Gerhard Conrad

»Regime Change im Iran wäre noch wichtiger als die Zerstörung der Atomanlagen«

Gerhard Conrad war bis zu seiner Pensionierung viel im Nahen Osten unterwegs Foto: IMAGO/Jürgen Heinrich

Israel hat einen umfassenden Militärschlag gegen den Iran gestartet. Wie bewerten Sie anhand der bislang verfügbaren Informationen den Erfolg?
Die militärischen Ergebnisse der ersten zwölf Stunden sind außergewöhnlich gut: Es war ein Enthauptungsschlag gegen die militärische Führung sowohl bei den Pasdaran, den Revolutionsgarden, als auch beim regulären Militär, und das einschließlich des militärischen Beraters von Ajatollah Ali Chamenei, Ali Schamchani. Zudem ist Israel die weitgehende Ausschaltung des Kommandostabs der Pasdaran, von Drohnen und Raketenkräften gelungen. Außerdem wurden großflächig noch bestehende Luftabwehrstellungen und Boden-Boden-Flugkörperabschusspositionen ausgeschaltet, zum Teil offenbar durch eingesickerte Mossad-Kräfte anhand von Drohnen und Sprengstoffen. Und last but not least wurde die Atomanlage in Natanz zumindest beschädigt und mindestens ein halbes Dutzend hochrangige Experten für Nuklear- und Raketentechnologie getötet. 

Was ist Ihrer Ansicht nach das entscheidende Kriterium für den Erfolg oder Misserfolg dieser Operation?
Die israelischen Verlautbarungen lassen darauf schließen, dass es sich hier nicht um eine Einzelaktion, sondern um einen Krieg gegen die Führungsstrukturen der Islamischen Republik handelt. Hauptziel sind die Pasdaran, ihre Führung und ihre militärischen Befähigungen in allen Dimensionen, insbesondere die Raketenkräfte und Atomanlagen.

Geht es Israel auch um den Sturz des Regimes?
Eine Erschütterung bis hin zum Regime Change könnte zumindest versucht werden. Das Regime ist ja jetzt schon nicht unangefochten. Entscheidend wird hier die Resilienz und Durchsetzungskraft des landesweiten Repressionsapparates sein. Den müsste man entscheidend schwächen. Die Militäraktionen der kommenden Tage werden zeigen, ob in diese Richtung gedacht und geplant worden ist. Letztlich wäre ein nachhaltiger Regime Change strategisch fast wichtiger als die Zerstörung der Nukleareinrichtungen in Natanz und Fordow. 

Müssen wir nun mit einem länger andauernden Krieg zwischen dem Iran und seinen Proxys auf der einen Seite und Israel auf der anderen rechnen?
Iran hat deutlich weniger handlungsfähige Proxys als noch 2024. Weder Hisbollah noch Hamas, geschweige denn die kleineren Gruppen können als Streitkräfte noch viel ausrichten. Dann bliebe eventuell noch eine intensivere terroristische Anschlagswelle aus dem Untergrund, zum Beispiel im Westjordanland. Jedoch ist derzeit fraglich, ob hierzu noch die Kraft besteht. Die Huthis haben mit einzelnen Raketen und Einwirkungsmöglichkeiten auf den internationalen Schiffsverkehr im Bab al-Mandeb noch eine gewisse Kampfkraft. Aber auch die liegt eher im symbolischen Bereich. Und schließlich gibt es noch schiitische Milizen im Irak. Die könnten Raketen und Drohnen einsetzen. Doch auch das dürfte nicht wirklich kriegsentscheidend sein. Es also wird entscheidend auf die verbliebene militärische Schlagkraft des Iran selbst ankommen und auf seinen Willen, diese einzusetzen.

Als ehemaliger Geheimdienstmann: Wie bewerten Sie es, dass Israel mit einem Schlag den iranischen Militärchef und fast die komplette Führung der Pasadaran ausschalten konnte? War der Iran nicht gewappnet nach all den Schlägen vor einigen Monaten?
Israel zeigt erneut seine überlegenen Fähigkeiten in den Bereichen Aufklärung, Targeting und Covert Action hinter den feindlichen Linien. Das geht bis hin zur Zerstörung von Führungsgefechtsständen. Der Angriff kam als perfekte taktische Überraschung, nach einer vorangehenden Täuschung über die israelischen Absichten und die zeitliche Dimension. Der Iran schien zwar mit einem israelischen Angriff zu rechnen, aber erst nach dem absehbaren Scheitern der Verhandlungen mit den USA in Oman an diesem Wochenende. Der Militärschlag traf die Führungskräfte offenbar während ihrer Beratungen über ihre anstehende Militäroperation kommende Woche. 

Was sagt das über die Stärke oder vielmehr die Schwäche des Regimes aus?
Noch nichts Endgültiges. Die kommenden Tage werden zeigen, wie reaktionsstark das System angesichts dieser gravierenden Schwächung ist. Auch kann der vielzitierte Pearl-Harbour-Effekt ins Feld geführt werden.  Viele Unterstützer wird das Regime kaum haben. Russland vielleicht noch verbal und eventuell punktuell logistisch. Doch Moskau hat wohl andere Sorgen. China dürfte massiv auf ein Ende des Konflikts zum Schutz des iranischen Regimes drängen. Doch mit welchen Mitteln, bleibt unklar. 

Was sind die regionalen Auswirkungen dieses Angriffs? Werden die arabischen Staaten ihn stillschweigend akzeptieren oder sogar begrüßen?
Die arabischen Golfstaaten sind in großer Sorge, dass sie womöglich als Kollateralschaden enden. Die werden sich hier in erster Linie an die USA zu halten versuchen. Ob der Iran noch subversive Mobilisierungsfähigkeiten in der Region besitzt, bleibt nach den im Ergebnis eher ernüchternden Erfahrungen aus dem Gaza-Krieg fraglich. Versuche wird es sicherlich geben, doch denke ich, dass - wie etwa Ägypten in Sachen Gaza-Konvoi - massiv und präventiv gegen mögliche Sympathisanten vorgegangen werden wird. 

Rechnen Sie mit einem baldigen Ende des Gaza-Kriegs?
Die unmittelbaren Auswirkungen auf die militärische Lage in Gaza sind eher gering - es sei denn, die IDF müssten Kräfte von dort abziehen. Die Reststrukturen von Hamas und Co. werden absehbar bis zum bitteren Ende kämpfen. Sie haben ja immerhin noch die Geiseln.

Das Interview mit dem ehemaligen Geiselunterhändler in Gaza und im Libanon, Nahostexperten und langjährigen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) sowie ehemaligen Direktor des European Union Intelligence and Situation Centre (INTCEN) führte Michael Thaidigsmann.

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