Kulturkrieg

Religiöser Eifer

»Nur Gott ist unser König«: Demonstration gegen die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes Foto: Flash 90

Vergangenen Donnerstag begleiteten rund 100.000 ultraorthodoxe Juden 35 der ihren zum Gefängnis und protestierten gegen ein Urteil des Obersten Gerichtshofs. Kommentatoren sprachen vom »Auftakt eines längst fälligen Kulturkriegs«. Die Organisatoren nannten es die »Mutter aller Proteste«. Es war ein vorläufiger Höhepunkt im drei Jahre alten Streit um eine kleine ultraorthodoxe Schule in der Siedlung Imanuel. Das Gericht hatte gegen 43 strengreligiöse Elternpaare eine zweiwöchige Haftstrafe verhängt, weil sie sich weigern, ihre Töchter auf die Schule zu schicken. Tatsächlich treten im Disput aber die wichtigsten gesellschaftlichen Probleme Israels zutage.

Unterscheidung Zwei Trennlinien spalten Israels Juden. Eine unterscheidet zwischen Israelis europäischer Herkunft, Aschkenasim, und Juden, die aus arabischen Ländern einwanderten, Sefardim. Ein anderer Streit spaltet Israelis in säkulare »Chilonim« und strenggläubige »Charedim«, die Gottesfürchtigen. Charedim weigern sich, in der Armee zu dienen. Die Mehrheit ihrer Männer arbeitet nicht, lebt von Sozialhilfe und zahlt keine Steuern. Viele Chilonim denken, dass die bürgerlichen Pflichten ungerecht verteilt sind. Sie wünschen sich einen liberalen, westlich orientierten, demokratischen Rechtsstaat, in dem Richter und Politiker das Heft führen. Die Charedim hingegen wollen einen Staat, der die Gesetze der Tora befolgt und von Rabbinern geführt wird. Statistiken sind bei Chilonim Anlass zur Sorge: Sie könnten aufgrund der hohen Geburtsrate der Charedim bald zur Minderheit werden. In den Kindergärten war 2009 die Hälfte der Kinder arabisch oder ultraorthodox. Die weltliche aschkenasische Elite fürchtet den Untergang Israels, wenn Araber und Charedim nicht bald Wehrdienst leisten, Steuern zahlen und den Staat anerkennen.

Heftige Debatten gehören zum Alltag: Erst Anfang vergangener Woche beschloss das Gericht, staatliche Zuwendungen für verheiratete Toraschüler einzustellen. Schließlich erhielten auch säkulare Studenten keine Sozialhilfe, hieß es im Urteil. Für viele Charedim bedeutet das finanziellen Ruin. Archäologische Ausgrabungen an Friedhöfen, das Eherecht und die Frage, wer im Land Proselyten zu Juden erklären darf, münden immer wieder in Straßenschlachten mit der Polizei.

Symbol Der Prozess gegen die Führung der ultraorthodoxen Beit-Jaakow-Schule in Imanuel avanciert jetzt zum symbolischen Kampf. Aschkenasim hatten ihre Kinder von sefardischen Kindern getrennt, angeblich, weil diese nicht religiös genug waren. Ein Kodex verpflichtete die Eltern, den Fernseh- oder Internetanschluss daheim zu kappen und Mädchen das Radfahren zu verbieten, um ihre »Unschuld« zu bewahren. Gleichzeitig zwang er ihnen aschkenasische Gebetsformeln auf, denen die Kinder auch daheim folgen sollten.

Der Oberste Gerichtshof in Jerusalem befand, dass die Schulleitung die Kinder nicht nach religiösem Eifer, sondern nach ihrer Herkunft trennte. Dies sei rassistisch, und deswegen widerrechtlich. Das Gericht befahl den Eltern, alle Kinder gemeinsam zur Schule zu schicken, doch die Aschkenasen weigerten sich und erhielten deswegen eine Haftstrafe.

Kompromisslos Das Urteil spaltete Israelis in Anhänger und Gegner des Obers-ten Gerichtshofes, und die Charedim in Aschkenasim und Sefardim. Die hartnäckigen Eltern wurden zu Helden im Kampf der Gottesfürchtigen gegen die Gottlosen: »Wir gehen erhobenen Hauptes ins Gefängnis. Wir kämpfen um die Seele unserer Kinder und für das Wort Gottes«, sagte Jeschajahu Eichler, Vater von fünf Kindern. Sie lehnen jeden Kompromiss ab und bewerten den Kampf gegen das Gericht als historische Fortführung des Widerstands gegen die Inquisition oder gar die Nazis. »Es kann keine Kompromisse geben: die Tora steht über allem«, sagt Eichler. Die Richter könnten kein Urteil erzwingen, das göttlichen Geboten widerspreche. »Nur Gott ist unser König«, hieß es auf den Plakaten. Dank der Anweisungen der Rabbiner blieb die Demonstration friedlich.

Weltliche Politiker riefen zum »entscheidenden Kampf für den Rechtsstaat« auf. Sie wollen den heutigen Status quo festzurren und die Charedim zwingen, die staatliche Rechtshoheit anzuerkennen.

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  17.11.2025

Miss-Universe-Show

Miss Israel erhält Todesdrohungen nach angeblichem Seitenblick

Auch prominente Israelis sind immer öfter mit Judenhass konfrontiert. Diesmal trifft es Melanie Shiraz in Thailand

 17.11.2025

Israel

Ex-Geisel fühlt sich »völlig im Stich gelassen«

Rom Braslavski, von der Hamas vom Novafestival verschleppt und jahrelang gequält, zieht die bittere Bilanz seiner Rückkehr

von Sabine Brandes  17.11.2025

Nahost

Hamas hortet offenbar moderne Waffen im Ausland

In afrikanischen Staaten und im Jemen sammeln die Terroristen laut Medienberichten Feuerwaffen und andere Waffengattungen

 17.11.2025

Berlin

Bundesregierung hebt Stopp der Rüstungsexporte nach Israel wieder auf

Die Waffenruhe in Gaza hält seit mehr als fünf Wochen. Die Bundesregierung nimmt das zum Anlass, ihre massiv kritisierte Entscheidung aus dem Sommer rückgängig zu machen

von Michael Fischer  17.11.2025

Untersuchungskommission

7. Oktober: Netanjahu-Regierung will sich selbst untersuchen

Die Regierung Netanjahu hat auf Druck des Obersten Gerichts nach mehr als zwei Jahren einer Untersuchung der Versäumnisse, die zum 7. Oktober geführt haben, zugestimmt. Allerdings will man das Gremium und den Untersuchungsumfang selbst bestimmen

 16.11.2025 Aktualisiert

Tierschutz

Hilfe für die Straßentiger

In Israel leben schätzungsweise eine Million streunende Katzen. Eine Studie der Hebräischen Universität zeigt, warum das Füttern der Vierbeiner auch Nachteile haben kann

von Sabine Brandes  16.11.2025

Geiseln

»Ich bin immer noch seine Verlobte«

Wenige Monate bevor Hadar Goldin 2014 von der Hamas ermordet und sein Leichnam in Gaza festgehalten wurde, hatte er sich verlobt. Wie geht es seiner damaligen Braut heute, da Goldin endlich nach Hause gekommen ist?

 16.11.2025

Jerusalem

Nach Streit: Zionistischer Weltkongress einigt sich

Zwei Wochen lang zogen sich die Verhandlungen in dem globalen jüdischen Gremium hin. Nun gibt es ein Abkommen, das der Mitte-links-Block als Sieg für sich wertet

von Joshua Schultheis  16.11.2025