Diplomatie

Sanktionierte Siedler

Jüdischer Siedler im Außenposten von Ramat Migron im Westjordanland Foto: Flash 90

Yinon Levy, David Chai Chasdai, Einan Tanjil und Shalom Zicherman. Vier Namen auf der schwarzen Liste – vier Namen, die symbolisch stehen für die Gewalt extremistischer israelischer Siedler gegen Palästinenser. Alle diese Männer sind von der ersten Runde der US-Sanktionen betroffen, die am 1. Februar vom amerikanischen Präsidenten genehmigt wurden.

Joe Biden unterzeichnete damit eine Anordnung, die ein System zur Verhängung finanzieller Sanktionen und Visabeschränkungen gegen Personen vorsieht, die Palästinenser angreifen, einschüchtern oder ihr Eigentum beschlagnahmen, so die Erklärung. »Israel muss mehr unternehmen, um der Gewalt gegen Zivilisten im Westjordanland ein Ende zu setzen und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen«, betonte US-Außenminister Antony Blinken.

»Die Vereinigten Staaten werden weiterhin Maßnahmen ergreifen, um ihre außenpolitischen Ziele voranzutreiben, einschließlich der Realisierung einer Zweistaatenlösung, und setzen sich so für die Sicherheit und Würde von Israelis und Palästinensern gleichermaßen ein.«

Auf die US-Maßnahmen reagierte Netanjahus Büro mit der Aussage, sie seien unnötig.

Nach den Vereinigten Staaten folgte Frankreich, das bekannt gab, Einreiseverbote gegen 28 Siedler zu verhängen. Und auch die Europäische Union erwägt Maßnahmen, ist sich aber noch nicht einig darüber. Denn Sanktionen können gegen Einzelpersonen oder Staaten verhängt werden. Es geht dabei aber hauptsächlich um das Einfrieren von Vermögenswerten.

Professor Amichai Cohen vom Israel Democracy Institute und Experte für internationales Recht erklärt, dass Wirtschaftssanktionen insbesondere in den vergangenen zehn Jahren von westlichen Staaten gegen Länder eingesetzt werden, die gegen das Völkerrecht verstoßen. Hierzu zählen vor allem Russland, Nordkorea sowie der Iran.

Plan für den Gazastreifen nach Beendigung des Krieges

Premierminister Benjamin Netanjahu, der mit seinem konservativen Likud die rechteste und religiöseste Koalition in der Geschichte Israels anführt, widersetzt sich kategorisch dem amerikanischen Ansinnen, einen Plan für den Gazastreifen nach der Beendigung des Krieges zu veröffentlichen oder auch nur zu diskutieren. Washington indes beharrt nach wie vor auf eine Zweistaatenlösung für ein Ende des Nahostkonflikts.

Auf die jetzigen US-Maßnahmen reagierte Netanjahus Büro mit der Aussage, sie seien unnötig. »Israel geht überall gegen alle Gesetzesbrecher vor, und daher besteht in dieser Angelegenheit kein Bedarf für ungewöhnliche Maßnahmen.«

Der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, bestätigte, dass Israel in einigen Fällen aktiv geworden sei, nachdem amerikanische Beamte dokumentierte Fälle von Übergriffen vorgelegt hätten. »Das Ausmaß der Siedlergewalt im Westjordanland ist in den vergangenen zwei Monaten seit diesen Interventionen zurückgegangen«, weiß Miller zu berichten. Drei der vier von den Sanktionen betroffenen Männer seien von Israel strafrechtlich verfolgt worden, fügte er hinzu.

Praktische Auswirkungen der amerikanischen Sanktionen

Nur wenige Tage nach dem Bekanntwerden der Sanktionen gab die israelische Bank Leumi bekannt, dass sie das Konto von Levy eingefroren habe. Die Bank Hadoar folgte mit der Sperrung von Chasdais Konto. Es handelt sich damit um die ersten Fälle praktischer Auswirkungen der amerikanischen Sanktionen in Israel.

