Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu weiß, wie er Aufmerksamkeit bekommt. Er ist berühmt für seine Twists und Metaphern in Reden. Mal ist es die Zeichnung einer Bombe, um auf die Gefahr aus dem Iran aufmerksam zu machen, ein anderes Mal ein Foto einer Raketenabschussrampe in Gaza.
Auch in seiner Wirtschaftsrede vor der Vereinigung der Rechnungsprüfer Anfang der Woche wurde er bildlich. Sofort, nachdem er von »Israel als Super-Sparta« gesprochen hatte, kursierten KI-Bilder von ihm als Kämpfer in einer altgriechischen Uniform in den sozialen Netzwerken. Doch Netanjahu trat mit seinen Worten mehr los als nur einen viralen Sturm.
»Israel befindet sich in einer Art Isolation«, sagte Netanjahu und warnte, dass man möglicherweise Wirtschaftsstrukturen mit autarken Eigenschaften entwickeln müsse. Länder wie Katar und China investierten enorme Summen, um die westlichen Medien mit einer antiisraelischen Agenda zu beeinflussen.
Es ginge nicht um Gaza, erklärt Netanjahu
»Außerdem befinden wir uns in einer Zeit, in der Dinge, die unter der Oberfläche schlummerten, wieder an die Oberfläche kommen. Die ungehinderte Migration bedeutender und sehr militanter Minderheiten nach Europa hat extrem negative Auswirkungen auf die Außenpolitik Europas. Das beeinflusst die Regierungen.«
Es ginge nicht nur um Gaza, der Fokus liege auf der Abschaffung des Zionismus und einer extremistischen islamischen Agenda, so der Ministerpräsident weiter. »Diese Situation bedroht uns mit der Entstehung von Wirtschaftssanktionen und Problemen beim Import von Waffen und Waffenteilen.«
Man müsse den Kurs ändern, denn was bisher funktioniert habe, werde von nun an nicht mehr funktionieren. »Wir müssen Athen und Super-Sparta sein. Wir haben keine Wahl. Zumindest in den kommenden Jahren werden wir uns mit diesen Isolationsversuchen auseinandersetzen müssen.«
Vladimir Beliak: »Netanjahu und sein korrupter Kreis werden selbst nicht in einer autarken Wirtschaft leben, sondern weiterhin ins Ausland reisen und von Milliardären profitieren.«
Schon kurz nach dem Ende seiner Ansprache reagierten die israelischen Märkte: Aktien an der Tel Aviver Börse fielen so stark wie zuletzt Anfang 2024 und der Wert des Schekel verlor so viel, dass man sich im Finanzministerium zur Krisenbesprechung traf. Investoren äußerten ihre Besorgnis, dass sich das Land von dem offenen, innovationsgetriebenen Modell abwendet, das einen Großteil des wirtschaftlichen Erfolgs darstellt.
Eine Gruppe von 80 Ökonomen, viele von ihnen ehemalige Mitarbeiter von Wirtschaftsbehörden, warnte in einem Brief, dass eine vollständige Besetzung des Gazastreifens und eine stärkere Isolation langfristige Schäden verursachen würden. Darunter »Brain Drain«, Kapitalabflüsse und sogar den Verlust des Status als Industrieland.
Auch die innenpolitischen Reaktionen waren schnell und heftig. »Ich möchte nicht, dass wir Sparta sind«, schrieb der Vorsitzende der Gewerkschaft Histadrut, Amnon Bar-David. Er befürchte, dass die Vision von Israel als Sparta das Wohlergehen der Bürger, Kunst, Kultur und Bildung vernachlässige. »Die israelische Gesellschaft ist jetzt schon völlig erschöpft, während sich das internationale Ansehen unseres Landes zusehends verschlechtert.«
Mitglied aus Netanjahus innerem Kreis äußert sich
Vladimir Beliak, Oppositionsführer im Finanzausschuss, verurteilte die Rede in noch schärferen Worten. Er sagte, »Netanjahu und sein korrupter Kreis werden selbst nicht in einer autarken Wirtschaft leben, sondern weiterhin ins Ausland reisen und von Milliardären profitieren. Die ›Super-Sparta‹-Realität des niedrigen Lebensstandards gilt nur für arbeitende Israelis.« Netanjahus Aussage sei Wahnsinn und erfordere nur eine Antwort: »Den Sturz seines Regimes durch legalen Widerstand.«
Yair Lapid, Vorsitzender der Zentrumspartei Jesch Atid, warf dem Premierminister vor, Israel in ein Dritte-Welt-Land zu verwandeln, und warnte, die Rhetorik zeuge nicht von düsterem Realismus, sondern vom »Schreckgespenst des Niedergangs«.
Auch ein Mitglied aus Netanjahus innerem Kreis äußerte sich anonym im öffentlich-rechtlichen Sender Kan: »Als Netanjahu von einer autarken Wirtschaft sprach, war ziemlich klar, dass er damit Waffen meinte, nicht Weizen. Aber es wäre besser gewesen, das nicht zu sagen, und ich nehme an, er hatte es auch nicht vor. Auch wir wollen nicht Sparta sein.«
Die Rede löste auch unmittelbare Besorgnis in der israelischen Wirtschaft, im Hightech-Bereich und in der Wissenschaft aus. Vertreter des Hightech-Sektors argumentierten, Israels Wachstumsmotor hänge von der Anbindung an die globalen Märkte ab. Eine Isolation würde die Innovationskraft, den Zugang zu Talenten und strategische Partnerschaften schädigen.
Benjamin Netanjahu: »Trotz des Kriegsdrucks geht es Israel wirtschaftlich weiterhin gut.«
Der israelische High-Tech-Verband, der die Leiter der Technologiebranche vertritt, fügte hinzu: »High-Tech, der Wachstumsmotor der Wirtschaft, ist auf globale Märkte und das Vertrauen der Investoren angewiesen. Isolation untergräbt unseren technologischen und militärischen Vorsprung. Ist Netanjahus Vision, wieder Apfelsinen zu verkaufen?«
Nach den Reaktionen ruderte Netanjahu zurück und veröffentlichte mehrere Klarstellungen, um die Interpretation der »Super-Sparta«-Äußerungen abzumildern. Er habe »Sicherheitsunabhängigkeit« und nicht vollständige wirtschaftliche Isolation betonen wollen. Stattdessen wolle er Bürokratie abbauen, Investitionen fördern und Israels freie Wirtschaft erhalten. Er rief Investoren aus aller Welt dazu auf, weiterhin in Israel Geschäfte zu machen.
Auf Englisch betonte er, dass die israelische Wirtschaft weiterhin stark sei und betonte die relative Stärke des Schekels, anhaltende ausländische Investitionen, insbesondere in Forschung und Entwicklung, und sagte, dass es dem Land trotz des Kriegsdrucks wirtschaftlich weiterhin gut gehe.
Doch auch internationale Analysten äußerten sich. Bloomberg bezeichnete die Reaktion des Marktes als »Misstrauensvotum« und warnte, dass die Äußerungen zu langfristigen Schäden an Kapitalflüssen führen könnten. Der Guardian beschrieb die Rede als Signal für »eine Zukunft zunehmender internationaler Isolation«.
Einige Kommentatoren im In- und Ausland zogen auch historische Vergleiche und warnten, Sparta sei zwar militärisch widerstandsfähig gewesen, habe jedoch letztlich aufgrund seiner wirtschaftlichen Isolation und kulturellen Stagnation den Niedergang erlebt.