Der amtierende Regierungschef Benjamin Netanjahu spielt Schach. Doch nicht auf dem Brett, sondern auf dem politischen Parkett. In knapp zwei Wochen wird in Israel wieder gewählt. Nichts und niemand soll den Premierminister mit der längsten Amtszeit dann vom Thron stoßen – wenn es nach ihm geht: keine Widersacher, keine Korruptionsverfahren und schon gar kein Mangel an Koalitionspartnern.
Dafür lächelt er sogar mit jenen gemeinsam in die Kamera, die er eigentlich partout nicht ausstehen kann und sogar erst vor wenigen Wochen aus seinem Kabinett warf: Ex-Justizministerin Ayelet Shaked und Ex-Bildungsminister Naftali Bennett. Doch nach der Bildung ihrer rechten Union Yamina muss Netanjahu klar geworden sein, dass er ohne diese charismatischen Politiker keine Koalition bilden kann. Denn der Einzug ins israelische Parlament ist Shaked und Bennett so gut wie sicher.
Nach Aussagen Bennetts ist es sicher, dass man mit dem Likud koalieren werde.
Prozent Während sie bei den vergangenen Wahlen im April nach Gründung ihrer Hajamin Hachadasch haarscharf die Prozenthürde der Knesset verpasste und sich Shaked halbherzig aus der Politik verabschiedete, scheint ihrer Partei die Neuaufstellung gutzutun. Die bei der rechten Wählerschaft beliebte Politikerin steht nun als Nummer eins an der Parteispitze, Bennett folgt ihr als Stellvertreter. Jüngsten Umfragen zufolge können sie mit ihrer Union am 17. September auf diese Weise zehn oder elf Mandate holen.
Nach Aussagen Bennetts ist es sicher, dass man mit dem Likud koalieren werde. Dafür würde man sich in der Partei schon jetzt beraten, ob man einem neuen Immunitätsgesetz zustimmt. Dies würde das politische Überleben Netanjahus sichern, selbst wenn er in einem oder mehreren Fällen wegen Korruption angeklagt werden sollte. In einem Interview sagte Bennett: »Wenn es eine stabile Regierung gibt, würde es etwas sehr, sehr Extremes brauchen, um gegen eine Immunität für Netanjahu zu stimmen.« Früher hatte sich Bennett stets gegen ein derartiges Gesetz ausgesprochen.
Einen weiteren Kontrahenten, der Netanjahu bei den letzten Wahlen Stimmen abjagte, hat er kurzerhand politisch kaltgestellt. Er bot Mosche Feiglin von der Rechtsaußen-Partei Zehut einen Ministerposten, wenn dieser aus dem Rennen aussteige. Und Feiglin griff tatsächlich zu. »Eine ungeahnte Chance hat sich ergeben, die uns ermöglicht, unsere Niederlage in einen großartigen Erfolg umzudrehen«, sagte Feiglin im Armeeradio nur einen Tag, nachdem er vor Anhängern verkündete, »nicht aufzuhören«.
CANNABIS Auch Feiglin war beim letzten Urnengang an der Einzugshürde von 3,25 Prozent gescheitert. Angeblich soll das Angebot an Feiglin auch die Legalisierung von privatem Cannabis-Konsum enthalten, eines der Wahlversprechen von Zehut. Doch dass dies tatsächlich in die Tat umgesetzt wird, bezweifeln viele Politikexperten schon jetzt.
Geht es nach Netanjahu, sollen auch die Ultranationalisten der Kahana-Nachfolgepartei Otzma Hajehudit nicht mehr antreten. Denn auch die hatten zu viele Stimmen von rechten Wählern für sich verbucht, die eigentlich der Likud hätte bekommen können. Ihr Bündnis mit dem »Jüdischen Haus« hatte sie im April dieses Jahres sogar ins Parlament einziehen lassen. Das soll nicht noch einmal geschehen.
Bereits bei der letzten Wahl traf sich Netanjahu kurz vor dem Wahltag mit seinem engsten Verbündeten in Washington.
Libanon Ob sich Vorsitzender Itamar Ben-Gvir allerdings auf einen Deal mit Netanjahu einlassen wird, ist fraglich, weil die Zahlen derzeit steigen. Einem Bericht des Kanal 12 zufolge liegt Otzma Hajehudit nur noch knapp vor der entscheidenden 3,25-Prozenthürde. Dennoch soll der Chef-Vermittler des Likud, Natan Eshel, Medienberichten zufolge alles daransetzen, die Kahanisten loszuwerden.