Ein anderes Institut, die Bank Hapoalim, verfügt ebenfalls über Konten von zwei Personen, gegen die Sanktionen verhängt wurden. Bank Hapoalim reagierte mit den Worten, dass sie internationale Sanktionen respektiere und sich an alle rechtlichen Anordnungen halten werde. »Aufgrund des Bankgeheimnisses können wir uns aber nicht zu konkreten Fällen äußern.«

Es wird erwartet, dass weitere israelische Banken ähnliche Maßnahmen gegen alle vier betroffenen Siedler ergreifen werden. Bank Leumi unterhält Niederlassungen in Europa und den USA, und im Fall von Levy hätten die US-Sanktionen die Bank ernsthaft gefährden können, wenn sie nichts unternommen hätte. Die Sanktionen aus Washington könnten aber auch Auswirkungen auf die Finanzierung von Siedlungen durch verschiedene amerikanische Organisationen und Privatpersonen haben.

Der Politikwissenschaftler Uriel Abulof von der Universität Tel Aviv ist sich sicher, dass der eigentliche Grund für die Sanktionspolitik in der wachsenden Entfremdung zwischen Washington und der aktuellen Regierung in Jerusalem zu suchen ist. »Die USA wollen Israel in seinem Krieg gegen die Hamas unterstützen, aber nicht diese Koalition, die ihnen größtenteils zuwider ist. Mit den Sanktionen machen sie das klar.«

Mangel an Konsequenzen im Fall von Siedlergewalt

Einen Mangel an Konsequenzen im Fall von Siedlergewalt gegen Palästinenser im Westjordanland habe es in Israel schon vorher gegeben. Aber durch die derzeitige Koalition sei diese Tendenz verstärkt worden, erläutert Abulof. »Und das Weiße Haus will unterstreichen, wie sehr das dort auf Missfallen stößt.«

Außerdem sei dies ein Signal an die Wählerschaft der demokratischen Partei, um zu zeigen, dass die Biden-Administration zumindest etwas unternimmt. Zwar sei das eher Symbolpolitik. »Doch sollten die Betroffenen klagen und vor israelischen Gerichten Recht bekommen, dass die Sanktionen gegen sie zu Unrecht verhängt sind, dann gibt es ein Problem. Denn das könnte breitere Sanktionen nach sich ziehen, die echte Auswirkungen auf Israel hätten.«

Der Politikexperte glaubt, dass die israelische Koalition sich von den Maßnahmen »wenig beeindruckt« zeigen dürfte – ganz im Gegenteil.

Allerdings glaubt der Politikexperte auch, dass die israelische Koalition sich von den Maßnahmen »wenig beeindruckt« zeigen dürfte – ganz im Gegenteil. Einige ihrer Mitglieder würden sie sogar instrumentalisieren, um ihrer Wählerschaft zu verdeutlichen, wie viel Macht sie haben, indem sie sich mit den USA anlegen. »Es wirkt lächerlich, aber die extremen Elemente in der Koalition schlachten die Sanktionen tatsächlich auf diese Weise aus.«

Finanzminister Bezalel Smotrich, Vorsitzender der ultranationalistischen Siedlerpartei Religiöser Zionismus, hat bereits in genau diese Kerbe geschlagen. Er tönte nach der Verhängung der Sanktionen, dass die »Kampagne von der ›Siedlergewalt‹ eine antisemitische Lüge« sei, die von Feinden Israels mit dem Ziel verbreitet wird, »die Siedler und ihr Projekt zu beleidigen, ihnen zu schaden und so den gesamten Staat Israel zu verunglimpfen«.

Als »Feinde« bezeichnet zu werden, dürfte Washington – das Israel nach dem 7. Oktober finanziell, militärisch und politisch in beispielloser Weise unterstützt – gar nicht gefallen und vielleicht sogar motivieren, weitere Maßnahmen zu beschließen. Oder wie es Miller, der Sprecher des Weißen Hauses, hervorhob: »Sie sollten nicht zu dem Schluss kommen, dass wir schon fertig sind.«

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