Diplomatie

Verhaltene Versöhnung

Benjamin Netanjahu: »Die Vereinbarung ist für Israel von strategischer Bedeutung.« Foto: Thinkstock

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Verhaltene Versöhnung

Israel und die Türkei wollen eine »Insel der Stabilität« schaffen

von Sabine Brandes  27.06.2016 20:13 Uhr

Sie wollen sich vertragen. Israel und die Türkei haben am Dienstag ein Versöhnungsabkommen in den Hauptstädten Jerusalem und Ankara unterschrieben, das die diplomatische Krise der beiden Nationen nach sechs Jahren beendet. Premierminister Benjamin Netanjahu hatte sich schon am Sonntag mit den Worten geäußert, dass die Aussöhnung mit dem einstigen Verbündeten immense Auswirkungen für sein Land haben werde. Gleichzeitig feiert sich der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, als Sieger.

»Die Vereinbarung ist für Israel von strategischer Bedeutung«, meinte Netanjahu im Anschluss an die Zeremonie. Er wolle inmitten der Umbrüche in der Region eine Insel der Stabilität schaffen. Die Kluft zwischen den beiden Nationen habe den gemeinsamen Interessen geschadet und sie davon abgehalten, in wichtigen Belangen zusammenzuarbeiten. Derzeit werden beide Länder vom syrischen Bürgerkrieg bedroht und befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Terrororganisation Islamischer Staat.

In Israel fielen die Reaktionen zwar überwiegend positiv, doch auch relativ verhalten aus. Yaakov Amidror, ehemaliger Sicherheitsberater der Regierung, ist überzeugt, dass die Vereinbarung nur geringe unmittelbare Auswirkungen auf die Kooperation im Bereich Sicherheit habe. Es werde voraussichtlich eine Weile dauern, bis die eingefrorene Beziehung auftaut. »Und es wird Jahre dauern, bis es wieder so wird wie vor Erdogan. Das Potenzial ist riesengroß, aber es braucht Zeit, damit das Vertrauen wiederhergestellt wird.«

Eigenlob Erdogan erging sich derweil in Eigenlob und erklärte, dass Israel sämtliche Forderungen der Türkei erfüllt habe. Der amerikanische Vizepräsident Joe Biden lobte das Ergebnis der langwierigen Verhandlungen als »bedeutende wirtschaftliche und sicherheitspolitische Maßnahme in der Region«.

Einst hatten die beiden Verbündeten enge wirtschaftliche und militärische Kooperation gepflegt. Doch mit dem politischen Aufstieg Erdogans kühlte das Verhältnis zunehmend ab. Der diplomatische GAU ereignete sich im Mai 2010, als die aus der Türkei gen Gaza fahrende Flottille von der israelischen Armee geentert wurde. Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Soldaten wurden neun türkische Aktivisten getötet. Botschafter wurden abgezogen, die Freundschaft der beiden Staaten war zerschlagen.

Zwar hatte sich Netanjahu bereits vor zwei Jahren mithilfe amerikanischer Vermittlung bei Präsident Erdogan für die Toten auf der Mavi Marmara entschuldigt, was dieser akzeptiert hatte, doch die Verhandlungen stockten. Auch das Versprechen seitens Jerusalem, 20 Millionen US-Dollar in einen Entschädigungsfonds für die Familien der Betroffenen zu zahlen, brachte nichts weiter voran. Vor allem die Blockade des Gazastreifens nahm die Türkei zum Anlass, weitere Gespräche zu verweigern.

Einlenken Diesbezüglich lenkten die Türken jetzt ein. Statt der kategorischen Forderung, die Blockade aufzuheben, stimmten sie zu, Waren über den Hafen von Aschdod, wo Sicherheitschecks von israelischen Behörden durchgeführt werden, in das von der Hamas beherrschte Gebiet zu senden. Mit dem Material sollen zu-nächst ein 200-Betten-Krankenhaus, eine Wasserentsalzungsanlage sowie ein Elektrizitätswerk und andere Infrastruktur gebaut werden. Bereits diesen Freitag sollen 10.000 Tonnen Hilfsgüter auf den Weg gebracht werden. Diese Maßnahme, meinen viele Kommentatoren, könnte vielleicht sogar dazu beitragen, eine neue militärische Auseinandersetzung mit der Hamas in Gaza zu verhindern.

Im Gegenzug verpflichtete sich Ankara, ein Gesetz zu erlassen, welches sämtliche Verfahren gegen IDF-Soldaten und -Offiziere, die am Einsatz auf der Flottille beteiligt waren, einstellt. Das türkische Büro der Hamas muss geschlossen werden, zudem verpflichtet sich die Regierung, dafür zu sorgen, dass die Terrorgruppe von ihrem Territorium aus keine Aktivitäten gegen Israel organisiert. Eine diplomatische Vertretung in der Türkei ist der Hamas indes weiterhin gestattet.

Auch wolle Ankara bei der Suche nach den zwei im Gazastreifen vermissten israelischen Zivilisten und den beiden während der Militäroperation 2014 gefallenen Soldaten Oron Shaul und Hadar Goldin helfen, heißt es. Den Familien Shaul und Goldin ist das allerdings nicht genug. Sie errichteten vor der Residenz des Premierministers in Jerusalem ein Protestzelt und erklärten, Netanjahu habe zugesichert, dass es kein Abkommen gibt, wenn nicht die Rückführung der getöteten Soldaten garantiert wird. Das Büro des Premiers jedoch streitet ab, so etwas jemals versprochen zu haben.

Embargo Erdogan frohlockt, dass »dank der türkischen Regierung das Embargo gegen Gaza aufgehoben ist«. Sowohl Palästinenserpräsident Mahmud Abbas als auch die Hamas sähen die Vereinbarung positiv, fügte er hinzu und machte deutlich, dass er sich weiterhin für die »palästinensische Sache« einsetzen will.

Die diplomatischen Beziehungen sollen trotz dieser Worte rasch normalisiert werden. Schon in den nächsten Wochen wird der Austausch von Botschaftern in Ankara und Tel Aviv erwartet.

Allerdings sind sich viele Israelis sicher, dass es – zumindest in naher Zukunft – nicht so werden wird wie vorher, als die Türkei Urlaubsziel Nummer eins war und die Handelsverbindungen blühten. Jährlich pilgerten Hunderttausende Israelis an die Strände von Antalya und Alanya. Amos Harel, Kommentator der Haaretz, schreibt: »So lange, wie Erdogan an der Macht ist, können wir wohl nicht mehr erwarten als ein wirtschaftliches Upgrade, das mit dem Gas-Deal zu tun hat, und ein bisschen weniger Feindseligkeit aus Ankara.«

Auch der Chef der Partei Jesch Atid, Yair Lapid, äußerte sich: »Diese Vereinbarung ist nicht leicht zu verdauen. Aber es gibt nationale und Sicherheitsanliegen zwischen Ländern, die derartige Deals nötig machen.« Dennoch würden nun nicht alle Israelis sofort ins Reisebüro rennen und All-Inclusive-Reisen in die Türkei buchen. »Denn unser Nationalstolz hängt nicht von unserer Regierung ab, sondern von jedem Einzelnen von uns.«

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