Tel Aviv

Rüpel auf Rädern

Alltäglicher Anblick in Tel Aviv Foto: Sabine Brandes

Jetzt wird ernst gemacht. Die Stadtverwaltung Tel Aviv-Jaffa sagt Rüpeln auf elektrischen Rädern und Rollern den Kampf an. In einer Gemeinschaftsaktion mit der Polizei begann sie am vergangenen Sonntag eine Offensive, um den mittlerweile chaotischen Straßenverkehr in der Stadt wieder sicherer zu machen.

E-Scooter Eine neue 25 Mann starke Einsatzeinheit kümmert sich ab sofort um die Vergehen der Fahrer auf den E-Vehikeln.

Tel Aviv gilt als die optimale Stadt für die neuen Gefährte. Das Wetter ist meist warm und regenfrei, das Terrain überwiegend flach, die Fahrten entlang der Strandpromenade gelten als Erlebnis der besonderen Art.

Doch gerade deshalb ist die Zahl der E-Räder in der jüngsten Zeit regelrecht explodiert. Wie viele es privat gibt, weiß niemand genau, noch müssen sie nicht registriert werden. Zudem gibt es drei Verleihfirmen: Bird, Wind und Lime, die im gesamten Stadtgebiet Roller anbieten.

NUMMERNSCHILDER Die müssen ab 15. Dezember mit Nummernschildern ausgestattet sein, denn die Vergehen der Fahrer und die Zahl der Unfälle sind entsprechend in die Höhe geschnellt.

Die Verwaltung ruft die Bevölkerung auf, ein Foto zu knipsen, wenn sie Gefährdungen beobachtet, und es mittels einer neuen App direkt an die Stadt zu senden. Auch Roller und Bikes, die Gehwege versperren oder auf Straßen herumliegen, können auf diese Weise gemeldet werden.

Oft düsen die meist jungen Fahrer über Straßen und Bürgersteige, Musik auf den Ohren, das Handy in der Hand, den besten Kumpel hintendrauf. Viele missachten jegliche Regeln des gewöhnlichen Straßenverkehrs, als drehten sie Runden mit dem Roller auf dem Spielplatz, und gefährden dabei andere und sich selbst.

Strafzettel Nach Jahren der endlosen Diskussionen, Regulationen und Gesetze, will die Verwaltung aus diesen Gründen jetzt Taten sprechen lassen. Am ersten Tag der Gemeinschaftsaktion hagelte es geradezu Strafzettel. Innerhalb weniger Stunden wurden 77 wegen verbotenen Fahrens auf dem Bürgersteig ausgestellt, dazu 64 wegen anderer Vergehen.

Bei 56 Tel Avivern rollte gar nichts mehr, nachdem sie von der Polizei gestoppt wurden, denn die Beamten konfiszierten das Gefährt kurzerhand. Auslösen können es die Besitzer zwar, müssen dann aber neben dem Strafzettel – für den man je nach Vergehen zwischen 25 und 260 Euro berappen muss – bei Abholung noch einmal 65 Euro drauflegen.

FUSSGÄNGER »Durch das Einbehalten des Gefährts oder der Batterie werden besonders gefährliche Fahrer aus dem Straßenverkehr gezogen«, so die Sprecherin der Stadtverwaltung, »damit die Sicherheit der Fußgänger wiederhergestellt wird.« Nach ihren Angaben sollen derartige Gemeinschaftsaktionen ab sofort immer wieder stattfinden, ohne angekündigt zu werden. Im Allgemeinen ist die Einsatzeinheit der Stadt zuständig, die allein 2019 mehr als 19.000 Strafzettel ausstellte.

Allein 2019 wurden mehr als 19.000 Strafzettel ausgestellt.

Tel Aviv fördert den Einsatz von alternativen Verkehrsmitteln, vor allem umweltfreundlichen. »Doch die Gehwege der Stadt sind für Fußgänger gestaltet«, macht Bürgermeister Ron Huldai klar. »Wir sind froh, dass Fahrräder und Roller eine echte Alternative zu Autos geworden sind. Doch es darf nicht sein, dass skrupelloses Verhalten Menschen gefährdet.« Deshalb werde man jetzt noch mehr in Schulungen investieren und die Regeln verstärkt durchsetzen.

Denn die Unfälle, die durch die Elektrogefährte verursacht werden, sind eines der drängendsten urbanen Probleme der vergangenen Jahre. Das sehen die Mediziner in den Krankenhäusern täglich. Besonders das Ichilov-Hospital im Zentrum Tel Avivs kennt sich damit aus: Allein in der ersten Dezemberwoche landeten 69 Personen in der Notaufnahme.

Monatlich sind es meist mehr als 100. Jetzt hat sich das Krankenhaus auf die Fahnen geschrieben, auf die seiner Meinung nach tödlichen Gefahren durch die Elektroroller und -räder aufmerksam zu machen. Regelmäßig postet es auf Facebook Geschichten von jungen Leuten, die mit schwersten Verletzungen eingeliefert werden und nur langsam genesen.

KIEFERBRUCH Wie die von Noa Vered. Die 25-Jährige wurde nach einem Unfall mit ihrem E-Roller im Ichilov eingeliefert. Das Ergebnis der Untersuchungen: ein Kieferbruch, der ihr Gesicht entstellte, Rückenverletzungen, Prellungen und Blutergüsse am ganzen Körper. Es dauerte Monate, bis die junge Frau wieder gesund war. In dem Post stand auch, dass im vergangenen Jahr 120 Patienten mit Gesichtsverletzungen behandelt wurden, die sie sich bei Fahrten mit ihren elektrischen Gefährten zugezogen hatten. Mehr als die Hälfte von ihnen musste operiert werden.

Das Ichilov-Krankenhaus warnt vor den Gefahren der Elektro-Roller.

Seit fünf Jahren habe man mit dem Phänomen zu tun, weiß Pressesprecher Avi Schoschan. »Fast jede Woche gibt es eine neue Geschichte auf Facebook. Das Personal, das sieht, mit welchem unfassbaren Leichtsinn Leben zerstört werden, gibt uns ständig Updates.« Viele werden in den sozialen Netzwerken gepostet. »Was hier passiert, ist völliger Wahnsinn. Deshalb werden wir damit auch nicht aufhören.«

Ichilov Ein leitender Arzt in der Notaufnahme für Kinder, Oren Tavor, ist sicher, dass das Ichilov eines der führenden Krankenhäuser in der Welt bei der Behandlung von Verletzungen durch derartige Unfälle ist.

Allein wegen der unglaublich hohen Zahlen der Opfer. »Tel Aviv ist eine Stadt mit unzureichender öffentlicher Infrastruktur und Menschen, die wenig Geduld haben, ihre Zeit auf der Straße zu verplempern«, meint er. Beides zusammen würde dieses Phänomen bedingen. Es sei die Aufgabe einer Gesundheitseinrichtung, öffentliches Bewusstsein für solche Phänomene zu wecken. »Es ist unmöglich, diese Katastrophe zu sehen und nicht Alarm zu schlagen.«

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