Interview

Was Bodenoffensive und Häuserkampf für Israel bedeuten würde

Foto: Copyright (c) Flash 90 2013

Herr Hinz, die israelische Luftwaffe hat mehr als 1000 Ziele der Hamas im Gazastreifen bombardiert. Inwiefern wird das der Bodenoffensive helfen?
Die Bombardierung, die sie vornehmen, bezieht sich darauf, Hamas-Kommandeure auszuschalten. Es ist immer hilfreich, existierende Strukturen zu schwächen und Waffenlager zu zerstören. Allerdings kann die Hamas die Waffen, die sie für den Häuserkampf braucht, schnell verstecken und gut verteilen, auch ohne große Lastwagenflotten. Dazu zählen vor allem Sturmgewehre, Handfeuerwaffen, Panzerfäuste und Maschinengewehre.

Wie gut sind die israelischen Soldaten auf den Häuserkampf vorbereitet?
Die israelische Armee trainiert ihre Soldaten in urbaner Kriegsführung. Bei älteren Soldaten gibt es auch Erfahrung aus früheren Einsätzen, auch in Gaza. Aber selbst wenn man gut vorbereitet ist, ist man nicht wirklich vorbereitet, weil es einfach schwierige Kämpfe sind, bei denen auch die technische Überlegenheit der israelischen Armee eine geringere Rolle spielt. Es wäre für die Israelis einfacher, 1000 syrische Panzer auf dem Feld zu bekämpfen als die Hamas in ihren Häusern. Auch wenn die Nahkampfwaffen der Hamas nach allem, was wir gesehen haben, eher ältere Modelle sind. Sie haben moderne Antipanzer-Raketen, aber sonst wenig Hightech.

Fabian Hinz, Militärexperte am International Institute for Strategic StudiesFoto: Privat

Was droht den IDF-Einheiten, sobald sie die erste Ortschaft in Gaza betreten?
Sie müssen mit erbittertem Widerstand rechnen. Die Hamas verfügt über panzerbrechende Waffen wie Panzerfäuste oder Antipanzer-Raketen. Der Merkava IV hat zwar den besten Schutz der Welt gegen Raketen, aber nicht alle israelischen Panzer sind so modern. Solche gelenkten Waffen können auch gegen Infanterie eingesetzt werden.

Welche Fallen kann die Hamas in den Städten stellen?
In den Städten werden die Häuserkämpfe geometrisch viel schwieriger als Feldschlachten, ganz unabhängig von der Bewaffnung. In der Wüste können Sie alles gut überblicken. Im Häuserkampf müssen Sie hingegen immer überlegen, ob jemand über Ihnen hinter einem Fenster oder etwas Ähnlichem versteckt ist. Weil die Häuser miteinander verbunden sind, können sich Kämpfer ungesehen bewegen und plötzlich im Rücken der Soldaten auftauchen. Das funktioniert aber natürlich auch unterirdisch über Tunnel, und ich bezweifle, dass die israelische Armee vollständige Karten über das weit verzweigte Tunnelsystem der Hamas hat.

Im Häuserkampf sind auch besonders Sprengfallen ein Problem: etwa, wenn Soldaten ein Haus betreten müssen, um einen Scharfschützen auszuschalten. Und nicht alle Sprengfallen sind gleich. Die Iraner liefern ihren Verbündeten, darunter wahrscheinlich auch der Hamas, sehr professionelle Sprengfallen mit projektbildender Ladung, die also auch panzerbrechend sind.

Selbstmordattentate sind auch denkbar, gerade weil die Unterscheidung zwischen Feinden und Zivilisten sehr schwierig ist.

Könnte die Hamas sogar Tunnel sprengen, um die IDF aufzuhalten?
Das ist möglich. Sogenannte Tunnelbomben werden sehr gern eingesetzt, um sehr nah an den Feind zu gelangen, wie wir im syrischen Bürgerkrieg gesehen haben. Das funktioniert am besten, wenn man Tunnel zu einer Militärbasis gräbt und dann in die Luft sprengt, wie es schon im Ersten Weltkrieg passiert ist. Die Hamas hat ihre Tunnel ohne dieses Ziel gegraben, könnte sie aber trotzdem sprengen, um etwa Straßen zu sperren oder den Rückzug israelischer Soldaten zu verhindern.

