Gewalt

Nach dem Schwarzen Freitag

In Tel Aviv demonstrierten mehr als 10.000 Menschen gegen Rassismus und Homophobie. Foto: Flash 90

Es war ein Schwarzer Freitag für Israel. Als die Nation am Morgen erwachte, fand sie sich mit einer anderen Realität konfrontiert: der des jüdischen Terrors. Am Donnerstag hatte ein charedischer Fanatiker während der Jerusalemer Gay Parade auf Teilnehmer eingestochen; in der folgenden Nacht warfen vermutlich extremistische jüdische Siedler Brandbomben in das Haus einer palästinensischen Familie im Dorf Douma. Das traurige Resultat des Hasses: eine tote Schülerin, ein Kleinkind, das bei lebendigem Leib verbrannte, und mehrere Menschen, die noch schwer verletzt im Krankenhaus liegen.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte sich am Freitagmorgen: »Das ist Terror in jeder Hinsicht. Der Staat Israel geht mit Terroristen hart um, egal, wer sie sind.« Sofort verurteilten Politiker aller Richtungen die Attacken. Wurden Angriffe jüdischer Extremisten vorher oft als»Racheakte« bezeichnet, sprachen die Politiker jetzt Klartext: »Terror ist Terror.« Die Sicherheitskräfte wurden angewiesen, die Täter so schnell wie möglich zu finden, damit sie vor Gericht gestellt werden können. Netanjahu sprach der palästinensischen Familie Daoubasa und den Hinterbliebenen der ermordeten 16 Jahre alten Schülerin Schira Banki sein Beileid aus.

Am Samstagabend demonstrierten in Jerusalem, Tel Aviv, Beer Sheva und Haifa Tausende gegen Gewalt. In Tel Aviv waren nach Angaben der Polizei mehr als 10.000 Menschen zusammengekommen, um gegen Rassismus und Homophobie zu protestieren. In Haifa waren es Hunderte Bürger, einige trugen Schilder wie: »Es ist keine Rache – es ist Mord« und »Israelische Regierende sind Kindermörder«.

Präsident »Flammen reißen unser Land in den Abgrund«, sagte Präsident Reuven Rivlin in Jerusalem vor Tausenden. »Flammen der Gewalt, des Hasses und des verzerrten Glaubens.« Rivlin hatte – wie andere Politiker, darunter Isaac Herzog und Netanjahu – die Familie Daoubasa im Krankenhaus in Tel Aviv besucht. Mutter Reem und Alis vierjähriger Bruder Ahmed schweben mit schwersten Brandverletzungen noch immer in Lebensgefahr. »Ich habe sie schweigend besucht, voller Scham, voller Angst vor der Macht des Hasses«, sagte Rivlin, »voller Scham, dass es in einem Land, das die Morde von Schalhevet Pass, der Fogel-Familie, Adele Biton, Eyal, Gilad, Naftali und Mohammed gesehen hat, noch immer Menschen gibt, die nicht zögern, Flammen zu entzünden und ein Baby bei lebendigem Leib zu verbrennen.« Er forderte seine Landsleute auf, »den Weckruf zum Anlass zu nehmen, Israel nicht zu einem Zelotenstaat, nicht zur Anarchie werden zu lassen«.

Der Präsident erntete für seine offenen Worte Morddrohungen im Internet und wurde mit einer Nazi-Uniform dargestellt. Doch Rivlin rudert nicht zurück. Zu Wochenbeginn erklärte er: »Es sieht so aus, als seien wir zu lax mit den Erscheinungsformen des jüdischen Terrors umgegangen. Wahrscheinlich haben wir nicht verstanden, dass wir es mit einer entschlossenen, gefährlichen ideologischen Gruppe zu tun haben, die die Brücken zerstören will, die wir unermüdlich bauen.«

Sekte Das sei in der Tat so, glaubt Avi Mizrachi, Sicherheitsexperte und ehemaliger Major der IDF. »Es handelt sich um eine Sekte von mehreren Hundert messianischen Extremisten, die weder Israels Souveränität noch Gesetze und Gerichte anerkennen.« Es sei ein großer Fehler gewesen, diese Gruppen verharmlosend als »Hügel-Jugend« (in Anlehnung an die Siedlungen, die sie oft auf Hügeln im Westjordanland bauen) und ihre Taten als »Preisschild-Attentate« zu bezeichnen. »Diese Gruppen können uns in eine Katastrophe führen. Es ist Terrorismus.«

Der Fernsehkanal 2 veröffentlichte am Wochenende Zahlen, die den falschen Umgang mit jüdischem Terror bestätigen: In 15 Ermittlungsverfahren wegen Brandstiftung gegen palästinensische Moscheen, Häuser oder Menschen, die seit 2008 eröffnet worden waren, gab es bis heute nicht eine einzige Verurteilung. In den letzten zehn Jahren, gibt die Menschenrechtsorganisation Jesch Din an, kam es von 1045 Anzeigen gegen jüdische Siedler nur in 7,4 Prozent überhaupt zu einem Gerichtsverfahren.

Geheimdienst Versuche, Taten jüdischer Fanatiker als Terror einzustufen, hatten in der letzten Regierung bereits Verteidigungsminister Mosche Yaalon und die damalige Justizministerin Zipi Livni unternommen. Doch Regierungschef Netanjahu lehnte das ab. Yaalon kündigte nun an, »den Kampf gegen den jüdischen Terror anzuführen«.

Die »jüdische Abteilung« des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet beklagt seit Jahren, dass sie große Schwierigkeiten hat, die »Hügel-Jugend« zu durchdringen. Diese arbeitet oft in kleinen Zellen, die wenig miteinander kommunizieren. »Es ist leichter, die Hamas oder andere palästinensische Terrorgruppen zu infiltrieren«, heißt es aus Geheimdienstkreisen, »als diese Gruppen«.

Auch ein Regierungsmitglied zeichnet ein düsteres Bild. Der Minister für innere Sicherheit, Gilad Erdan, erklärte: »Die religiösen Anarchisten achten das Recht nicht und wollen den Staat in einen Gottesstaat verwandeln, in dem einzig das jüdische Gesetz gilt.« Mangelhafte Bildung und viel zu nachsichtige Gerichte seien die Hauptprobleme.

Haft Am Sonntag wurde eine erste Änderung verabschiedet. Das Sicherheitskabinett beschloss, dass die sogenannte »administrative Haft« auch bei der Ermittlung im Brandanschlag auf die Daoubasa-Familie angewandt werden darf. Dabei dürfen Terrorverdächtige ohne Verfahren in Haft genommen werden – auf unbestimmte Zeit. Bislang wurde die umstrittene Methode lediglich gegen Palästinenser angewandt.

Das könne aber nur der Anfang sein, meint die Opposition. Sie ruft dazu auf, den ständigen Worten des Entsetzens endlich Taten folgen zu lassen. Die Chefin der Meretz-Partei, Zehava Gal-On, wetterte: »Wir wollen eure Gewissensprüfungen und eure Verurteilungen nicht. Es gibt eine Verbindung zwischen der Gewalt in der jüdischen Siedlung Beit El, den Morden von Douma und der Attacke auf der Gay Parade. Netanjahu hat die Aufwiegelung gegen Araber und Linke perfektioniert.« Oppositionsführer Isaac Herzog fordert von der Regierung, jüdischen Terror genauso zu behandeln wie islamistischen: »Es wurde genug geredet und dann wieder zur Tagesordnung übergegangen. Jetzt müssen Taten folgen.«

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