Würde in Israel heute gewählt, dürfte Benny Gantz mit großer Wahrscheinlichkeit auf dem Sessel des Ministerpräsidenten Platz nehmen. Sein Bündnis Nationale Einheit erhielte die meisten Stimmen der Israelis. Dabei würde die Mehrheit dort lieber einen Altbekannten sehen: Benjamin Netanjahu. Der Vorsitzende der Likud-Partei ging aus einer aktuellen repräsentativen Umfrage von Kanal 12 zum ersten Mal seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober als Favorit der Öffentlichkeit für das Amt des Premierministers hervor.
Zwar gibt es in Israel keine Direktwahl des Ministerpräsidenten, doch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zogen bei der Frage »Wen würden Sie am liebsten als Premier sehen?« Netanjahu mit einem Vorsprung von sechs Prozent Gantz vor. 36 Prozent wollen den Amtsinhaber weiterhin auf dem Chefsessel sehen, den ehemaligen Verteidigungsminister und momentanen Kriegsminister Gantz bevorzugen 30 Prozent. Ebenso viele Stimmen würde der Oppositionsführer Yair Lapid von der Partei Jesch Atid erhalten. Gantz‹ Vorsprung vor Netanjahu war nach dem 7. Oktober sprunghaft angestiegen, als Hamas-Terroristen in den Süden Israels eindrangen, mehr als 1.200 Menschen töteten und über 253 Geiseln in den Gazastreifen verschleppten.
Im Dezember lag Benny Gantz noch mit 45 Prozent vorn
Dabei lag Gantz, der dem Kriegskabinett in Jerusalem nur wenige Tage nach dem schlimmsten Terroranschlag in der Geschichte Israels beitrat, bei Umfragen im Dezember mit 45 Prozent weit vor Netanjahu, der nur 27 Prozent holte. Noch vor einem Monat hatte Gantz immerhin noch 35 Prozent, während nur 29 Prozent der Befragten Netanjahu unterstützten.
Die Umfrage zeigte zudem, dass der rechtskonservative Likud des Regierungschefs im Vergleich zum Zentrumsbündnis Nationale Einheit von Gantz und dem ehemaligen Stabschef Gadi Eizenkot aufholt. Zwar liegt die Nationale Einheit mit 25 Sitzen in der Knesset noch immer vorn, der Likud jedoch hat mittlerweile vom Tiefststand im Dezember mit 19 Mandaten auf 21 Sitze aufgeholt. Gantz‹ Partei verlor währenddessen von 35 Sitzen Ende des vergangenen Jahres zehn.
Bei Parlamentswahlen würde das rechtsreligiöse Lager um den Likud heute 52 Mandate in der 120 Sitze zählenden Knesset holen, verglichen mit 64 Sitzen, die der Block derzeit innehat. Der Anti-Netanjahu-Block könnte die verbleibenden 68 Sitze gewinnen, die Mehrheit stellen und die Regierung übernehmen.
»Die Regierung hat Israel in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen im Stich gelassen.«
Gadi eizenkot
Kanal 12 analysierte, dass die derzeitige Verschlechterung von Gantz auf dessen Ultimatum vor einigen Tagen zurückzuführen sei. In diesem drohte er, die Regierung am 8. Juni zu verlassen, wenn die Koalition bis zu diesem Datum keinen Plan für den »Tag nach dem Krieg« im Gazastreifen und den Neuaufbau südlicher und nördlicher Gemeinden Israels vorstelle.
Abgesehen von der Wahlpolitik unterstützt fast die Hälfte der Israelis (49 Prozent) die sofortige Bildung einer staatlichen Untersuchungskommission zu den Ereignissen vom 7. Oktober. 40 Prozent wollen diese erst nach Kriegsende, drei Prozent lehnen eine derartige Untersuchung kategorisch ab.
Eizenkot, ebenfalls Mitglied des Kriegskabinetts, warf dem Ministerpräsidenten währenddessen vor, »Israel in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen im Stich gelassen« zu haben, und forderte Neuwahlen. Es sei klar, dass die Regierung, die am 7. Oktober an der Macht war, für »das größte Versagen seit der Staatsgründung« verantwortlich sei. Der einstige Stabschef schlug vor, irgendwann zwischen September und Dezember Parlamentswahlen abzuhalten, »um die Nation aufzubauen«.
Netanjahu habe Slogan »totaler Sieg« erfunden und propagiert
»Diese Regierung muss so schnell wie möglich ersetzt werden«, denn gemäßigte Stimmen in der Regierung würden zunehmend an Bedeutung verlieren, machte er deutlich. Insbesondere kritisierte Eizenkot, dessen Sohn und Neffe an zwei aufeinanderfolgenden Tagen bei Kämpfen der IDF in Gaza getötet wurden, Netanjahu dafür, dass er den »eingängigen Slogan des totalen Sieges« gegen die Hamas erfunden und propagiert habe.
Der Regierungschef habe aus der Angelegenheit von Rafah mit drei oder vier Hamas-Bataillonen einen globalen Knotenpunkt und eine sehr komplexe Geschichte gemacht. »Wenn wir uns zum richtigen Zeitpunkt, mit dem richtigen Timing und mit den richtigen Kräften um Rafah gekümmert hätten, wäre es ein relativ unbedeutendes taktisches Ereignis gewesen«, so Eizenkot.
Netanjahus Likud-Partei verhöhnte den einstigen Armeegeneral und gab eine Erklärung heraus, die Nationale Einheit betreibe »kleinliche Politik« und suche nach einem Weg, um die Regierung zu verlassen.