Nahost

Weit entfernt vom Frieden

Die Bedrohung für Israel durch kriegerische Verflechtungen in der Region ist nach wie vor akut. Foto: Getty Images

Frieden und Sicherheit sind im Nahen Osten in immer weitere Ferne gerückt. Das liegt nicht zuletzt am Versagen des Westens. Sein Nichteingreifen in den Syrienkrieg war mit der Vorstellung verbunden, die kriegerischen Energien würden sich dort irgendwann von selbst erschöpfen. Und mit dem abzusehenden Sieg des Despoten Baschar al-Assad werde in Syrien zumindest eine gewisse Stabilität wiederhergestellt, die Voraussetzung für eine Befriedung des Landes und der Region sei.

Gemäß dieser Logik des Heraushaltens und passiven Abwartens, in der sich die USA und die EU ausnahmsweise einig waren, hat es der Westen zugelassen, dass ungestraft elementare Regeln des humanitären Kriegs- und Völkerrechts außer Kraft gesetzt werden konnten – bis hin zum Einsatz von Giftgas.

Glaubwürdig dokumentiert sind seit 2011, dem Beginn des Krieges in Syrien, 345 Chemiewaffenangriffe, von denen etwa 98 Prozent auf das Konto des Assad-Regimes gehen.

WARLORD Doch auch nach mehr als einer halben Million Kriegstoten und nachdem mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung in die Flucht getrieben wurde, ist nicht abzusehen, dass der Nahe Osten zur Ruhe kommt – und sei es zu einer Friedhofsruhe. Die systematische, das internationale Recht aggressiv missachtende Kriegsführung des syrischen Regimes und seiner Schutzmächte Russland und Iran gegen die Zivilbevölkerung unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung hat vielmehr Schule gemacht.

Im Jemen richten Saudi-Arabien und seine Verbündeten nach demselben Muster eine humanitäre Katastrophe an, ohne dass ein Ende des Konflikts mit der proiranischen Huthi-Miliz in Sicht wäre. Und in Libyen hat sich die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen der international anerkannten Zentralregierung in Tripolis und dem Warlord Chalifa Haftar, einem Ex-General der Gaddafi-Armee, zu einem internationalen Stellvertreterkrieg ausgeweitet, der seinen Zenit noch nicht erreicht haben dürfte.

In diesem Machtspiel sind die Europäer zu ohnmächtigen Zuschauern degradiert.

Ging man lange Zeit davon aus, dass der Gegensatz zwischen dem sunnitischen und schiitischen Islam – repräsentiert durch die verfeindeten Vormächte Saudi-Arabien und Iran – den Kern der diversen blutigen Konflikte in der Region ausmache, hat sich die Lage durch die verstärkte Einmischung weiterer Akteure noch zusätzlich verkompliziert. Vor allem das wachsende politische und militärische Engagement der Türkei in der Region eröffnet neue Frontlinien.

WAFFENLIEFERUNGEN In Syrien beansprucht Ankara die Kontrolle über den Nordosten des Landes, und in Libyen hat es massiv auf der Seite der Regierung in Tripolis – und zugunsten islamistischer Milizen – in den Konflikt eingegriffen.

Das bringt die Türkei in offenen Gegensatz zu Russland, das Haftar mit Waffen und dem Einsatz der »Gruppe Wagner« unterstützt. Diese Söldnertruppe dient dem Kreml als eine Art Schattenarmee, mit deren Hilfe er kriegerische Konflikte vorantreibt, um sich dann offiziell als unbeteiligter Friedensvermittler präsentieren zu können.

Das zwischen Rivalität und Komplizenschaft oszillierende Verhältnis zwischen den Autokraten Putin und Erdogan bleibt gleichwohl ambivalent. Moskau nutzt die Ambitionen Ankaras, um es in seine eigenen Vorherrschaftspläne in der Region einzubinden und damit zugleich in Schach zu halten.

