Interview

»Wir brauchen einen Papst, der politisch trittsicher ist«

Nikodemus Schnabel lebt seit einigen Jahren in Jerusalem und leitet seit 2023 als Abt die Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg Foto: IMAGO/epd

Abt Nikodemus, wir erreichen Sie gerade in Rom, wo Sie für die ARD das Konklave kommentieren. Wer wird denn nun neuer Papst?
Niemand kann vorher sagen, was da am Ende rauskommen wird. Ich denke aber, wir werden einen Papst bekommen, der anders sein wird als sein Vorgänger. Wie, lässt sich nicht vorhersagen. Nur eines glaube ich ganz sicher: Der nächste Papst wird kein Franziskus II. sein, kein Benedikt XVII. und auch kein Johannes Paul III.

Auch kein Deutscher?
Das würde ich ausschließen.

Also stehen die Zeichen eher auf Veränderung und nicht auf Kontinuität?
Richtig. Jede Zeit hat ihren eigenen Papst. Ich freue mich auf die Wahl, denn egal wer es wird, wir werden auf jeden Fall neue Impulse bekommen, die im positiven Sinn auch herausfordernd sein werden. Ich wünsche mir, dass wir jemanden bekommen, der angstfrei ist. Das ist ganz wichtig. Auf so einer Position sollte man nicht angstgetrieben sein. Es ist ganz wichtig, wirklich einen weiten Horizont zu haben. Ich sage es ganz offen: Wir brauchen auf jeden Fall einen Papst, der für die Ökumene mit den anderen christlichen Kirchen brennt. Aber auch einen, der den interreligiösen Dialog voranbringt, der auf die Gläubigen anderer Religionen mit Neugier und Offenheit zugeht, sie anspricht. Und Dialog muss es auch geben mit jenen, die »religiös unmusikalisch« sind.

Maram Stern vom Jüdischen Weltkongress hat in dieser Zeitung vor kurzem kritisiert, der Dialog zwischen dem Vatikan und den jüdischen Organisation sei in den letzten Jahren »eingeschlafen«. Nehmen Sie das auch so wahr?
Das ist leider so. Dabei gibt es doch nichts Spannenderes als den Dialog mit dem Judentum. Mit den anderen Religionen, da können wir aus einer neutralen Position ins Gespräch kommen. Das ist auch spannend und inspirierend. Aber ohne Judentum gäbe es keine Kirche, kein Christentum. Das heißt, das ist sozusagen ein Dialog innerhalb der Familie. Und es ist ein Dialog mit einer ganz langen Geschichte. Ein Dialog, der jahrhundertelang beschämend war, der von Hass und Ressentiments geprägt war. Der völkische Antisemitismus wäre ja nicht denkbar gewesen ohne den christlichen Antijudaismus. Diese Schuldgeschichte müssen wir ganz ehrlich benennen.

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Liegt die Komplexität nicht auch ein stückweit am Nahostkonflikt?
Das ist sicherlich ein Aspekt. Die Kurie führt ja einen doppelten Dialog: Da ist zum einen die Päpstliche Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, die von Kardinal Kurt Koch geleitet wird. Zum anderen unterhält das Staatssekretariat Beziehungen zum Staat Israel, denn Israel versteht sich ja als Heimstatt, als Lebensversicherung für alle Juden weltweit. Hier ist Erzbischof Paul Gallagher zuständig. Beides kommt beim Dialog zusammen. Zwar versucht der Heilige Stuhl, es fein säuberlich zu trennen. Aber das ist nicht so einfach. Gerade in dieser Situation braucht es einen Papst, der die  Feinheiten des Dialogs beherrscht, der seine Vielschichtigkeit versteht und der politisch trittsicher ist. Denn wir haben gesehen, wie schnell man Wunden schlagen kann, wie schnell Missverständnisse aufkommen.

