Jerusalem

Starkes Signal gegen Antisemitismus

Bei der Gedenkveranstaltung zum 5. World Holocaust Forum in Yad Vashem Foto: dpa

Er begann mit einem hebräischen Segensspruch. »Gepriesen sei der Herr, … dass er mich heute hier sein lässt.« Als erstes deutsches Staatsoberhaupt hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Yad Vashem gesprochen. Bei der zentralen Gedenkveranstaltung zum 5. World Holocaust Forum am Donnerstag in Jerusalem haben sich mehr als 40 Staatsoberhäupter und gekrönte Häupter Europas verpflichtet, den Kampf gegen den wachsenden Antisemitismus aufzunehmen. Gemeinsam erinnerten sie an die sechs Millionen jüdischen Männer, Frauen und Kinder, die von den Nazis ermordet wurden.

Englisch »Welche Gnade, welches Geschenk, dass ich heute hier in Yad Vashem zu Ihnen sprechen darf«, sagte Steinmeier in seiner emotionalen Rede, die er nachfolgend auf Englisch hielt. »Dieser Ort erinnert an Ida Goldiş und ihren dreijährigen Sohn Vili. Im Oktober wurden sie aus dem Ghetto Chișinău deportiert, und im Januar, in bitterster Kälte, schrieb Ida ein letztes Mal an ihre Eltern und an ihre Schwester: ›Ich bedaure aus tiefster Seele, dass ich beim Abschied die Bedeutung des Augenblicks nicht erfasste, … dass ich dich nicht fest umarmt habe, ohne loszulassen.‹«

»Deutsche haben sie verschleppt. Deutsche haben ihnen Nummern auf die Unterarme tätowiert. Deutsche haben versucht, diese Menschen zu entmenschlichen, zu Nummern zu machen, im Vernichtungslager jede Erinnerung an sie auszulöschen. Es ist ihnen nicht gelungen. Ida und Vili waren Menschen. Und Menschen bleiben sie in unserer Erinnerung.«

Der Bundespräsident bekannte sich zu der deutschen Schuld am Holocaust und versicherte den Schutz jüdischen Lebens. »Die Flamme von Yad Vashem erlischt nicht. Und unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht.«

»Die Flamme von Yad Vashem erlischt nicht. Und unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht.»Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

»Wir bekämpfen den Antisemitismus! Wir trotzen dem Gift des Nationalismus! Wir schützen jüdisches Leben! Wir stehen an der Seite Israels. Dieses Versprechen erneuere ich hier in Yad Vashem vor den Augen der Welt.«

»75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz stehe ich als deutscher Präsident vor Ihnen allen, beladen mit großer historischer Schuld. Doch zugleich bin ich erfüllt von Dankbarkeit: für die ausgestreckte Hand der Überlebenden, für das neue Vertrauen von Menschen in Israel und der ganzen Welt, für das wieder erblühte jüdische Leben in Deutschland.« Steinmeier erhielt großen Applaus für seine Rede – und eine Umarmung des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin.

Demokratie Der hatte als Erster während der Gedenkveranstaltung gesprochen, den Gästen aus aller Welt für ihre Teilnahme und ihre Verpflichtung gedankt, der Schoa zu gedenken. Rivlin warnte, dass Demokratie nicht als selbstverständlich angesehen werden darf. Das jüdische Volk wisse, dass, »wenn wir uns nicht erinnern, sich die Geschichte wiederholen kann«.

Keine Demokratie oder keine Gesellschaft ist immun gegen Antisemitismus.

Antisemitismus ende nicht bei den Juden. »Rassismus und Antisemitismus sind bösartige Krankheiten, die Völker und Nationen zerstören, und keine Demokratie oder Gesellschaft ist davor immun.« Israel sei keine Kompensation für den Holocaust. »Es wurde gegründet, weil es unsere Heimstätte ist. Israel ist nicht länger Opfer. Wir werden uns und unser Volk immer verteidigen.«

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu bestätigte dies mit den Worten, dass man sich – trotz der Dankbarkeit für Allianzen und Freundschaften in der Welt – stets darauf besinne, dass »wir uns selbst verteidigen müssen – durch uns selbst«. Er würdigte den Kampf der Alliierten und den Sieg über Nazideutschland. Sie hätten dafür einen immensen Preis zahlen müssen. »Doch gerade heute müssen wir sagen: Für sechs Millionen Juden, darunter eineinhalb Millionen Kinder, wurden die Tore zur Hölle zu spät geschlossen.« Auschwitz sei für die Juden »das ultimative Symbol jüdischer Hilflosigkeit«. Doch mit Israel habe man »dagegen eine Stimme, ein Land und ein Schutzschild«.

