Flüchtlinge

Status ungewiss

Afrikaner in der Haftanlage Holot in der Negevwüste Foto: Flash 90

Israel hat sein ganz eigenes Flüchtlingsdilemma. Vor etwa zehn Jahren kamen die ersten. Es waren Hunderte, die jeden Tag am löchrigen Zaun an der Grenze zu Ägypten standen und um Einlass bettelten. Verzweifelte Männer, Frauen, Teenager, Kleinkinder, die meisten aus Eritrea und dem Sudan. Heute ist die Grenze dicht, doch die hier lebenden 45.000 Menschen haben keinen offiziellen Status, sind lediglich geduldet. Zum dritten Mal versuchte die Regierung jetzt, das Anti-Infiltrierungs-Gesetz zu verschärfen. Doch das Oberste Gericht urteilte dagegen.

Damals versorgten IDF-Soldaten die Menschen an der Grenze so gut es ging mit Wasser, Lebensmitteln, Windeln, dem Nötigsten. Kaum jemand hatte mit einer plötzlichen Flut von afrikanischen Flüchtlingen gerechnet. Doch die Landverbindung zwischen Afrika und Israel durch die Wüste Sinai, wo die beduinischen Schleuserbanden schon warteten, ebnete den Weg.

Holot Viele der Männer wurden sofort nach ihrer Ankunft in Gefängnisse gesteckt. Der Vorwurf: illegale Einwanderung. Doch das Oberste Gericht urteilte seinerzeit, dass man illegale Immigranten vor ihrer Abschiebung zwar inhaftieren könne – da die Menschen aus Eritrea und dem Sudan allerdings nicht in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden könnten, gebe es keinerlei rechtliche Grundlage für die Haft.

Die Regierung umging dieses Urteil mit dem Bau von Holot, euphemistisch »Wohnanlage« genannt. Tatsächlich ist Holot ein offenes Gefängnis inmitten der Negevwüste. Hier hinein wurden viele Afrikaner ohne jede Zeitbegrenzung gesteckt. Zwar durften sie die Einrichtung tagsüber verlassen, doch mussten sie sich abends (und anfangs auch tagsüber) wieder zurückmelden, was eine geregelte Arbeit fast unmöglich machte.

Im Wissen, dass die ungeregelte Inhaftierungszeit gesetzwidrig ist, versuchte die Regierung Netanjahu nun in einem Gesetzesvorschlag, »20 Monate für illegale Einwanderer« durchzudrücken. In ihrer Urteilsbegründung argumentierten die Richter allerdings, dass die Dauer »maßlos« sei und kassierten das Gesetz. Alle Insassen, die länger als ein Jahr in Holot verbracht haben, müssen mit sofortiger Wirkung freigelassen werden. Von derzeit 1700 sind das 1200. »Diese Dauer ist gegen die Verfassung und jegliches Recht«, schrieb Gerichtspräsidentin Miriam Naor zum Mehrheitsentscheid von acht zu eins. »Die Freiheit eines Menschen ist die Basis seiner Existenz. Ihn dieser zu berauben, auch nur für einen Tag, verletzt seine Rechte in wesentlichem Maße.«

Mitgefühl Außerdem, erläuterte die Präsidentin, könnten diese Immigranten nicht abgeschoben werden und stellten auch keine Gefahr für den Staat oder dessen Bewohner dar. »Ihre einzige Sünde war die Überquerung der Grenze. Doch dafür darf der Staat sie nicht bestrafen.« Naor fügte hinzu, dass sie sich als Bürgerin mehr Mitgefühl von den Israelis wünscht, und rief die Regierung auf, humane Lösungen zu finden. Es gehe nicht nur um internationales Recht, sondern auch um die jüdische Weltsicht. »Holot ist definitiv nicht, was ich dabei im Sinne habe.«

Doch das Gericht bestätigte auch grundlegende Bestandteile des von der Knesset ausgearbeiteten Gesetzes. Dazu gehört, dass Neuankömmlinge drei Monate lang im Gefängnis festgehalten werden können. Premierminister Netanjahu lobte die Entscheidung: »Im Prinzip wurde die Sicht der Regierung bestätigt. Die nötigen Änderungen werden wir vornehmen.«