Wie gefährlich die Kämpfe in den Tunneln selbst werden, kann man jetzt noch nicht absehen. Dafür gab es in den letzten Jahren keinen Vergleich. Ich denke, im Idealfall würde die israelische Armee die Tunnel am liebsten sprengen, statt Soldaten dort hineinzuschicken, aber das geht in diesem Fall nicht, wenn dort Geiseln gehalten werden.

Wie schwer wird es, die Geiseln aus den Tunneln zu befreien?
Das sollte Israel so gut wie möglich vorher diplomatisch lösen. Denn gerade in so einem dicht besiedelten, urbanen Umfeld wie dem Gazastreifen, wo Sie keine sehr genaue Aufklärung betreiben können, wird die Geiselbefreiung extrem schwierig.

Vergleichen Sie es mit dem Münchner Olympia-Attentat von 1972. Damals wusste die Polizei genau, wo die Geiseln sind. Trotzdem war der Befreiungsversuch ein absolutes Fiasko, bei dem alle neun Geiseln gestorben sind. Die Hamas und der Islamische Dschihad haben jetzt rund 200 Geiseln in ihrer Gewalt. Ich weiß aber nicht, ob die alle in Tunneln festgehalten werden und ob die Hamas überhaupt damit gerechnet hat, so viele Menschen in ihre Gewalt zu bekommen.

Was kann die IDF tun, um unschuldige Zivilisten  während der Kämpfe zu schützen?
Die große Frage ist, wie viele Zivilisten vor Ort sein werden. Wenn es noch viele gibt, können sie nur schlecht geschützt werden. Israels Vorteil ist, dass es über viele Präzisionswaffen verfügt und die wird es irgendwann einsetzen. Wenn also Soldaten aus einem Haus beschossen werden, könnte ein F16-Kampfjet die Stellung mit einer Laser- oder GPS- gesteuerten Bombe ausschalten. Die meisten Kommandeure würden das so machen, auch wenn in jedem Gebäude prinzipiell ein Zivilist sein kann.

Gab es in der jüngeren Geschichte Kämpfe, die dem kommenden Häuserkampf im Gazastreifen ähneln?
Ich denke, die Schlacht von Mossul dürfte vergleichbar sein. Damals brauchten die irakischen und kurdischen Streitkräfte rund zehn Monate, um den Islamischen Staat aus der Stadt zu vertreiben. Der IS konnte sich aber nicht lange auf den Häuserkampf vorbereiten, die Hamas schon. Das macht es sehr schwierig.

Wie schätzen Sie die Gefahr eines Angriffs der Hisbollah aus dem Libanon ein? Ist die israelische Armee bereit für einen Zwei-Fronten-Krieg?
Es ist schwer, in den Kopf von Hassan Nasrallah zu gucken und zu sagen, was er möchte. Die andere Frage ist, ob die Hisbollah überhaupt Krieg führen könnte. Sie nutzt schon jetzt Angriffe an der Grenze, um Israel vor einer Bodenoffensive abzuschrecken. Wenn der Abschreckungsversuch scheitert, ist auch die Frage, ob und in welchem Maß die Hisbollah angreifen möchte. Was das Training und die Bewaffnung aus dem Iran angeht, sind sie der Hamas aber signifikant überlegen. Israelischen Schätzungen zufolge verfügten die Hamas und der Islamische Dschihad vor dem Krieg über 30.000 Raketen, die Hisbollah hingegen über 150.000 bis 200.000. Mit einigen davon könnte sie sogar Ziele im Süden Israels präzise treffen.

Das Gespräch mit dem Militärexperten vom International Institute for Strategic Studies führte Nils Kottmann.

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