Corona

Sommer ohne Ferien?

Aufgrund der drei landesweiten Lockdowns mussten Schüler nahezu ein Jahr lang per Fernunterricht lernen. Foto: Flash 90

Jedes Jahr am letzten Tag vor den Ferien steigen die Temperaturen in Israel auf über 30 Grad. Ohne Ausnahme. Doch dieser 30. Juni könnte die
Schüler besonders ins Schwitzen bringen. Denn es soll sie nicht geben – die großen Ferien. Nach Meinung des Bildungsministeriums in Jerusalem sollen bis zur elften Jahrgangsstufe alle Klassen durchgehend unterrichtet werden. Auch im Juli und August.

Ein Aufschrei geht beim Gedanken daran durch viele Haushalte. Bei einigen vor Freude, bei anderen aus Schock. Vom monatelangen Heimunterricht während der Corona-Pandemie noch immer gestresste Eltern sind glücklich in Anbetracht der Aussicht, ihre Sprösslinge nicht für zwei weitere Monate von morgens bis abends beschäftigen zu müssen.

Viele Lehrer sind nach einem Jahr Mehrarbeit und Zoom-Unterricht urlaubsreif.

Wie Elinor Rais, Mutter von Zwillingen im Grundschulalter. »Ich finde es wunderbar. Nicht nur für mich, sondern besonders für die Kinder. Sie haben in der Corona-Zeit so viel Stoff verpasst und eine Menge sozialer Kontakte verloren. Ich kann mir vorstellen, dass die beiden Monate meinen Jungs helfen werden, sich wieder in das Schulsystem einzufinden. Und mir die nötige Zeit geben, um mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.«

URLAUB In den Urlaub will Familie Rais ohnehin nicht fahren. Die Mutter hatte schon zu Beginn der Pandemie als Selbstständige die meisten ihrer Auftraggeber und damit fast die Hälfte des Familieneinkommens verloren. »Außerdem würde ich mich im Ausland noch nicht sicher fühlen. In den meisten Ländern sieht es in Sachen Virus ja viel schlechter aus als hier.« Sie müssten finanziell erst einmal wieder auf die Beine kommen, »bevor wir überhaupt an eine Fernreise denken können«.

David Daron aus Tel Aviv aber will seine Tochter im Sommer nicht in die Schule schicken, selbst wenn Unterricht tatsächlich stattfinden sollte. »Ich warte jeden Tag darauf, dass ich endlich wieder reisen kann.« Seiner Meinung nach würden Kinder viel mehr lernen, wenn sie ihren Horizont in anderen Ländern erweitern, als immer nur die Schulbank zu drücken. »Es ist eine meiner großen Leidenschaften, meinen Kindern die Welt zu zeigen. Das lasse ich mir von keinem Bildungsminister nehmen. Sobald das Reisen wieder möglich ist, sitzen wir im Flieger.«

Doch das Ministerium wartet mit harten Fakten auf. Der Verlust des Wissens sei gravierend, die zusätzlichen Wochen nötig, um Defizite beim Lernen auszugleichen. Bei den Erst- und Zweitklässlern sei die Lesefähigkeit um 30 Prozent gesunken, bei Schülern der vierten, fünften und sechsten Klassen die Leistungen in Mathematik und Sprachen um 25 Prozent. Hinzu kämen gravierende soziale und emotionale Defizite.

MASKEN Durch die drei landesweiten Lockdowns seit März 2020 waren die Schulen monatelang geschlossen. Viele Schüler, vor allem der Jahrgangsstufen fünf bis zehn, hatten mit wenigen Unterbrechungen nahezu ein Jahr lang per Fernunterricht lernen müssen.

Mittlerweile sind alle israelischen Kinder und Jugendlichen zurück an den Schulen. Auch sind sämtliche Obergrenzen in den Klassen sowie Beschränkungen bei den Tagen oder der Stundenzahl aufgehoben worden. Die Maskenpflicht besteht jedoch weiterhin in den Innenräumen der Schulen. Nur auf dem Pausenhof, in der Sportstunde sowie zum Essen und Trinken dürfen die Mädchen und Jungen den Gesichtsschutz abnehmen.

Der Plan, erklärte der Generaldirektor im Bildungsministerium, Amit Edri, sei bereits ausgearbeitet, jedoch noch nicht vollständig von der Regierung bestätigt. Auch sei nicht klar, woher das zusätzliche Geld kommen soll. Edri hob jedoch hervor, dass die Lehrer »mit an Bord sind«, alle Schüler bis zur elften Klasse im kommenden Sommer zu unterrichten.

Besonders angesichts der vielleicht schon bald bevorstehenden Impfungen von israelischen Kindern mit dem Vakzin des Herstellers BioNTech/Pfizer befürworten verschiedene Politiker die Verlängerung der Schulmonate. Zudem geht die Sorge vor Varianten des Coronavirus um, die durch ins Ausland reisende Israelis eingeschleppt werden könnten.

Die Vereinigung der Kinderärzte in Israel startete jetzt einen Aufruf an Eltern und Allgemeinärzte, Kinder unter 16 Jahre impfen zu lassen, sobald die Genehmigung der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung, FDA, da sei. »Das BioNTech/Pfizer-Vakzin, das in Israel verabreicht wird, ist zu 100 Prozent effektiv, die Krankheit bei Kindern der Altersgruppe zwölf bis 15 zu verhindern«, hieß es.

GEBOT Eine Woche zuvor jedoch hatte eine Gruppe von 93 israelischen Ärzten die Regierung aufgefordert, die Impfungen von Kindern nicht zu erzwingen. »Man muss beachten, dass wir nicht alles über das Virus und die Impfung dagegen verstehen«, schrieben sie. »Und das erste Gebot der Medizin ist es, keinen Schaden zuzufügen.« Zu den Unterzeichnern gehören viele leitende Mediziner verschiedener Krankenhäuser und Universitäten.

Vor einigen Wochen hatte auch Premierminister Benjamin Netanjahu seine Meinung zum Verzicht auf die Ferien kundgetan: »Wir müssen den Kindern die Möglichkeit geben, das aufzuholen, was sie verpasst haben.« Zugleich werde man auf die Rechte der Lehrer achten. »Gemeinsam mit den Ministern für Bildung und Finanzen werde ich die volle Verantwortung dafür übernehmen, dass sie bezahlt werden.« Netanjahu will, dass die Schüler zumindest im Juli unterrichtet werden.

Vor einigen Wochen hatte auch Benjamin Netanjahu seine Meinung zum Verzicht auf die Ferien kundgetan: »Wir müssen den Kindern die Möglichkeit geben, das aufzuholen, was sie verpasst haben.«

Die Mittelschullehrerin Lea S. will davon nichts wissen, egal, ob sie eine Sonderzahlung erhält oder nicht. Wie die meisten ihrer Kollegen ist sie Mitglied der Lehrergewerkschaft. »Auch wir haben extrem unter der Corona-Pandemie gelitten. Wir haben so viel zusätzlich gearbeitet, um die Schüler bei der Stange zu halten und den Stoff per Zoom zu vermitteln«, sagt sie. »Es war schwer, und ich bin völlig urlaubsreif.«

Die Lehrerin kann sich nicht vorstellen, dass die Gewerkschaft zustimmen würde, sämtliches Bildungspersonal beide Sommermonate unterrichten zu lassen. »Auch wir brauchen eine Pause. Das ist doch wohl klar.«

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