Meinung

»Liebe Kollegen ...«

Andrea Kiewel Foto: imago/STAR-MEDIA

Meinung

»Liebe Kollegen ...«

Andrea Kiewel ärgert sich darüber, dass deutsche Journalisten beim Thema Israel so häufig scheitern

von Andrea Kiewel  28.03.2019 20:19 Uhr

Ich war splitterfasernackt, als die Sirene losheulte. »Na, bravo«, dachte ich, »mein erster Raketenalarm in Tel Aviv, und ich habe nichts an!«

Heute vor zwei Wochen, genau um 21 Uhr, ich war kurz zuvor aus Berlin zurückgekommen, hatte ich mich am Airport Ben Gurion über die endlos langen Warteschlangen an der Immigration beschwert – Verzeihung, haben Sie denn kein Personal? Die Menschen kommen nach einem fast fünfstündigen Stunden Flug hier an, und das ist dann der erste Eindruck von Israel? –, sprang ins Taxi, danach direkt unter die Dusche und dann: ÜÜÜüüüüüüüüüüüüü ….

RAKETEN Die folgenden Tage waren zwar wackelig, aber ruhig, seit diesem Montag nun feuerte Gaza unaufhörlich Raketen auf Israel, die Sirenen in Aschkelon und Sderot heulten im Zehn-Minuten-Takt, die Hauptnachrichten-Sendung des israelischen Fernsehsenders »Keshet« verlegten kurzerhand das Moderatorenpult aus dem Studio genau an die Grenze im Süden und berichtete live und open air direkt vom Ort des Geschehens.

Wenn man Journalist ist, muss man die Wahrheit berichten. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

Ich bin in Frieden aufgewachsen. Während meiner Schulzeit gab es hin und wieder einen Probealarm, um zu üben, wie wir Schüler uns zu verhalten haben, wenn ein Feuer ausbricht. Und wie alles in der ehemaligen DDR wurde daraus ein  Wettbewerb gemacht: Welche Klasse steht zuerst picobello aufgereiht auf dem Schulhof?

Ein Mal im Monat heulten mittwochs um Punkt 13 Uhr die Sirenen in Ost-Berlin. Aber warum? Denn selbst wenn eine Bedrohung von jenseits des »antifaschistischen Schutzwalls« (Mauer) ausgegangen wäre, wohin hätten wir rennen sollen? Es gab weder Schutzräume noch Bunker. Bis heute habe ich diese Probealarme nicht verstanden.

IRRTUM Ebenso wenig verstehe ich einen Beitrag der ARD-»Tagesschau«, der am Dienstag gesendet wurde und mit den Worten beginnt: »Nach schweren Angriffen der israelischen Armee auf den Gazastreifen ...«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der ARD, Sie irren sich! Ich war vor Ort, als es losging mit den Raketen aus Gaza. Die Reaktion der israelischen Armee darauf war – wie der Name schon sagt – eine Reaktion. Man muss Israel nicht mögen. Man kann diesen Staat kritisieren, sich zur Brust nehmen und ihm viele Fragen stellen. Man muss aber, wenn man Journalist ist, die Wahrheit berichten.

Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Wenn also eine Meldung der ARD-»Tagesschau« mit »Nach schweren Angriffen der israelischen Armee« beginnt, erweckt diese Nachricht den Eindruck, Israel hätte angefangen mit den Raketen. Israel sei der Aggressor. Das ist falsch. Ich lege beide Hände dafür ins Feuer. Ich war dabei. Zwar nackt und unter der Dusche, aber ich war live dabei, als die – was diese Auseinandersetzung betrifft erste – Rakete von Gaza aus abgefeuert und 45 Sekunden später vom »Iron Dome« über Israel abgefangen und zerstört wurde.

Ich frage mich, wie gestandenen Journalisten solche Fehler unterlaufen können?

Liebe Kolleginnen und Kollegen der »Tagesschau«, ich unterstelle Ihnen gewiss keine bewusste Falschmeldung. Dennoch komme ich nicht umhin, mich zu fragen, wie gestandenen Journalisten so ein Fehler unterlaufen kann? Denn so, wie es meine Pflicht (mehr als das, es ist mir auch ein Anliegen) als Moderatorin einer großen Unterhaltungsshow ist, in meinen Anmoderationen weder die Künstler, die in meinem »ZDF-Fernsehgarten« auftreten, noch deren Songs zu bewerten, so ist es für Sie als Nachrichtenredakteure unbedingt Ihre Aufgabe, wahrheitsgemäß über politische Ereignisse zu berichten.

REAKTION Und dazu gehört auch, dass man die zeitliche Reihenfolge von Geschehnissen einhält. Selbst wenn es sich um Israel handelt (Achtung: Ironie!): Zuerst beschoss Gaza Israel mit Raketen, dann verteidigte sich Israel mit einem militärischen Manöver. Man muss dies, wie gesagt, überhaupt nicht gut finden, aber man muss sich bitte unbedingt an die Tatsachen halten: Gaza agiert, Israel reagiert.

Ich jedenfalls habe seit jenem Donnerstagabend ein neues Mantra. Denn ein Freund, dem ich mein Entsetzen über das Erschallen der Sirenen gestand, nahm mein Gesicht in seine zuverlässigen Hände, drückte mir einen Kuss auf die Lippen und sagte im schönsten Hebräisch: »Andrejusch, du kannst nicht in Angst leben. Lass uns essen gehen!«

Die Autorin ist Fernsehjournalistin und moderiert unter anderem den »ZDF-Fernsehgarten«.

Prozess

Bitte um Gnade

Premierminister Netanjahu wendet sich überraschend an Staatspräsident Herzog

von Sabine Brandes  04.12.2025

Israel

Drei Brüder werden an einem Tag Väter - von vier Kindern

Zwillinge inklusive: Drei Brüder und ihre Partnerinnen schenken den Großeltern an einem Tag vier Enkel. Wie es zu diesem seltenen Familienglück kam

von Sara Lemel  04.12.2025

Preisvergabe

Charlotte Knobloch kritisiert Berichterstattung von Sophie von der Tann

Dass problematische Berichterstattung auch noch mit einem Preis ausgezeichnet werde, verschlage ihr die Sprache, sagt die Präsidentin der IKG München

 04.12.2025

Tel Aviv

Fast jeder vierte Israeli denkt über Auswanderung nach

Unter säkularen Juden ist die Zahl derer, die ein Auswandern erwägen, größer als in religiösen Gruppen und bei israelischen Arabern

 04.12.2025

Gaza

Sudthisaks letzte Reise hat begonnen

Der Leichnam des thailändischen Landarbeiters Sudthisak Rinthalak wurde am Mittwoch überführt. Nun befindet sich noch eine tote Geisel in Gaza, nämlich die von Ran Gvili

von Sabine Brandes  04.12.2025

Barcelona

Guinness World Records blockiert Bewerbungen aus Israel

Die israelische NGO Matnat Chaim will im kommenden Monat 2000 Nierenspender zusammenbringen. Dieser Rekord wird nicht registriert, da er im jüdischen Staat umgesetzt werden soll

 04.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  03.12.2025 Aktualisiert

Medien

»Antisemitische Narrative«: Vereine üben scharfe Kritik an Preis für Sophie von der Tann

Die Tel-Aviv-Korrespondentin der ARD soll mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt werden

 03.12.2025

Gesellschaft

Bennett: »Vorschlag für Armeegesetz ist Betrug«

Eine neue Einbringung zur Wehrpflicht für Charedim sorgt für Unruhe in der Koalition

von Sabine Brandes  03.12.2025