Wirtschaft

Platzt die Hightech-Blase?

Schieflage in der Hightech-Branche: Bürogebäude in Tel Aviv Foto: Flash 90

Einhörner sind selten. Und jetzt sogar noch seltener. Als derartige Fabelwesen werden in Israel Unternehmen bezeichnet, die einen Wert von mindestens einer Milliarde US-Dollar haben. »Im Jahr 2023 werden nur sehr wenige Einhörner geboren«, stellt ein Jahresabschlussbericht des Risikokapitalfonds Viola fest. Die Welt befindet sich in einem Wirtschaftsabschwung – und auch Israel scheint nicht immun dagegen zu sein.

Der aktuelle Bericht zum Tech-Ökosystem 2022 der gemeinnützigen Organisation Start-Up Nation Central (SNC), die sich als Brückenbauer für israelische Unternehmen sieht, bestätigte, dass die Investitionen 2022 in diesem Bereich um fast die Hälfte zurückgingen. Nach dem Rekordjahr 2021, das nie zuvor da gewesene 27 Milliarden Dollar in die israelischen Start-ups brachte, schrumpfte die Summe im Folgejahr auf 15,5 Milliarden. Im selben Zeitraum ging die Gesamtzahl der Investitionsrunden, die Erhöhungen der Kapitaleinlagen eines Unternehmens durch Investoren, von 1103 im Vorjahr um etwa ein Drittel auf 826 im Jahr 2022 zurück.

einbruch »Das erste Halbjahr war eine Fortsetzung des rekordverdächtigen Jahres 2021 mit extrem hoher Kapitalausstattung und hoher Nachfrage nach Arbeitskräften, was zu steigenden Gehältern führte«, heißt es in dem Bericht. Doch bereits die zweite Hälfte sei geprägt gewesen vom Einbruch der Finanzmärkte und der Angst vor einer tiefen globalen Rezession. Steigende Inflationszahlen und Zinssätze sowie der anhaltende russische Krieg gegen die Ukraine beeinträchtigten die Lieferketten sowie die Weltwirtschaft und brachten Anleger dazu, sich zurückzuziehen.

Der am stärksten betroffene Sektor in Israel sei die Cybersicherheitsbranche, die einen Rückgang der Investitionen von rund 60 Prozent auf 2,7 Milliarden Dollar verzeichnete. Im Finanztechnologie-Bereich gingen 51 Prozent weniger Gelder ein. Allerdings stehe Israel mit diesem Phänomen nicht allein: Auch im amerikanischen Silicon Valley erhielten Hightech-Firmen 40 Prozent weniger Investitionen. Knapp 100.000 Menschen verloren ihren Job.

»Diese Situation haben wir in Israel nicht einmal annähernd«, sagt Avi Hasson, SNC-Chef. Er glaubt, dass sich der Markt eigenständig korrigiert: »Wenn wir uns die Trendlinien ansehen, geht es nicht darum, dass 2022 ein schlechtes Jahr war oder schlechter als erwartet, sondern dass 2021 eine große Anomalie in Bezug auf jeden Indikator zu verzeichnen war.« Wenn man 2021 auslasse und eine Wachstumslinie von 2015 bis 2022 ziehe, »sieht es gut aus, dass im vergangenen Jahr über 15 Milliarden US-Dollar in israelische Start-ups investiert wurden«.

Am stärksten betroffen von der Rezession ist die Branche der Cybersicherheit.

Es sei zudem positiv, dass »die israelische Branche mit vollen Taschen, die in den Jahren zuvor angewachsen waren, in die Krise eingetreten ist«. Außerdem betrachteten die Unternehmen inzwischen die gesamten Märkte und nicht ausschließlich die Finanzmärkte. Mit diesen Mitteln könnten sie den Sturm in den ersten sechs bis zwölf Monaten überstehen, meint Hasson. »Aber irgendwann im nächsten Jahr werden Start-ups wieder mehr Geld brauchen.«

politik Auch die Politik beunruhigt den Markt. Kurz bevor die rechteste und religiö­seste Koalition aller Zeiten in Jerusalem eingeschworen wurde, schrieben führende Köpfe der Hightech-Szene einen Brief an Premierminister Benjamin Netanjahu, darunter Chemi Peres (Co-Gründer von VC Pitango), Eyal Waldman (früherer CEO von Mellanox) und der Cybersecurity-Unternehmer Shlomo Kramer. In dem Schreiben drückten sie ihre Besorgnis über die Auswirkungen neuer Gesetze und Pläne aus.