In dieser instabilen und zunehmend explosiven Lage muss sich Israel behaupten

Durch Rüstungslieferungen wie die des Luftabwehrsystems S-400 an die Türkei schürt es zugleich deren Entfremdung von der Nato. In diesem Machtspiel sehen sich die Europäer zu weitgehend ohnmächtigen Zuschauern degradiert. Die von ihnen auf der Libyen-Konferenz in Berlin im Januar vermittelte Waffenruhe und das damit verbundene Waffenembargo erwiesen sich jedenfalls als rein fiktiv.

Tatsächlich nutzten die Unterstützer Haftars wie Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und vor allem Russland die Berliner Konferenz als Bühne, um den Warlord als politischen Akteur hoffähig zu machen. Jetzt ist zwar wieder von einer möglichen Waffenruhe in Libyen die Rede – und sogar davon, dass Haftar von seinen Verbündeten fallen gelassen und durch einen zuverlässigeren Frontmann ersetzt werden könnte.

Doch auch diese Art von Szenario ist aus Syrien bekannt: Die Waffenruhen, die Putin und sein Schützling in Damaskus dort verkündet haben, um sie gleich wieder zu brechen, sind kaum noch zu zählen.

SICHERHEIT In dieser instabilen und zunehmend explosiven Lage muss sich Israel behaupten, dem es bislang gelungen ist, seine aggressivsten Feinde auf Distanz zu halten, ohne auf den diversen Kriegsschauplätzen direkt eingreifen zu müssen.

Zwar sind die Sicherheitsinteressen des jüdischen Staates durch die Eskalation in Libyen nicht unmittelbar tangiert. Doch weil diese nicht zuletzt der wachsenden Konkurrenz der beteiligten Mächte um den Zugang zu den Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer geschuldet ist, betreffen die Vorgänge in Libyen indirekt auch Israel.

Die eindeutige sicherheitspolitische Priorität Jerusalems bleibt jedoch die Eindämmung der existenziellen Bedrohung durch die Islamische Republik Iran, die offen die Vernichtung des jüdischen Staates propagiert. Israels Hauptanstrengung zielt gegenwärtig darauf, eine dauerhafte militärische Präsenz Irans in Syrien zu verhindern.

TAktik Israels Taktik, durch gezielte Luftschläge gegen iranische Stellungen und Einrichtungen in Syrien den Aufbau eines unmittelbaren militärischen Bedrohungspotenzials Teherans gegen den jüdischen Staat zu verhindern, zeitigt dabei durchaus Erfolge.

So ist es dem Iran nicht gelungen, in Syrien ein gegen Israel gerichtetes modernes Raketensystem zu installieren, wie es im Libanon geschehen ist, wo die Hisbollah von Teheran dementsprechend aufgerüstet wurde. Sein proklamiertes strategisches Ziel, Iran zum Rückzug aus Syrien zu zwingen, wird Israel auf diese Weise jedoch nicht erreichen können. Zu tief sind die iranischen Revolutionsgarden sowie proiranische Milizen wie die Hisbollah in die Infrastruktur der Assad-Armee integriert.

Diese Strukturen aber könnte Israels nur treffen, wenn es eine direkte Konfrontation mit dem syrischen Regime riskierte. Dass es dies vermeidet, liegt vor allem an der Rücksichtnahme auf Russland. Moskau toleriert zwar die Schläge Israels gegen iranische Einrichtungen auf syrischem Territorium, nicht aber eine grundlegende Erschütterung des syrischen Regimes selbst.

Die Vorgänge in Libyen betreffen indirekt auch Israel.

Und auch wenn Russland mit seinem Verbündeten Iran vielfach über Kreuz liegen mag, ist ein offener Bruch Moskaus mit ihm nicht zu erwarten. Dafür ist die iranische Unterstützung für den Fortbestand des syrischen Regimes zu substanziell.

FEHLKALKULATION Obwohl er durch die US-Sanktionen und -Schläge wie die Liquidierung des Terror-Generals Soleimani geschwächt ist, bleibt der Iran in Syrien ebenso wie im Irak massiv präsent. Angesichts der Vielzahl blutiger Kriege und Konfrontationen in der Region hat dagegen der israelisch-palästinensische Konflikt an Bedeutung verloren, auch wenn die terroristische Bedrohung vor allem durch die Hamas für die israelische Bevölkerung weiter akut ist.

