Geiseln

Traurige Gewissheit

Sie rufen, schreien und flehen, um das Leben ihrer Liebsten zu retten. Nach mehr als 600 Tagen sind die Angehörigen der sich immer noch in der Gewalt der Hamas befindenden Geiseln völlig verzweifelt. Für einige von ihnen gab es in der vergangenen Woche besonders beängstigende Botschaften.

So musste Einav Zangauker, die Mutter von Matan, der am 7. Oktober 2023 während des verheerenden Massakers der Hamas aus seinem Haus im Kibbuz Nir Oz entführt worden war, erfahren, dass das Leben ihres Sohnes in unmittelbarer Gefahr ist. Zum einen durch seinen fragilen Gesundheitszustand, wie die freigelassene Geisel Edan Alexander berichtet hatte, zum anderen, weil die radikal-islamistische Terrorgruppe nun damit drohte, ihn umzubringen, sollte die israelische Armee weiter vorrücken.

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Am Samstagabend verbreitete die Hamas ein neues Foto des 25-jährigen Israeli. Auf dem Bild sitzt er vermutlich in einem Tunnel im Gazastreifen, hinter ihm hängt an der Wand ein Infusionsbeutel. Die Familie stimmte der Veröffentlichung des Bildes in den Medien zu.

Die Hamas behauptete, israelische Truppen »belagern das Gebiet, in dem Zangauker in Gaza festgehalten wird«. Man werde ihn töten, sollten sich die Truppen weiter nähern. Mit zynischen Worten erklärte die Organisation weiter: »Wir haben sein Leben 20 Monate lang geschützt. Sollte dieser Gefangene bei einem Befreiungsversuch sterben, ist die Besatzungsarmee für seinen Tod verantwortlich«, so Abu-Obeida, der Sprecher der Al-Kassam-Brigaden, des militärischen Flügels der Hamas. »Dies ist eine letzte Warnung«, fügte er hinzu.

»Ich habe riesige Angst«

Die israelische Armee (IDF) betonte in einer Erklärung, dass kein Versuch unternommen worden sei, Zangauker zu befreien. Das Foto wurde veröffentlicht, als die Armee ihre Operationen im Gaza­streifen intensivierte. Anschließend erklärte Einav Zangauker, mittlerweile eine prominente Figur der Geiselbefreiungs- und Protestbewegung in Israel: »Ich mache mir solche Sorgen um Matans körperliches und emotionales Wohlbefinden. Ich habe riesige Angst vor einer weiteren Verschlechterung seines Zustandes.«

Es breche ihr Herz, »denn all das hätte ohne das politische Kalkül von (Premierminister Benjamin) Netanjahu vermieden werden können«. Dessen Regierung dagegen argumentiert, dass durch die militärischen Operationen die Geiseln befreit werden könnten. Einav Zangauker, eine ehemalige glühende Anhängerin von Netanjahu und der Likud-Partei, kritisiert den Premier immer wieder aufs Schärfste. Wenn Matan nicht lebend aus Gaza zurückkomme, »klebt das Blut meines Sohnes an Ihren Händen«, so die an Netanjahu gerichteten Worte der besorgten Mutter.

Pinta Nattapong war von den Terroristen der Mudschaheddin-Brigaden ermordet worden.

Auch für die Frau und den Sohn von Pinta Nattapong (36) gab es eine schreckliche Nachricht – eine, von der sie hofften, dass sie nie kommen würde. Denn bislang lautete sein Status, dass er als Geisel »in großer Lebensgefahr« schwebe. Doch jetzt ist es traurige Gewissheit: Pinta ist tot. Der Landarbeiter aus Thailand wurde am 7. Oktober lebend von Terroristen aus dem Kibbuz Nir Oz entführt und bereits vor Monaten ermordet. Sein Leichnam wurde am Freitag von der israelischen Armee im südlichen Gazastreifen geborgen und nach Israel überführt.

