Westjordanland

Tage der Gewalt

Israelische Grenzschutzpolizisten beim Einsatz im palästinensischen Dorf Huwara Foto: Flash90

Zwei palästinensische Terroranschläge mit drei toten Israelis, Ausschreitungen in einem Palästinenserdorf und Angriffe von extremistischen Siedlern gegen die Armee. Im Westjordanland herrscht seit Tagen die Gewalt. Die Lage ist so angespannt wie lange nicht.

Die israelische Armee verstärkte am Montag ihre Einheiten, nachdem am Tag zuvor die zwei israelischen Brüder Hallel und Yagel Yaniv (21 und 19 Jahre alt) von einem palästinensischen Terroristen erschossen worden waren. Ein Sprecher der IDF sagte, der palästinensische Schütze habe aus nächster Nähe auf das Auto der Yanivs geschossen und sei dann offenbar zu Fuß vom Tatort geflohen.

Nur einen Tag darauf erfolgte ein weiterer Anschlag: Der 27-jährige Elan Ganeles, der aus den USA stammt, wurde in der Nähe von Jericho ebenfalls in seinem Auto durch Schüsse getötet. Ganeles hatte als Soldat in der israelischen Armee gedient. Am Montag war er auf dem Weg zu einer Hochzeitsfeier in Jerusalem. Am Mittwochvormittag wurde nach den Tätern noch gefahndet.

Ausschreitungen Nach dem Anschlag vom Sonntag, so berichtete das Armeeradio Galgalatz, riefen verschiedene Gruppen auf, den Tod der Yaniv-Brüder zu rächen. Anschließend marschierten rund 400 gewalttätige Siedler in die palästinensische Stadt Huwara und wüteten stundenlang. Bei den Ausschreitungen zündeten sie Häuser, Autos und Geschäfte an. Ein Palästinenser wurde erschossen, vier weitere nach Angaben der Rettungsorganisation Roter Halbmond schwer und Dutzende leicht verletzt. Fotos und Videos in den sozialen Medien zeigten große Feuer, die in der Stadt loderten.

Premierminister Benjamin Netanjahu sprach den Familien der drei Terroropfer sein Beileid aus und rief gleichzeitig dazu auf, »auch wenn das Blut kocht, das Gesetz nicht selbst in die Hand zu nehmen«. Der Regierungschef forderte, dass die IDF und die Sicherheitskräfte ihrer Arbeit nachgehen dürfen. »Ich erinnere Sie daran, dass sie in den letzten Wochen Dutzende von Terroristen ins Visier genommen und Dutzende von Angriffen vereitelt haben. Lassen Sie die IDF ihre Verfolgung beenden. Gemeinsam werden wir den Terrorismus besiegen.«

Auch Präsident Isaac Herzog äußerte sich: »Das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen, zu randalieren und Gewalt gegen Unschuldige auszuüben – das ist nicht unsere Art, und ich spreche meine energische Verurteilung aus. Wir müssen der IDF, der Polizei und den Sicherheitskräften erlauben, den verabscheuungswürdigen Terroristen festzunehmen und die Ordnung sofort wiederherzustellen.«

Die Geschehnisse zogen auch Verurteilungen der Palästinensischen Autonomiebehörde, der Europäischen Union und aus den USA nach sich. Die Biden-Regierung sagte, sie erwarte von Israel, dass es die an dem Amoklauf Beteiligten strafrechtlich verfolge und den Palästinensern, deren Eigentum zerstört oder beschädigt wurde, eine Entschädigung zahle. Der Sprecher des Außenministeriums, Ned Price, nannte den Angriff auf Huwara »völlig inakzeptabel«.

abschreckung Finanzminister Bezalel Smotrich, der auch Minister im Verteidigungsministerium ist, »gefiel« ein Tweet des stellvertretenden Leiters des Regionalrats von Samaria, Davidi Ben Zion. Der schrieb, »das Dorf Huwara soll heute ausgelöscht werden. Die Abschreckung muss sofort erfolgen, und es gibt keinen Platz für Gnade«. Der Tweet wurde später gelöscht.