Verschiedene Stimmen sagen auch, dass Netanjahu die militärische Auseinandersetzung mit dem Libanon in der vergangenen Woche, die ohne Verletzte auf beiden Seiten endete, so kurz vor den Wahlen sehr zupasskam. Das Bild vom starken »Bibi LeBitachon« (Bibi für die Sicherheit) hat ihm schon immer gefallen. Und dass dazu der Anführer der Hisbollah, Hassan Nasrallah, angeblich persönlich gebeten habe, die militärische Auseinandersetzung zu beenden, lässt Netanjahu für viele schon jetzt als Sieger dastehen.
Während es eigentlich ungeschriebenes Gesetz ist, dass einen Monat vor den Wahlen keine ausländischen Staatsbesuche gemacht oder Abkommen mit anderen Regierungen getroffen werden, haben israelische Medien zu Wochenbeginn von einer »dramatischen diplomatischen Geste« aus den USA berichtet, die Netanjahus Wiederwahl sichern soll.
Verschiedenen israelischen Medien zufolge hätten angeblich zwischen Netanjahus und US-Präsident Donald Trumps Vertretern in den vergangenen Wochen ausführliche Gespräche stattgefunden. Offenbar soll es um eine Erklärung gehen, in der sich der amerikanische Präsident verpflichtet, Israel zukünftig vor jeglicher existenziellen Gefahr zu schützen.
Putin Weiter heißt es in den Berichten, dass auch der russische Präsident Wladimir Putin eine Botschaft verbreitet haben soll. Dabei könne es sich um einen Ad-hoc-Besuch von Putin selbst oder ein trilaterales Treffen zwischen Gesandten aus Israel, den USA und Russland handeln.
Die religiöse Partei Schas erhält den Umfragen zufolge sieben Sitze, das Vereinigte Tora-Judentum der aschkenasischen Charedim voraussichtlich einen Sitz mehr.
Bereits bei der letzten Wahl traf sich Netanjahu kurz vor dem Tag, an dem die Israelis abstimmten, mit seinem engsten Verbündeten in Washington. Dass sich Trump im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Barack Obama, der einen Monat vor den damaligen Wahlen niemanden aus Israel einlud und auch kein einziges Wort über das Land verlor, nicht an irgendwelche Spielregeln hält – schon gar nicht an jene, die andere gemacht haben –, weiß inzwischen jeder. Netanjahu kommt dieses Verhalten gerade recht.
Neue Wahlplakate des Likud zeigen die beiden im Empfangszimmer des Weißen Hauses, händeschüttelnd und siegessicher lächelnd.
Umfragen Und doch kann sich der israelische Regierungschef noch längst nicht sicher sein, die Wahl zu gewinnen. Jüngste Zahlen zeigen, dass die Union Blau-Weiß den Likud überholt hat, nachdem sie mit ihm lange Zeit gleichauf lag. In einer Umfrage von Kanal 13 erhält die Union von Benny Gantz und Yair Lapid mit 32 Mandaten eines mehr als der Likud. Und auch eine Mitte-Links-Koalition scheint unter anderem durch die Rückkehr von Ex-Ministerpräsident Ehud Barak in die Politik und durch verschiedene Bündnisse dieses Mal möglich.
Die Arbeitspartei unter dem Vorsitz von Amir Peretz hatte sich mit der Zentrumspartei Gescher von Orly Abekassis-Levy zusammengetan, um laut Peretz »eine Partei für alle zu werden«. Aufzugehen scheint das Konzept allerdings nicht. Umfragen geben dem Bündnis Arbeitspartei-Gescher nur sechs bis sieben Mandate. Sieben erhielte auch die Demokratische Union, würde heute gewählt. Die besteht aus der Linkspartei Meretz unter dem Vorsitz von Nitzan Horowitz und Baraks Israel Demokratit. Barak war lauthals mit dem Slogan aus dem politischen Ruhestand zurückgekehrt, »Netanjahu vom Thron zu stoßen«.
Es scheint, als würde auch dieses Mal wieder Lieberman Königsmacher werden.
Die religiöse Partei Schas erhält den Umfragen zufolge sieben Sitze, das Vereinigte Tora-Judentum der aschkenasischen Charedim voraussichtlich einen Sitz mehr. Beide Parteien waren der Grund gewesen, weshalb im April keine Koalition zustande gekommen war.
Lieberman Das erklärte jedenfalls Avigdor Lieberman mit seiner Partei Israel Beiteinu. Er hatte sich damals geweigert, mit Netanjahu in einer rechtsgerichteten Koalition zu sitzen und eine Regierung zu bilden, »wenn er Israel an die Religiösen verkauft«.
Und noch immer, fünf Monate nach den letzten Wahlen in Israel, scheint es, als würde auch dieses Mal wieder Lieberman Königsmacher werden. Elf Mandate werden ihm schon jetzt vorausgesagt, Tendenz steigend. Keine Frage, dass auch er weiß, wie man Schach spielt.