Wahlen

Solide Mehrheit

Mehrheit für Likud und Rechtsreligiöse in der Knesset Foto: Flash90

Die Regierungsbildung in Jerusalem hat begonnen. Nach fünf Wahlen in dreieinhalb Jahren war die vergangene am 1. November entscheidend. Trotz einer nahezu in der Mitte gespaltenen Wählerschaft gewann der religiös-rechte Block eine solide Mehrheit in der 25. Knesset Israels.

Der rechtsgerichtete Likud des ehemaligen Premierministers Benjamin Netanjahu wurde mit 32 Mandaten stärkste Partei. Sein Gewinn macht eine Koalition aus dem Likud, ultraorthodoxen und rechtsradikalen Fraktionen wahrscheinlich. Nach der Zentrumspartei Jesch Atid des noch amtierenden Premierministers Yair Lapid (24 Mandate) wurde das rechtsextreme Bündnis Religiöser Zionismus die drittstärkste Kraft mit 14 Sitzen.

Das Büro von Präsident Isaac Herzog teilte am Sonntag mit, dass er in der Mitte der Woche in seiner Residenz mit den offiziellen Konsultationen mit den Anführern der Parteien beginnen werde. Die Treffen sollen für alle zugänglich und live übertragen werden. Es wird erwartet, dass Herzog Netanjahu offiziell mit der Bildung der nächsten Regierung beauftragt. Die könnte aus 64 der 120 Sitze in der Knesset bestehen und neben dem Likud aus den ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum sowie dem Bündnis Religiöser Zionismus der Parteien Otzma Jehudit, Tekuma und der Anti-LGBTQ-Gruppe Noam gebildet werden.

reform Mit den Vertretern von Otzma Jehudit und Tekuma, dem Rechtsextremen Itamar Ben-Gvir und seinem nicht wesentlich gemäßigteren Verbündeten Bezalel Smotrich traf sich Netanjahu zu ersten Gesprächen am Montag. Angeblich verlangt das Paar mehrere Ministerien und eine Reform des Regierungs- und Justizsystems. Auch das säkulare Bildungssystem solle überholt werden. »Ansonsten macht ein Beitritt zur Regierung keinen Sinn«, so Ben-Gvir.

Ben-Gvir avancierte von der Persona non grata zu einer der populärsten Figuren des Wahlkampfs.

»Wir sind auf dem Weg zur Bildung einer vollwertigen Rechtsregierung, die den Menschen, von denen einige Angst haben, im Negev und in Galiläa herumzulaufen, in die Augen schaut, ihnen ihre Sicherheit zurückgibt und ihnen ihre Regierungsgewalt zurückgibt«, ließ er nach dem Gespräch wissen. »Wir haben viel Arbeit vor uns.« Trotzdem traf sich Netanjahu auch allein mit Smotrich. Der Likud-Vorsitzende begann zudem informelle Gespräche mit den Anführern der beiden Fraktionen des Vereinigten Tora-Judentums, Moshe Gafni und Yitzhak Goldknopf.

diaspora Viele westliche Verbündete und jüdische Gruppen der Diaspora haben große Besorgnis über die Aussicht geäußert, dass Ben-Gvir eine Kabinettsposition in Netanjahus zukünftiger Regierung bekleiden könnte. Es wurde mehrfach berichtet, dass die US-Regierung ihn boykottieren könnte, wenn er Teil einer Koalition in Jerusalem wäre.

Noch bei den vergangenen Wahlkämpfen galt er als nicht salonfähig. Netanjahu bestätigte damals, er werde kein Minister. Doch bei diesen Wahlen änderte sich für den 46-Jährigen, der wegen Anstiftung zur Gewalt mehrfach verurteilt wurde und aufgrund seiner extremistischen Gesinnung nicht in der Armee dienen durfte, alles. Mittlerweile sagte auch Netanjahu, dass er »durchaus ein Minister sein« könne.

Von der Persona non grata avancierte er zu einer der populärsten Figuren während des Wahlkampfes. Ob in der jüdischen Hardcore-Siedlung Kirjat Arba, in charedischen Stadtteilen Jerusalems oder im Norden Tel Avivs bei den Treffen der israelischen Pfadfinder Zofim: Seine vor allem jungen Wähler standen Schlange, um Selfies mit ihm zu knipsen.

erfolg Ihren Erfolg verdanken Ben-Gvir und seine Verbündeten sicher mehreren Umständen. Letztendlich aber war es auch die Eintrittshürde in die Knesset von 3,25 Prozent der Wählerstimmen, die dem rechts-religiösen Block den großen Gewinn bescherte. Sowohl die Linkspartei Meretz als auch die arabische Balad schafften es nicht ins Parlament.