Pintas Ehefrau Narissara und ihr neunjähriger Sohn Weerapat hatten sich mehr als 600 Tage lang in Thailand an die Hoffnung geklammert, dass ihr Mann und Vater vielleicht noch am Leben sein könnte. »Ich sagte meinem Sohn, er solle stark sein – ›Lass uns auf Papa warten‹«, so Narissara Nattapong vor einigen Monaten in einem Interview im israelischen Fernsehen. Doch jetzt endete die Hoffnung auf grausame Weise.

Pinta war 2022 nach Israel gekommen, um seine Familie in der Heimat finanziell zu unterstützen. Sein Traum war es, eines Tages nach Hause zurückzukehren und gemeinsam mit seiner Frau ein Café zu eröffnen. Elf weitere thailändische Arbeiter wurden bei dem Hamas-Angriff getötet, zwei Thailänder befinden sich noch immer in der Gewalt der Hamas. Pinta Nattapong war von der Terrororganisation Mudschaheddin-Brigaden gefangen und ermordet worden. Diese Gruppe ist auch für das Kidnapping und den Mord an Shiri Bibas und ihren Kindern Ariel und Kfir verantwortlich. Nach eigenen Angaben tötete die IDF vor wenigen Tagen den Anführer der Gruppe, Asad Abu Scharia.

Das Paar hinterlässt vier Kinder und Enkel

Ebenso hatten die Mudschaheddin-Brigaden die Leichen von Gadi Haggai (73) und Judi Weinstein-Haggai (70) in Khan Younis im Süden des Gazastreifens in ihrer Gewalt. Auch sie wurden Anfang der Woche von der IDF geborgen und nach Hause gebracht. Die Informationen dazu kamen vom Inlandsgeheimdienst Schin Bet, der gefangene Terroristen verhört hatte. Die Weinstein-Haggais waren amerikanisch-israelische Doppelstaatsbürger und lebten im Kibbuz Nir Oz. Die Hamas hatte am 7. Oktober Gadi und Judy ermordet, als diese ihren morgendlichen Spaziergang durch den Kibbuz machten.

Das Paar hinterlässt vier Kinder und Enkel. Gadi arbeitete als Koch im Speisesaal des Kibbuz, Judy war Englischlehrerin und Achtsamkeitstrainerin. Die Familie begrüßte die Überführung der Leichname nach Israel. In einer Erklärung hieß es weiter: »Aber unsere Herzen sind erst dann ganz, wenn alle zwölf Geiseln aus Nir Oz und alle weiteren verschleppten Menschen wieder zu Hause sind.«

Gadi wurde 1950 im Kibbuz Ein HaSchofet im Norden des Landes geboren. Nach einigen Jahren in den USA kehrte er nach Israel zurück und lernte Judy kennen, die aus Amerika stammte und sich ehrenamtlich im Kibbuz engagierte. Beide heirateten und bekamen vier Kinder. 1994 zogen Gadi und Judy in den Kibbuz Nir Oz im Süden Israels. Dort lebten sie, bis die Hamas am 7. Oktober ein Blutbad in Israel anrichtete.

Ende der Ungewissheit

In Gaza hält die Hamas noch immer 55 Geiseln fest, darunter die Leichen von mindestens 33 von der israelischen Armee bestätigten Toten. Weitere 22 verschleppte Menschen sollen noch am Leben sein, bei zweien macht man sich jedoch große Sorgen um deren Gesundheitszustand.

»Die Rückkehr von Judy und Gadi ist schmerzhaft und bricht unsere Herzen. Doch gleichzeitig bringt es das Ende der Ungewissheit«, schrieb das Familienforum für die Geiseln, nachdem die Bergung der Leichen bekannt geworden war. »Ihre Rückkehr erinnert uns einmal mehr daran, dass es die Verpflichtung des Staates ist, alle nach Hause zu bringen, damit wir, die Familien – zusammen mit allen Bürgern Israels – den Prozess der Heilung beginnen können.«

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