Israel

Schirm statt Sonnenbrille

Es regnet nicht in Israel – es schüttet. Wie aus Kübeln prasseln die Tropfen herab und überschwemmen Straßen und Wege. Unwetter mit heftigen Regengüssen und Stürmen haben dem Land einen verspäteten aber umso deutlicheren Gruß geschickt: Der Winter ist da. Während sich die Menschen noch vor wenigen Tagen in Badeanzügen am Strand in der Sonne aalten, huschen sie nun dick eingepackt durch die Städte.

Nach dem wärmsten November seit Staatsgründung mit Temperaturen über 30 Grad hat die kalte Jahreszeit Einzug gehalten. Das ganze Wochenende über regnete es fast im ganzen Land, und auch die Woche begann feucht und kalt. Zwar reißt die Wolkendecke hin und wieder auf und lässt einige Sonnenstrahlen durchblitzen, doch die letzten Wildgänse ziehen unter einer dicken grauen Wolkendecke gen Süden.

überflutung Dienstagnacht begann der heftige Wintersturm mit Regen-, Hagel- und in Höhenlagen auch Schneefällen, anhalten soll er bis zum Wochenende. Die meteorologischen Dienste vermeldeten »extrem raue See und die Gefahr von Fluten in den Küstengebieten«. Doch auch im Landesinnern waren die Auswirkungen des heftigen Wintereinbruchs zu spüren: In vielen Städten waren Ampeln ausgefallen, funktionierten weder Telefon- noch Internetverbindungen.

Auch der Strom war in manchen Teilen des Landes weg. So etwa im Norden von Tel Aviv, in Ramat Hascharon und Herzliya. Die Kinder in einigen Schulen und Kindergärten saßen in Wintermänteln und Mützen in den Klassenräumen. Bei Stromausfall funktionieren auch keine Radiatoren und Klimaanlagen, die Temperaturen schaffen, in denen es sich einigermaßen lernen lässt, während draußen das Unwetter tobt.

Zum Ende der Woche sollen die Regenfälle stark ansteigen, durchschnittlich werden bis zu 100 Millimeter erwartet. Sowohl in den Wadis der Negevwüste als auch in städtischen Gebieten kann es zu Überflutungen kommen. Schon im vergangenen Jahr hatten extreme Wolkenbrüche dafür gesorgt, dass Teile der Stadtautobahn Ayalon unter Wassermassen begraben waren.

Für einen allerdings ist das Regenwetter gut: den chronisch wasserarmen Kinneret, den größten Binnensee Israels. Der Pegel stieg infolge des Niederschlags zum ersten Mal seit April wieder um einen Zentimeter an, wie die Wasserbehörde Mekorot mitteilte. Damit liegt der Wasserstand bei 211 Metern unter dem Meeresspiegel, immer noch mehr als zweieinhalb Meter unter der maximalen Kapazität.

regenbogen Benjamin Cohen liebt dieses Wetter. Er bezeichnet sich als »Rainbow Racer«, Regenbogen-Sucher. Sobald sich Sonne und Regen abwechseln, düst der Student mit seiner Kamera los. Hat er einen Regenbogen erspäht, drückt er auf den Auslöser und stellt die schönsten Ergebnisse so- fort in sämtliche soziale Netzwerke, von Instagram über Facebook bis zu Whatsapp. Für Cohen haben Regenbögen »eine fast unbeschreibliche natürliche Schönheit«. Sie seien zwar nur von kurzer Dauer, hinterließen aber einen bleibenden Eindruck. »Und das ist leider in unserer hypermodernen Welt fast verschwunden.«

Ebenfalls vorbei ist das Lichterfest Channuka. Die Kerzen entzündeten die Israelis noch bei mehr als 20 Grad im Schatten. Während mittlerweile das letzte Licht erloschen ist und die Beutel mit Schokoladenmünzen längst von Kindermündern genascht worden sind, steht für die Christen im Land Weihnachten vor der Tür.

Im christlichen Viertel der Jerusalemer Altstadt baumeln immer mehr Nikoläuse aus Plastik an Balkonen, Glitzergirlanden zieren die Schaufensterauslagen. In der Grabeskirche reißt der Strom von Pilgern aus aller Welt in diesen Tagen gar nicht mehr ab. In Jaffa bei Tel Aviv ist am Sonntag der höchste Weihnachtsbaum des Landes aufgestellt worden. Obwohl das 15 Meter hohe Konstrukt aus Metall und Tannengrün mit seinen flackernden Ornamenten in Knallfarben eher an eine Diskoinstallation denn an einen Weihnachtsbaum erinnert, freuten sich die Anwohner beim gemeinsamen Singen der arabischen Version von Jingle Bells.

hermon Trotz des Rufs als Sonnenoase gehört zum Winter auch in Israel Schnee. Zwar sind Ski und Rodel noch nicht einsatzfähig, doch die ersten Flocken rieselten bereits im einzigen Skigebiet des Landes, auf dem Berg Hermon, nieder. In den kommenden Tagen wird ein wenig der weißen Pracht auch in den niedrigeren Golanhöhen und Galiläa erwartet.

Die kalte Polarluft gelangt von der oberen Schicht der Atmosphäre über Russland in den Nahen Osten, erklärte der offizielle meteorologische Dienst die Wetterlage. Winde könnten demnächst bis zu 100 Stundenkilometer erreichen, und auch die Temperaturen sollen weiter sinken und könnten in den kältesten Nächten dieser Woche sieben bis neun Grad unter dem Durchschnitt liegen. »Beste Voraussetzungen für Schneefall«, so die Meteorologen.

Die Stadtverwaltung von Jerusalem hat sich bereits auf die kalte Jahreszeit eingestellt: Bei der Abteilung für Sicherheit und Notfälle werden Vorbereitungen für Überflutungen und Schneefall getroffen. Die Abflüsse auf den Straßen werden gereinigt, Bäume und Büsche beschnitten, damit niemand durch herunterfallende Äste verletzt wird. Den Bewohnern der Hauptstadt wird geraten, sich bei heftigen Stürmen besser nicht nach draußen zu wagen.

Auch Eltern müssen sich umstellen und die Sandalen ihrer Sprösslinge gegen Winterstiefel austauschen, die T-Shirts gegen dicke Pullis. »Es kam so plötzlich«, sagt Dana Gold aus Tel Aviv: »Gestern noch liefen wir in Flip-Flops und T-Shirts herum und gingen jedes Wochenende an den Strand, heute frieren wir uns fast die Nasen ab.« Obwohl der saisonale Wechsel in Israel immer recht schnell und übergangslos von Warm zu Kalt übergeht, hatte die Mutter von zwei Söhnen »schon fast vergessen, dass es ja auch mal Winter werden muss«.

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