Bedeutsam war auch, wer in größerer Zahl zur Wahl gegangen war – und wer nicht.

Bedeutsam war auch, wer in größerer Zahl zur Wahl gegangen war – und wer nicht. Mitte- und linksgerichtete Städte im Zentrum des Landes, wie Tel Aviv, Herzliya und Raanana, verzeichneten gegenüber 2021 eine praktisch unveränderte Wahlbeteiligung. Im Gegensatz dazu gingen in eher rechtsgerichteten Städten wie Beer Sheva, Jerusalem oder Aschkelon drei bis sieben Prozent mehr Menschen an die Urnen. Der Anstieg der Wahlbeteiligung kam somit größtenteils aus rechtsgerichteten Bereichen.

Doch das erklärt Ben-Gvirs kometenhaften Aufstieg in der israelischen Politik nicht. Während er bei der Wahl 2020 nicht einmal 0,5 Prozent der Wähler, hauptsächlich Siedler, auf sich vereinen konnte, holte er nur zwei Jahre darauf Stimmen im ganzen Land. Ein Grund ist sicherlich seine charismatische Persönlichkeit. Er gibt sich offenherzig und versichert immer wieder, »gelernt« und sich »geändert« zu haben. Noch 2019 aber hing in seinem Wohnzimmer ein Foto des berüchtigten jüdischen Terroristen Baruch Goldstein, der 1994 bei einem Massaker 29 muslimische Beter in einer Moschee erschoss und 125 weitere verletzte.

protest Das Votum war zugleich ein Protest gegen altgediente politische Parteien der Charedim. Kurz vor der Wahl drängte Rabbi Yitzhak Goldknopf, der Anführer des Vereinigten Tora-Judentums, seine Anhänger noch zur anhaltenden Abschottung von der israelischen Gesellschaft. Zudem sollten, so der Rabbiner, die Mitglieder der Gemeinde nicht arbeiten gehen.

Aussagen wie diese stießen aber vielen, vor allem jüngeren Mitgliedern übel auf, die sich öffnen wollen – was fast schon einem Beweis für die zunehmende Diversität innerhalb der Gemeinde gleichkam. Auch die engere Verbindung zwischen den Charedim und den sogenannten Chardalim, eine Bezeichnung für ultraorthodoxe Nationalisten, spielte eine Rolle bei dem Ergebnis.

Vor allem bei jenen, die vorher nicht gewählt hatten, sei Ben-Gvir erfolgreich gewesen.

Vor allem bei jenen, die vorher nicht gewählt hatten, sei Ben-Gvir erfolgreich gewesen. »Er gab entrechteten ultraorthodoxen Jugendlichen, die das Gefühl haben, vom ultraorthodoxen Establishment an den Rand gedrängt zu werden, ein nationalistisches Ventil«, erklärt Tamar Hermann, Professorin für Politikwissenschaft und Mitglied des Israel Democracy Institute.

phänomen Hermann sieht das Phänomen Ben-Gvir in einem Zusammenhang mit dem Aufstieg der europäischen Rechten. »Die Menschen haben nicht das Gefühl, dass die Demokratie geliefert hat. Im 19. und 20. Jahrhundert erwarteten die Bürger, dass sie bei der Lösung einer Vielzahl von Problemen helfe. Aber jetzt fragen sich immer mehr, was sie von diesem Regierungssystem wirklich haben.«

Zudem schürte der Vorsitzende der Otzma Jehudit erfolgreich Gefühle der Angst in Teilen der israelischen Bevölkerung. Die waren während der blutigen Unruhen ohnehin verschärft worden, die im Mai 2021 vor allem gemischt jüdisch-arabische Städte heimsuchten, während gleichzeitig die Raketen aus Gaza gen Israel flogen.

Noch während die Gewalt tobte, wurde Ben-Gvir von Polizeikommissar Kobi Shabtai beschuldigt, die Flammen der Gewalt zwischen Juden und Arabern anzufachen. Jetzt will der Rechtsradikale als Minister für Innere Sicherheit Shabtais Chef werden. Der sagte kurz nach dem Gespräch zwischen Netanjahu und Ben-Gvir: »Die Regierung entscheidet, was sie entscheiden will. Ich habe kein Problem mit jemandem. Wir passen uns der Mehrheit an.«

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