Die alltägliche Morgenhygiene kommt die Israelis teuer zu stehen. Ein Deodorant kostet im Schnitt viermal so viel wie in Europa, die Zahnpasta mindestens das Doppelte. Doch langsam kocht die Wut der Menschen über. Tausende gingen vor Kurzem auf die Straße, um gegen die extremen Lebenshaltungskosten zu protestieren – in der Stadt, die jüngst zur teuersten der Welt gekürt wurde: Tel Aviv.
Organisiert wurde die Demonstration von Guy Lerer, dem Moderator der Nachrichtensendung HaTzinor (Das Rohr). »Die Öffentlichkeit beginnt jetzt, ihren Mund aufzumachen, und das ist erst der Anfang«, so Lerer. Der Widerstand sei mit keinem politischen Lager verbunden, man wolle nur erreichen, dass die Preise heruntergingen. Der jetzige Protest fand statt, nachdem Hersteller und Supermärkte angekündigt hatten, die Preise unter anderem für Grundnahrungsmittel erneut zu erhöhen.
Hygieneartikel Ein kürzlich in Israel veröffentlichter Bericht zeigt, dass Israelis für die meisten Dinge des täglichen Lebens mehr bezahlen als die Bürger Europas, zum Teil ein Vielfaches. Während des Protests wurde ein Stand aufgebaut, an dem Pakete mit Grundnahrungsmitteln von anderen Herstellern als israelischen angeboten wurden. Die Kampagne ermöglichte es der Öffentlichkeit, die Kisten für sich selbst zu kaufen oder an Bedürftige zu spenden. Im Supermarkt hätte die Box, die unter anderem mit Nudeln, Suppenpulver, Pudding und Snacks gefüllt war, knapp 110 Schekel gekostet, umgerechnet 30 Euro. Der eigentliche Wert aber liege lediglich bei 12,50 Euro, so die Organisatoren.
Die israelische Regierung hat jetzt einen ersten Plan veröffentlicht, um den steigenden Lebenshaltungskosten entgegenzuwirken. Die Maßnahmen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro umfassen unter anderem die Senkung der Steuern für arbeitende Familien sowie der Preise für Energie und Grundnahrungsmittel. Außerdem sollen die Zölle auf verschiedene importierte Produkte gesenkt werden, darunter auch für Lebensmittel, Hygieneartikel und Möbel.
Premier Naftali Bennett von der Rechtspartei Jamina pries während der Verkündung des Maßnahmenpakets die Politik der Regierung: »Israel ist das am schnellsten wachsende Industrieland der Welt. Dank unserer Politik eines offenen Landes, von Reformen und Lockerungen haben wir acht Prozent Wachstum erzielt.«
HAMANTASCHEN Doch der Premier sagt auch: »Jetzt, wo das Leben wieder in Gang kommt, ist es an der Zeit, zwei Punkte zu verbinden. Wir, die Regierung, müssen eine Grenze ziehen zwischen den hervorragenden Zahlen in Bezug auf die israelische Wirtschaft und dem Preis für eine Portion Falafel oder Hamantaschen.« Während das Street-Food-Falafel tatsächlich mancherorts recht günstig zu bekommen ist, ist anderes unverschämt teuer. Eine Packung gewöhnlicher Tee mit 20 Beuteln beispielsweise kostet im Supermarkt durchschnittlich 5,50 Euro.
»Es kann nicht sein, dass es Israels Bürgern viele Jahre lang so schwergefallen ist, über die Runden zu kommen«, meint Bennett. Doch genau das ist tägliche Realität für viele. Ein Großteil mittelständischer Familien mit zwei Erwerbstätigen hat am Ende des Monats kaum etwas übrig.
Wenn die Regierung nicht zusätzlich subventioniert, werden die Brotpreise explodieren.
»Im Gegenteil«, weiß Omer Ben-Ami aus eigener Erfahrung. »Wir arbeiten und arbeiten, und alles geht für die normalen Kosten drauf. Wenn wir uns etwas Außergewöhnliches leisten wollen, etwa einen Familienurlaub, ist sofort ein Minus auf dem Konto. Das ist frustrierend.« Der Großteil der beiden Einkommen, seines und das seiner Frau, wird für die Betreuung der Kinder im Kindergarten und die Kosten des täglichen Lebens in ihrem Wohnort Hod Hascharon, einem Vorort von Tel Aviv, ausgegeben.
ausland »Wir bezahlen für das Essen in unserem Fünf-Personen-Haushalt Tausende – und das, obwohl wir wirklich auf die Preise schauen«, pflichtet seine Frau Ronit bei. »Das macht wütend, weil wir ja wissen, dass es nicht so sein muss. Das beste Beispiel ist, dass unsere israelischen Produkte im Ausland oft weniger kosten als hierzulande. Es ist an der Zeit, dagegen laut zu protestieren.«
Das Prinzip des »Auf die Preise schauen« ist in Israel so eine Sache. Denn viele Lebensmittel kosten in jedem Supermarkt dasselbe. Deshalb wird den Herstellern auch immer wieder vorgeworfen, vor allem bei Milchprodukten Preisabsprachen zu treffen.
Durch den starken Anstieg des Ölpreises auf den Weltmärkten nach der russischen Invasion ist der Preis für Benzin um zehn Cent pro Liter gestiegen und könnte dem zuständigen Ministerium zufolge noch weiter steigen. Ähnlich sieht es bei den Getreidepreisen aus, »denn ein Großteil des im Nahen Osten konsumierten Weizens stammt aus der Ukraine«, weiß Wirtschaftsberater Alex Coman. Wenn die Regierung nicht zusätzlich subventioniert, werden die Brotpreise explodieren.
HÜTTENKÄSE Vor mehr als zehn Jahren kochte die Stimmung in Israel wegen der hohen Preise schon einmal hoch. Die Demonstrationen, genannt die »Hüttenkäse-Revolution«, wiesen auf die exorbitant hohen Lebens- und Wohnkosten im Land hin.
Eine Mutter sagt: »Wir bezahlen für das Essen in unserem Fünf-Personen-Haushalt Tausende.«
Itzik Alrov, bereits vor mehr als zehn Jahren dabei, fordert auch heute noch mehr soziale Gerechtigkeit in seinem Land. Weitere Proteste sind geplant, Tel Aviv soll erst der Anfang gewesen sein. Der Strategie- und Medienberater hat die Minister bereits vor Monaten gewarnt, dass die größten Herausforderungen, auf die sie sich vorbereiten müssen, der Anstieg der Lebenshaltungskosten und die damit verbundene Verschlechterung der wirtschaftlichen Sicherheit seien.
»Die Minister der Regierung handeln wie ein Vogel Strauß, stecken den Kopf in den Sand und hoffen, dass sich der öffentliche Diskurs ändert. Aber das Problem der Lebenshaltungskosten in Israel ist – anders als Corona – keine Welle, die auf und ab geht, sondern ein dauerhaftes Problem. Es ist eine tickende Zeitbombe. Die Öffentlichkeit fordert, dass die Politiker es ernst nehmen und Ergebnisse liefern.«