Tyrannen Dennoch sei man besorgt. Denn man müsse das »am meisten antisemitische Regime auf dem ganzen Planeten bekämpfen: die Tyrannen in Teheran, die ihr eigenes Volk unterdrücken, die Weltsicherheit bedrohen und den einzigen jüdischen Staat zerstören wollen«.

Anschließend sprachen die heutigen Staatschefs der damaligen alliierten Mächte, darunter Russlands Präsident Wladimir Putin, der die Bedeutung der Roten Armee im Kampf gegen Nazideutschland hervorhob, der Vize-Präsident der USA, Mike Pence, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Thronfolger Prinz Charles. Macron rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, »diese Barbarei niemals zu vergessen«. Man dürfe nicht aufgeben und müsse weiterkämpfen, »jeder Einzelne von uns durch Gesetze, Botschaften und Wachsamkeit. Bildung ist unser Gegenmittel«.

Zentralrat Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, nimmt als Mitglied der Delegation des Bundespräsidenten am World Holocaust Forum teil. Im Vorfeld der Veranstaltung sagte er: »Im Gedenkjahr 2020 blicken wir heute auf Israel. Für Tausende von Juden bedeutete die Auswanderung nach Palästina die Rettung vor der Schoa. Zu vielen blieb diese Rettung jedoch leider verwehrt. Nach dem Krieg und bis heute ist Israel zur sicheren Heimat von Millionen von Menschen geworden, und viele Schoa-Überlebende konnten sich in Israel ein neues Leben aufbauen. Für die Freiheit und Unabhängigkeit des Staates haben zugleich viele Israelis ihr Leben geopfert. Am heutigen Tag möchten wir Israel ausdrücklich danken. Seine Existenz darf niemals infrage stehen«.

Am Ende der Gedenkveranstaltung entzündeten die Holocaust-Überlebenden Rose Moskovitz und Colette Avital zwei Fackeln der Erinnerung. Danach legte jeder der Staatsgäste im Namen seiner Nation einen blumengeschmückten Kranz ab und verneigte sich vor den sechs Millionen Toten. Im Sinne des Zitats des Vorsitzenden von Yad Vashem, Avner Shalev: »Nie wieder ist jetzt!«

Lesen Sie hier die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im vollständigen Wortlaut.

Berlin

Merz bekräftigt: Regierungschef Israels muss Deutschland besuchen können

»Er ist ein demokratisch gewählter Ministerpräsident der einzigen Demokratie der gesamten Regionen«, betont der Kanzler

 14.05.2025

Israel

Steinmeier: Deutschland vergisst Geiseln nicht

Noch immer hat die Hamas 58 israelische Geiseln in ihrer Gewalt, darunter auch Deutsche. Bei einem Besuch in Be’eri spricht der Bundespräsident Steinmeier von einer »offenen Wunde«. Und er gibt eine Zusage

 14.05.2025

Johann Wadephul

Deutsche Staatsräson bekräftigt

Seine erste Reise außerhalb Europas führte den neuen deutschen Außenminister nach Israel

von Sabine Brandes  14.05.2025

Nahost

Trump: Syrien sollte Israel anerkennen

Der US-Präsident spricht sich für eine Normalisierung in den Beziehungen der beiden Länder aus

 14.05.2025

Nahost

Israels Armee fordert erneut Evakuierung von Häfen im Jemen

Die Huthi greifen regelmäßig Israel an – zuletzt heute. Die IDF schlagen immer wieder zurück. Nun steht offenbar ein weiterer Angriff auf Häfen im Jemen bevor

 14.05.2025

Tel Aviv

Steffen Seibert: Schicksal der israelischen Geiseln geht mir sehr nah         

Botschafter Steffen Seibert kennt viele Angehörige der noch immer verschleppten israelischen Geiseln persönlich und beschreibt ihre Verzweiflung. Auch ihn selber bewegen die Ereignisse

von Hannah Krewer  14.05.2025

Schweiz

Das Leben feiern

In diesem Jahr findet der ESC in Basel statt. Israel ist seit 1973 vertreten – ein persönlicher Rückblick

von Jan Feddersen  14.05.2025

Israel/Gaza

Steinmeier und Macron kritisieren Netanjahu wegen Kriegsführung

Wenn US-Präsident Donald Trump den Nahen Osten nach seinem Besuch wieder verlässt, will Israel seine neue Anti-Terror-Offensive in Gaza starten

 14.05.2025

Terror

Palästinenser und Huthi greifen Israel mit Raketen an

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier musste sich in Sicherheit bringen

 14.05.2025