»Als Bürger respektieren wir die Ergebnisse der letzten Wahlen, die die Wünsche des Volkes widerspiegeln, und glauben, dass Sie als Premierminister zum Wohle aller Bürger Israels handeln werden«, führte das Schreiben an. »Dennoch würden die Schwächung der Gerichte sowie die Beeinträchtigung der Rechte von Minderheiten aufgrund von Religion, Rasse, Geschlecht oder sexueller Orientierung eine erhebliche existenzielle Bedrohung für die glorreiche Hightech-Industrie darstellen, die in Israel mit viel Mühe aufgebaut wurde.«

Darüber hinaus scheinen die Entlassungswellen im globalen Hightech-Sektor langsam auf dem israelischen Markt anzukommen, wie das Arbeitsministerium Ende der vergangenen Woche veröffentlichte. Demzufolge seien die Anträge auf Arbeitslosengeld im Dezember 2022 um fast 20 Prozent gestiegen. Die Gruppe, die am stärksten betroffen war, ist die der Softwareentwickler und -analysten mit 19,1 Prozent. Bei den Ingenieuren betrug die Quote 17,6 Prozent.

exits Während dem SNC-Bericht zufolge die »Investitionen und die Anzahl der Finanzierungsrunden in fast allen betrachteten Technologiesektoren zurückgingen, brach nur die Agrar- und Lebensmitteltechnologie nicht ein. Hier stieg die Zahl der sogenannten Exits, also der Verkäufe von Unternehmen, von 84 im Jahr 2021 auf 87 im Jahr 2022. Der Betrag der Gesamtinvestitionen und die Anzahl der Finanzierungsrunden blieben ungemindert stabil.«

Dies deute darauf hin, »dass der Agrar- und Lebensmittelbereich möglicherweise widerstandsfähiger gegenüber externen Faktoren wie Wirtschaftsabschwüngen ist«, so der Bericht. »Dieser Sektor ist relativ klein, hat aber in den letzten Jahren mit 624 aktiven Start-ups ein schnelles Wachstum erlebt.«

Kein Wunder. Israel ist inzwischen weltweit bekannt für seine außergewöhnlich innovative Food-Tech-Szene. Unternehmen wie Aleph Farms, Wilk, SavorEat, Remilk, Zero Egg und More Foods arbeiten daran, Fleisch und Milchprodukte in alltäglichen Lebensmitteln zu ersetzen. Vielleicht könnten in diesem Bereich demnächst sogar neue Einhörner auf die Welt kommen.

Stimmen aus Israel

»Israelis sind Weltmeister darin, an der Normalität festzuhalten«

Wie ist die Stimmung im Land, nachdem Israel in der Nacht auf den beispiellosen Angriff des Iran reagiert hat? Sechs Stimmen.

von Sophie Albers Ben Chamo  19.04.2024

Luftfahrt

Lufthansa und Swiss stellen Flüge nach Israel ein

Die Hintergründe

 19.04.2024

Brüssel

EU verhängt Sanktionen gegen vier israelische Siedler

Dies bestätigten Diplomaten gegenüber der Deutschen Presse-Agentur

 19.04.2024 Aktualisiert

Gaza-Krieg

Mehr als 7200 israelische Soldaten in Gaza-Krieg verwundet

Rund ein Drittel der bei dem Militäreinsatz gegen die Hamas verletzten Soldaten kämpfen mit psychischen Problemen

 19.04.2024

Nahost

Angriff wird im Iran heruntergespielt

Das Mullah-Regime bezeichnete Berichte über den Angriff auf die Luftwaffenbasis als Propaganda

von Sabine Brandes  19.04.2024

Berlin/Jerusalem

Hunger-Streit zwischen Baerbock und Netanjahu

Der Ministerpräsident und die Außenministerium sollen sich über die Lage in Gaza gestritten haben

 19.04.2024

Nahost

Keine Berichte über Schäden nach Angriff im Iran

Mehrere Flugobjekte am Himmel von Isfahan seien abgeschossen worden, erklärt das Mullah-Regime

 19.04.2024

Nahost

Griff Israel den Iran von innen heraus an?

Lesen Sie alle aktuellen Entwicklungen hier

 19.04.2024 Aktualisiert

Nahost

US-Sender: Israelische Reaktion auf Iran nicht vor Monatsende

Kommt die Antwort des jüdischen Staates nach Pessach?

 18.04.2024