»Menschen, wir sind doch Brüder. Wir wollen Einheit.«

Esti Yaniv

Premierminister Benjamin Netanjahu äußerte sich am Montag dazu: »Es gibt keinen Platz für Anarchie, wo jeder tut, was er will. Das ist genau das, was unsere Feinde sehen wollen.« Gleichzeitig gelobte er, die Siedlungen auszuweiten und »gegen die Mörder und das sie unterstützende Umfeld« vorzugehen. »Gott wird ihr Blut rächen, und wir werden ihr Blut rächen«, so der Premier im Hinblick auf die Terroropfer. Er betonte, dass er mit »wir« nur die israelischen Streitkräfte und Sicherheitskräfte meine.

huwara Der Vorsitzende der Partei der Nationalen Einheit und ehemaliger Verteidigungsminister, Benny Gantz, beschuldigte Netanjahu, »die Sicherheit des Landes für die Politik zu verkaufen«. Es sei seine Regierung, die zu den Unruhen in Huwara führte, denn er habe eine »Regierung mit verantwortungslosen und rücksichtslosen Menschen gegründet, die das Land in Brand setzen«.

Am Montag warf eine Gruppe von Siedlern Steine auf israelische Streitkräfte, einer von ihnen versuchte, einen Offizier mit einem Pkw zu überfahren. Die IDF verurteilte »die schweren Vorfälle von Gewalt gegen israelische Truppen im Westjordanland«. Bezüglich eines anderen Vor-
falls am Sonntagabend gab die Armee an, ein hochrangiger Offizier sei von einer Gruppe Siedler angegriffen worden.

Verteidigungsminister Yoav Gallant machte klar, dass die Angriffe »jüdischer Randalierer auf IDF-Soldaten inakzeptable und sehr schwerwiegende Taten« seien. »Es wird keine Toleranz für diejenigen geben, die gegen das Gesetz verstoßen.«

sicherheit Die Sicherheitslage ist seit Monaten extrem angespannt. Dabei wurden noch am Sonntag bei einem überraschenden Treffen in der jordanischen Hafenstadt Akaba vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Israel und den Palästinensern vereinbart. An den ersten direkten Gesprächen beider Seiten seit Jahren nahmen auch Regierungsvertreter der USA, Jordaniens und Ägyptens teil.

Verteidigungsminister Yoav Gallant machte klar, dass die Angriffe »jüdischer Randalierer auf IDF-Soldaten inakzeptable und sehr schwerwiegende Taten« seien.

Israelis und Palästinenser wollten »einseitige Maßnahmen« für drei bis sechs Monate aussetzen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Israel verpflichtete sich demnach, vier Monate lang keine Diskussionen über den Bau neuer Siedlungen im Westjordanland zu führen und sechs Monate lang keine neuen Siedlungs-Außenposten zu genehmigen.

Allerdings twitterte Netanjahu direkt im Anschluss, man habe sich zu keinem Baustopp verpflichtet. Der Ausbau und die Legalisierung von Siedlungen im Westjordanland sollten wie geplant weitergehen.

Appell Unterdessen gaben am Montag Tausende von Trauernden den Yaniv-Brüdern das letzte Geleit auf dem Herzlberg. Ihre Eltern hatten sich zuvor mit einem Appell zur Einheit an die Israelis gewandt: »Menschen, wir sind doch Brüder.«

Esti und Shalom Yaniv sprachen über ihren unermesslichen Schmerz, ihre Kinder verloren zu haben, und plädierten gleichzeitig für die Einheit im Volk. Kurz vor der Beerdigung sagte die Mutter der beiden Ermordeten vor ihrem Haus in der Siedlung Har Bracha: »Worte können diese Katastrophe nicht beschreiben. Anstatt die Kinder zum Hochzeitsbaldachin zu bringen, müssen wir sie begraben.«

Sie ging auch auf die Zerrissenheit innerhalb der israelischen Gesellschaft ein: »Ich habe meinen Söhnen immer gesagt, dass man eine vereinte Familie bleiben muss. Wir sind ein brüderliches Volk.« Sie habe ihre beiden Kinder zur Armee geschickt. »Wir haben sie nicht als politisches Instrument benutzt. Es ist verboten, der Armee zu schaden. Wir lieben das Land, wir lieben die Armee – und wir wollen Einheit.«

Der Vater der Brüder, Shalom Yaniv, bat, dass dies der letzte Anschlag sei, und »dass alle Kinder heiraten, selbst Kinder haben und Häuser bauen können«. Hallel hatte vor Kurzem seinen Armeedienst in der Marine als stellvertretender Kommandant in einem Raketenboot beendet. Er hatte die Armee mit dem Studium an einer Jeschiwa koordiniert. Auch sein Bruder Yagel wollte sich einer Eliteeinheit in der Armee anschließen. Oberrabbiner David Lau hielt eine der Trauerreden: »Wenn wir hier stehen, neben einem frischen Grab, wie können wir getröstet werden?«

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