Führende sunnitisch-arabischen Mächte wie Saudi-Arabien und Ägypten betrachten die Ansprüche der Palästinenser und die obsessiv feindselige Haltung ihrer Führung gegenüber dem jüdischen Staat jedoch zunehmend als eine Last, die sie abschütteln wollen, um freie Hand für eine engere Zusammenarbeit mit Israel im Kampf gegen den Iran sowie die in der ganzen Region verzweigte fundamentalistische Muslimbruderschaft zu bekommen.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahus umstrittener Plan, ein Drittel des Westjordanlandes zu annektieren, zielt nun darauf, den Dauerkonflikt durch die Schaffung vollendeter Tatsachen mit einer Art Befreiungsschlag zu beenden.

»jahrhundertdeal« Weil sich Netanjahu durch Donald Trumps »Jahrhundertdeal« dazu ermutigt sieht, einseitig eine endgültige Grenze zu den Palästinensergebieten festzulegen, hält er den einmalig günstigen historischen Moment für dieses Vorgehen für gekommen.

Doch sollte Trump die Präsidentschaftswahl im November verlieren und durch Joe Biden ersetzt werden, der die Anne-xion ablehnt, könnte sich das als schwerwiegende Fehlkalkulation erweisen.

Der Annexionsplan mag völkerrechtlich problematisch sein, und es ist zudem zweifelhaft, ob er tatsächlich im israelischen Eigeninteresse liegt oder nicht vielmehr eine Lunte an die Integrität Israels als eines sowohl jüdischen als auch demokratischen Staates legt.

VÖLKERRECHT In diesem Sinne stößt Netanjahus Vorhaben in Israel jedenfalls auf massive Kritik – aus unterschiedlichen Motiven von links wie von rechts. Unzulässig ist es jedoch, die geplante Annexion eines Teils des Westjordanlands mit der Einverleibung der Krim durch Russland gleichzusetzen, wie es führende EU-Politiker getan haben.

Der völkerrechtliche Status der Schwarzmeer-Halbinsel ist eindeutig: Sie ist Teil der Ukraine, eines international anerkannten souveränen europäischen Staates. Russland hat die Unverletzlichkeit des ukrainischen Territoriums im Budapester Memorandum 1994 ausdrücklich garantiert. Von der Ukraine ging zudem niemals eine Bedrohung für Russland aus, die einen militärischen Angriff Moskaus in irgendeiner Weise hätte rechtfertigen können.

Man kann das Westjordanland nicht mit der Krim gleichsetzen.

Das Westjordanland hingegen ist völkerrechtlich gesehen ein »umstrittenes Gebiet«. Bevor Israel es im Sechstagekrieg 1967 eroberte, war es von Jordanien 1948 in sein Staatsgebiet eingegliedert und 1950 formell annektiert worden.

Bezeichnenderweise ist Jordanien dieses völkerrechtswidrige Vorgehen jedoch kaum je vorgeworfen worden, während Israels Präsenz im Westjordanland von der Weltgemeinschaft seit Jahrzehnten fast unisono als »illegale Besatzung« gebrandmarkt wird.

ORDNUNGSMACHT Nach dem Scheitern des »Arabischen Frühlings«, dessen demokratischer Impuls durch terroristische und sektiererische religiöse Gewalt zerstört wurde, stehen die Zeichen im Nahen Osten wieder auf der Restaurierung autokratischer Herrschaft, die vorgibt, Stabilität zu garantieren, in Wahrheit jedoch nur weitere exzessive, rechtlose Gewalt entfesselt – komplementär zu dem anhaltend virulenten dschihadistischen Terror.

Weil sich die westlichen Demokratien und insbesondere die USA als die vormals maßgebliche Ordnungsmacht in der Region immer mehr zurückgezogen haben, führen dort jetzt autoritäre Mächte wie Russland und die Türkei (und im Hintergrund China) Regie.

Doch ohne die Durchsetzung zumindest annähernd demokratischer Zustände und die entsprechende Achtung menschenrechtlicher Minimalstandards wird es für den Nahen Osten auf Dauer weder Frieden noch Sicherheit geben.

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