Menschenrechtsorganisationen, die die Petition eingereicht hatten, die Gesetzesänderung abzulehnen, interpretierten das Urteil auf ihre Weise: »Das Gericht hat zum dritten Mal deutlich gemacht, dass die Gesetzgeber wieder einmal nicht nachgedacht haben, als sie Tausende von Menschen ihrer Freiheit berauben wollten.« Eine, die das ganz anders sieht, ist Justizministerin Ayelet Schaked (Jüdisches Haus). Die Rechtsaußenpolitikerin äußerte sich bereits vor dem Urteil auf ihrer Facebook-Seite mit Warnungen an das Gericht: »Wenn die Änderungen abgelehnt werden, ist das eine öffentliche Erklärung, dass der Süden von Tel Aviv die offizielle Einrichtung ist, um illegale Einwanderer aufzunehmen.« Zudem schrieb sie, dass sie alle zwei Stunden Videos vom »unerträglichen Leben der Menschen im Süden der Großstadt einstellen« werde.

Kritiker warfen ihr daraufhin vor, dass sie ihren Status als Justizministerin missbrauche und mit ihren Äußerungen die Unabhängigkeit der Justiz gefährde. Andere indes finden ihr Verhalten nicht erstaunlich, denn Schaked hat sich offiziell auf die Fahnen geschrieben, die Macht des Obersten Gerichts beschränken zu wollen.

Anträge In Israel leben heute ungefähr 46.000 afrikanische Flüchtlinge. Etwa drei Viertel stammen aus Eritrea, 20 Prozent aus dem Sudan und der Rest aus anderen afrikanischen Staaten wie dem Kongo oder der Elfenbeinküste. Die meisten wohnen im Süden von Tel Aviv, das heute von vielen Städtern sarkastisch »Klein-Afrika« genannt wird, und haben Asyl beantragt. Doch zum Teil werden ihre Anträge jahrelang verzögert oder schlicht nicht bearbeitet. Weniger als zehn Antragstellern aus Afrika ist in den vergangenen Jahren politisches Asyl gewährt worden. Während die Regierungspolitik in den ersten Jahren nach ihrem Ankommen darin bestand, die Menschen zu ignorieren, wird derzeit versucht, so viele wie möglich in Drittstaaten abzuschieben. Mit einigen Tausend Dollar in der Tasche setzt man sie ins Flugzeug nach Uganda oder Ruanda. Die Geschichten derjenigen, die dort ankommen, erzählen allerdings von Hoffnungslosigkeit. Sie dürften nicht arbeiten, sich zum Teil nicht einmal im Land aufhalten, erzählen jene, mit denen israelische Hilfsorganisationen und Universitäten gesprochen haben.

Während sich die meisten Israelis einig sind, dass das kleine Land keine Hunderttausende oder gar Millionen von Flüchtlingen aus Afrika aufnehmen kann, gehen die Meinungen über ihre Behandlung weit auseinander. Viele sind der Auffassung, dass alle, die bereits hier sind, mit Grundrechten ausgestattet und in die Gesellschaft integriert werden sollten. Die meisten der Flüchtlinge arbeiten heute – vornehmlich im Hotel- oder Gastronomiegewerbe in Eilat und Tel Aviv. Sie verrichten Arbeiten, die früher Palästinenser aus Gaza erledigten. Die aber dürfen heute aus Sicherheitsgründen nicht mehr nach Israel einreisen.

Im Allgemeinen werden die Flüchtlinge von ihren Chefs sehr geschätzt und unterstützt. Der Musikclub Levontin 7 in Tel Aviv veranstaltet regelmäßig afrikanische Nächte, in denen sie ihre Musik und Kultur vorstellen und auf ihr Schicksal aufmerksam machen können. Für den Top-Fernsehkoch und Restaurantbesitzer Eyal Schani arbeiten nahezu 100 Eritreer und Sudanesen in seinen angesagten Lokalen. Schani lobt seine Angestellten aus Afrika immer wieder für ihren Fleiß und ihre Zuverlässigkeit. »Ohne sie«, sagte er bei einer Demonstration gegen ihre Abschiebung, »würden unsere Läden schlicht zusammenbrechen.«

Sarah Davies, Presseverantwortliche des IKRK

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