Stichwort Missverständnisse: Israels Regierung hat mehrere Tage gebraucht, bis sie zum Tod von Papst Franziskus kondoliert hat. Ist da eine offene Wunde?
Ich war bei der Beerdigung von Papst Franziskus. Die Bundesrepublik Deutschland war mit den Chefs aller fünf Verfassungsorgane vertreten, Israel schickte nur seinen Botschafter beim Heiligen Stuhl. Das wurde durchaus registriert in Rom.

Lag es womöglich daran, dass die Beerdigung an Schabbat stattfand?
Jeder hätte verstanden, wenn Israel gesagt hätte: Es ist Schabbat, bitte habt Verständnis, wir können nicht teilnehmen. Aber darauf wurde verzichtet. Es wurde gar nicht versucht, die Sache diplomatisch abzufedern, im Gegenteil. Von Seiten der israelischen Regierung war das so beabsichtigt. Damit hat man sich meiner Meinung nach keinen Gefallen getan, denn die Trauerfeier war ja eine Versammlung der hochrangigsten Vertreter der freien Welt. Israel kann das Thema ja nicht egal sein. Christliche Pilger sind ein wichtiger Faktor für den Tourismus, und in Israel gibt es eine christliche Präsenz. Deswegen ist es für beide Seiten nicht gut, nicht miteinander zu reden, denn beide schaden sich damit.

Wie können die Beziehungen zwischen Rom und Jerusalem wieder verbessert werden?
Indem man einfach ein neues Kapitel aufschlägt und offen über die Wunden auf beiden Seiten spricht. Israel hat jedes Recht zu sagen: Es gibt hier Enttäuschungen, wir hätten wir das anders gewünscht«. Aber es gibt natürlich auch Wunden auf unserer Seite.

Welche sind das?
Wir haben zum Beispiel ein Problem mit nationalreligiösen, extremistischen Juden, die uns als Christen angreifen im Heiligen Land. Es gibt seit Jahren Brandanschläge, Friedhofsschändungen, Spuckattacken auf Geistliche, Rempeleien und Hassgraffiti. Das ist immer noch ein Riesenthema. Wir als Kirche müssen klar sagen: Antisemitismus verträgt sich nicht mit katholischer Kirche. Ein Antisemit kann nicht katholisch sein. Und wir sind klar gegen die Judenmission. Und Israel muss klar sagen: »Christenhass geht gar nicht.« Denn wenn wir ehrlich sind, gibt es auf beiden Seiten Verwundungen und Enttäuschungen. Gerade hier sehe ich eine Chance für den neuen Papst. Ich hoffe, dass er sagt: »So, jetzt hören wir uns erst mal zu und dann schauen wir gemeinsam nach vorn.«

Ein häufig genannter »Papabile« ist auch Ihr Chef in Jerusalem, der Lateinische Patriarch, Kardinal Pierbattista Pizzaballa. Sehen Sie ihn auch als einen der Favoriten an?
Absolut. Ich frage mich nur, ob ich ihm das wünschen soll.

Warum nicht?
Ich habe gemischte Gefühle. Er wäre ganz sicher ein hervorragender Papst. Und es würde mich freuen, wenn jemand mit seiner Kompetenz in punkto Judentum, Islam, im Hinblick auf Fragen der Ökumene und auch auf die Nahostpolitik, Papst werden würde. Andererseits würde ich dann meinen Patriarchen verlieren. Das würde eine riesige Lücke reißen in Jerusalem, die nur schwer zu füllen ist. Es wäre für ihn das Ende jeder Privatsphäre, von persönlicher Autonomie. Und es wäre das erste Mal, dass ein Freund von mir Papst würde. Soll man seinem Freund so etwas wünschen?

Kardinal Pierbattista Pizzaballa kurz vor Beginn des Konklaves in Rom. Der Lateinische Patriarch in Jerusalem gilt als einer der Favoriten für die PapstwahlFoto: IMAGO/Independent Photo Agency Int.

