begrenzungslinien auf den Straßen und die Blumen neben dem Asphalt, die Mülleimer auf dem Bürgersteig und die Nummernschilder der Autos. Gelb ist der Orangensaft, der vor mir steht. Ich sitze auf dem Balkon, beobachte die Katzen, die über die Straße laufen, und starre auf ein grünes Papageienpaar, das auf der Stromleitung darüber sitzt. Was ist mit den 65 anderen Menschen, die seit 470 Tagen darauf warten, dass ihre Heimat sie rettet? Israels Gesellschaftsvertrag besagt, dass niemand zurückgelassen wird. Was bleibt ist Grün, grün wie die Hoffnung.

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