Terrorismus

Was geschah am Checkpoint?

Sicherheitskräfte an einem Grenzübergang bei Jerusalem Foto: Flash90

Am 23. Juni, kurz nach 16 Uhr, steuert ein Palästinenser in Abu Dis auf den Checkpoint zu, an dem Grenzpolizisten die Einreise ins israelische Gebiet überwachen. Was zunächst wie eine Routinekontrolle in Ost-Jerusalem aussieht, entwickelt sich im Nu zum Drama. Der Mann verlangsamt die Fahrt zunächst, als ob er der Aufforderung »Anhalten!« Folge leisten wollte. Er gibt zu erkennen, dass er sich dem Blick der Grenzpolizei auf seine Ausweispapiere nicht widersetzen werde. Doch dann wird aus dem langsamen Anrollen blitzschnell ein Angriff auf den Checkpoint. Der Fahrer wendet das Steuer in Richtung Kontrollposten, gibt Gas und rammt den Posten.

Als Folge des Aufpralls wird die Grenzpolizistin Shani Or Hana Kadosh nach hinten geschleudert und leicht verletzt. Später, nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus, gibt sie zu Protokoll, dass der Fahrer sie sekundenlang fixiert habe. »Das Auto fuhr vor, und ich gab ihm ein Zeichen, er solle anhalten. Als er das Tempo etwas zurücknahm, ging ich einen Schritt auf ihn zu. Der Fahrer sah das, schaute mir in die Augen, riss das Steuer herum und überfuhr mich. Worauf ich in die entgegengesetzte Richtung geworfen wurde«, gibt die Grenzpolizisten später gegenüber dem israelischen Fernsehen zu Protokoll. Sie habe am Anfang nicht verstanden, weshalb er sie anstarrte. »Erst als ich durch die Luft flog, begriff ich, dass es sich um einen Angriffsversuch gehandelt hatte.« Sie hat Glück im Unglück: Beim Anschlag wird sie nur leicht verletzt.

Der Fahrer gab Gas und rammte den Posten.

Nach dem Aufprall reißt der Angreifer die Tür seines Wagens auf. Er stürmt aus dem Auto und wird von einem Grenzpolizisten erschossen. Die Attacke wird von Nachrichtenagenturen verbreitet. »Israelische Soldaten erschießen Palästinenser an Grenzübergang«, titelt etwa »Spiegel Online«.

BESCHWERDE Weil die Berichterstattung auf »Spiegel Online« dabei die israelische Perspektive außer Acht lässt und ausschließlich die palästinensische Sicht berücksichtigt, hat der Grünen-Politiker Volker Beck eine Beschwerde an den Deutschen Presserat geschickt. Er hoffe, dass der »Spiegel«, Nachrichtenagenturen und der Presserat verstehen, dass sie »ein Problem mit ihrer Israelberichterstattung haben«, sagt Beck gegenüber der Jüdischen Allgemeinen. Denn, fährt er fort, »halbe Wahrheiten werden immer zu ganzen Lügen«. Israel werde stets »in die Rolle des Aggressors fantasiert«. Den »Spiegel« bezeichnet er als »Wiederholungstäter«.

Dem Bericht über die Attacke fehle der Kontext, in dem die Attacke stattgefunden hat, heißt es auch bei »HonestReporting«, einem amerikanischen Portal, das Berichte über Israel kritisch analysiert. Denn in den vergangenen fünf Jahren gab es mindestens 80 Rammangriffe auf Soldaten und Zivilisten, letztmals, ebenfalls in der Nähe von Abu Dis, am 22. April. Die Attentäter beschränken sich in der Regel nicht darauf, ihr Auto als Tatwaffe einzusetzen. Nach dem Aufprall stürmen sie meistens aus dem Wagen und stechen auf Personen am Checkpoint ein.

REAKTION Auch Ahmad Erekat, der in einer Werbeagentur arbeitete, stürzte sich nach dem Aufprall aus dem Auto. Der Offizier hatte nur Sekundenbruchteile Zeit, um die Lage einzuschätzen. Will der Angreifer flüchten, oder hat er vor, auf Personen am Checkpoint einzustechen? Der Offizier entschied schnell – und schoss. Es war Mord, sagen die Palästinenser, während man in Israel von Selbstverteidigung spricht. Mit dem Schuss habe man ein weiteres Attentat verhindern wollen. Und weil man nicht wissen konnte, ob Ahmad, der nach dem Schuss am Boden lag, eine Bombe am Körper befestigt hatte, erhielt er erst nach fünf Minuten Erste Hilfe. Doch sie kam zu spät.

Ahmad Erekat, der Attentäter vom 23. Juni, stammt aus einer prominenten palästinensischen Familie. Der 28-Jährige war ein Neffe des PLO-Generalsekretärs Saeb Erekat. Dieser verurteilt die Erschießung Ahmads durch einen israelischen Sicherheitsmann als »Exekution«. Die Verhandlungsabteilung der PLO, der Erekat vorsteht, fordert vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC), die Untersuchung angeblicher israelischer Kriegsverbrechen möglichst schnell aufzunehmen.

In den vergangenen fünf Jahren gab es mindestens 80 Rammangriffe auf Soldaten und Zivilisten.

Denn Ahmad sei unschuldig, behauptet seine Familie. Er sei sehr in Eile gewesen: Seine Schwester habe am Abend heiraten wollen, er wollte in letzter Minute noch Vorbereitungen treffen, und in den nächsten Wochen hätte auch er heiraten sollen. Aus all diesen Gründen sei er so aufgeregt gewesen, dass sein Auto aus Versehen am Checkpoint aufgefahren sei.

BEKENNERVIDEOS Auf dem Handy, das später sichergestellt wurde, gibt es hingegen zwei Clips, die der These der Familie, er sei wegen der Hochzeit seiner Schwester zeitlich unter Druck gewesen, widersprechen. Beide haben den Charakter von Bekennervideos von Selbstmordattentätern. In beiden Clips verteidigt Erekat seinen Ruf, der offenbar Schaden genommen habe. Er habe nie anderen Frauen nachgeschaut, sagt er in dem einen Clip, den er mutmaßlich am Tag des Anschlags aufgenommen hat, und distanziert sich damit – wenige Wochen vor seiner geplanten Hochzeit – wahrscheinlich von Vorwürfen, er sei ein Schürzenjäger.

Im zweiten Clip verneint Ahmad Erekat, je mit Israel kollaboriert zu haben, so als ob man ihm unpatriotisches Verhalten unterstellt hätte. Er habe sein Land »niemals betrogen«, sagt er in die Kamera. Hat Erekat am Ende seine »einwandfreie Gesinnung« mit dem Attentat beweisen wollen?

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