Dialog

Tulpen aus Nes Ammim

Ein langer schlammiger Weg zieht sich durchs Niemandsland. In Sichtweite kein einziger Baum, kein Strauch, weit und breit nichts außer ödem, verwahrlostem Land. Mitten auf der matschigen Route kriecht mit Mühe ein kleiner gelber Autobus mit nur zwei von weit her gekommenen Passagieren. Es ist das Schweizer Ehepaar Pilon, das in diesem ausrangierten Bus mit defekten Bremsen von Nazareth über die Galiläischen Berge in Richtung Nes Ammim fährt.

Als Pilon mit seiner Frau Anfang der 60er-Jahre in Nes Ammim ankam, wusste er noch nicht, wie lang der Weg bis zur offiziellen Gründung des kleinen christlichen Dörfchens tatsächlich werden sollte: Als wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten christlichen Europäer den neu gegründeten jüdischen Staat betraten, um dort eine religiöse Siedlung zu errichten, fürchteten sich viele Rabbiner vor Missionaren. Empört gingen jüdische Holocaust-Überlebende im westlichen Galiläa und in Nahariah auf die Straße, um gegen die »versteckte Mission« zu demonstrieren.

Bindeglied »Dabei ist das Missionieren niemals unser Ziel gewesen«, erklärt Rainer Stuhlmann, der Studienleiter des Dorfs: »2000 Jahre lang dachten die Christen, sie wüssten mehr als die Juden und müssten sie daher bekehren. Nes Ammim repräsentiert nicht diese übliche arrogante Sichtweise, dass das Christentum das modernere und fortschrittlichere Judentum sei, sondern betrachtet Jesus als das Bindeglied zwischen Juden und Christen. Vor allem nach der Schoa wollte man den Juden hier in Israel helfen und gleichzeitig von ihnen lernen.«

Auch wollten die ersten Pioniere – damals waren es gerade einmal zehn bis 15 Leute – zum Aufbau des jungen Staates beitragen. Da die meisten von ihnen aus den Niederlanden kamen, bat man sie darum, Blumen für den Exporthandel zu züchten. Außerdem betrieben sie Avocadoplantagen und errichteten eine Schreinerei, die bereits nach wenigen Jahren Holztreppen für das ganze Land produzierte.

Später kamen auch deutsche Mitglieder hinzu. Sie beteiligten sich vor allem am Aufbau des örtlichen Hotels, das bis heute Nes Ammims wichtigste Einnahmequelle ist und neben Familien vor allem europäische Reisegruppen beherbergt.

Botanik So wurde Nes Ammim von einem Stückchen Ödland, das Pilon vor nahezu 50 Jahren von einem drusischen Scheich erworben hatte, zu einem der schönsten Dörfer in ganz Israel. Später interessierte sich auch die Universität Haifa für das Dorf und pflanzte dort im Rahmen eines Botanikprojektes zahlreiche Baumtypen an. Die Freiwilligen in Nes Ammim, deren Anzahl zu diesem Zeitpunkt bereits dreistellig war, ließen sich von der Idee inspirieren und begannen, für jedes im Örtchen geborene Kind einen Baum zu pflanzen: »Insgesamt sind hier seit der Gründung 129 Babys zur Welt gekommen«, erzählt Stuhlmann.

Noch bis 1999 belieferten die niederländischen Fachleute alle europäischen Länder mit israelischen Rosen aus dem kleinen Kibbuz im Norden des Landes. Dann eroberten die afrikanischen Staaten den westlichen Blumenmarkt mit ihren extrem günstigen Preisen, und die Nachfrage für die Nes-Ammim-Rosen ging rasant zurück.

Nun standen die Freiwilligen, die sich so engagiert für den Aufbau und die Erhaltung des Dorfes eingesetzt hatten, vor einem Dilemma: Was sollten sie tun? Wie könnten sie sich sonst noch an der Entwicklung des Landes beteiligen? Abreisen kam nach dem langen Kampf um die Baugenehmigung, dem anfänglichen Leben im Pilon-Bus und in Zelten und den vielen anderen Investitionen nicht infrage. Außerdem hatte man sich mit den Jahren mühsam das Vertrauen und den Zuspruch der Israelis erworben. Das alles war viel zu wertvoll, um so einfach weggeworfen zu werden.

So beschloss man, sich der politischen Probleme im Land anzunehmen und das Vertrauen der Nachbarn zu nutzen: »Wir sind ein europäischer Kibbuz, ein neutraler Ort, an dem sich sowohl christliche als auch jüdische und muslimische Gruppen wohlfühlen. Unser Fokus richtet sich auf die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede zwischen den Gruppen«, so Stuhlmann, der seine Arbeit als eine »kritische Solidarität mit Israel« beschreibt.

Botschafter »Mittlerweile beteiligen sich auch mehr muslimische Araber an unseren Projekten«, erläutert Peter Drankers, der Koordinator des Dialogs. Damit sich diese auch willkommen fühlen, hat man im Dorf, genauso wie überall in Israel, die alten zweisprachigen Straßenschilder gegen neue dreisprachige mit arabischen Aufschriften ersetzt.

»Als ich zum ersten Mal aus Holland hierherkam, stand ich der politischen Situation in diesem Land sehr kritisch gegenüber. Mittlerweile verstehe ich die Probleme hier und vor allem, dass sie viel komplexer sind, als sie anfänglich zu sein schienen«, erinnert sich Tjitte Dijkstra, der als ehemaliger Freiwilliger immer wieder in den Ort zurückkehrt und derzeit eine Fotoausstellung zu Nes Ammims 50. Jubiläum vorbereitet: »In der Vergangenheit haben wir Rosen exportiert, jetzt exportieren wir Botschafter von Ideen, die unsere Freiwilligen mitnehmen, wenn sie wieder nach Deutschland und die Niederlande zurückkehren.«

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