Pizzaballa spricht fließend Arabisch und Hebräisch und hat mehr als sein halbes Leben im Heiligen Land verbracht. Wäre er Ihrer Ansicht nach ein guter Papst für Israel?
Er brächte auf jeden Fall ein enormes Wissen mit. Andererseits natürlich wäre er auch eine Herausforderung, denn er ist, was den Nahostkonflikt betrifft, absolut unbestechlich. Ihm kann niemand so leicht etwas vormachen. Er wäre für beide Seiten unbequem, man könnte ihn nicht manipulieren, ihm sagen, »Du musst dies tun, du musst das tun«, oder seine Argumente einfach beiseite wischen.

Nun stehen die Christen im Nahen Osten häufig zwischen den Fronten. Hat sich etwas verändert in den letzten Jahren? Oder verschlechtert?
Verbessert hat sich nur eine Sache, und das ist die Ökumene. Das heißt, der Dialog unter uns Christen. Wir sind so wenige, dass wir mehr mit einer Stimme sprechen und mehr miteinander reden müssen. Das ist das einzig Positive. Die große Mehrzahl der Christen sind arabischsprechende Christen, sowohl in Palästina als auch in Israel. Wir haben aber auch wirklich eine Gruppe, gerade innerhalb der katholischen Kirche. Und Patriarch Pizzaballa war schon vor vielen Jahren schon Pfarrer in Jerusalem, damals zuständig für die hebräischsprachigen Katholiken.

Welche Auswirkungen hat der 7. Oktober 2023 gehabt für Sie und Ihre Arbeit gehabt?
Wir hatten auch in unserer Gemeinde Opfer zu beklagen: Vier Katholiken von den Philippinen wurden an diesem Tag ermordet. Weitere wurden nach Gaza verschleppt. Ich war damals für diese Leute, für Migranten und Asylsuchende, zuständig. Diese Pflegekräfte in den Kibuzzim, das waren sozusagen meine Leute. Auch sie waren betroffen. Ich habe am 2. November 2023 für die vier Gemeindemitglieder ein Requiem gefeiert, die die Hamas ermordet hatte. Mittlerweile habe ich aber auch etliche Glaubensgeschwister in Gaza verloren. Das zeigt die Spannung, mit der wir leben. Wir haben Kirche in den Kibbuzim um Gaza, wir haben auch Kirche in Gaza selbst. Deswegen sind wir weder pro Israel noch pro Palästina. Wir sind pro Mensch. Weil wir auf beiden Seiten unschuldig Leidende haben, die niemandem was angetan haben. Und natürlich gibt es auf beiden Seiten auch Menschen, die hochproblematisch sind. Wir können deshalb nicht einfach sagen, #WeStandWithIsrael. Und auch nicht #FreePalestine.

Könnte der neue Papst, könnte der Heilige Stuhl nicht mehr tun für den Frieden im Nahen Osten?
Einen Versuch wäre es wert. Miteinander reden ist besser, als die Waffen sprechen zu lassen. Man muss schauen, dass es wieder Diplomatie gibt. Aber wir auch realistisch sein. Die katholische Kirche repräsentiert nur eine ganz kleine Minderheit in Israel und Palästina. Der Heilige Stuhl kann hier nicht viel in die Waagschale werfen, er kann nur appellieren. Dennoch: Vielleicht wäre jetzt ein Moment, Diplomatie neu zu denken.

Welche Rolle könnten die Verantwortlichen in den Religionsgemeinschaften spielen?
Oberrabbiner, Imame, Patriarchen, überhaupt religiös Verantwortliche sollten gemeinsam ihre Stimme erheben und das Schweigen durchbrechen. Leider nehmen viele Menschen Religion nur als toxischen Faktor wahr. Sie sehen nur die »Hooligans«, welche Religion primär als Abgrenzungsmechanismus verstehen. Ich fände es daher wichtig, mal reflektierten Beter, die Gottessucher, jene Menschen, die Theologie studiert haben und ihre Religion positiv leben, in den Vordergrund zu rücken.

Mit dem Abt der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg in Jerusalem sprach Michael Thaidigsmann.

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