Urteil

Keine Ausnahme für Charedim

Charedim stießen am vergangenen Sonntag in Jerusalem mit der Polizei zusammen. Foto: Flash 90

Es ist ein dramatisches Urteil, das zu Protesten, Gewalt und vielleicht zu Neuwahlen führen könnte. In der vergangenen Woche entschied das Oberste Gericht, dass es keine Ausnahme mehr für charedische Jeschiwa-Studenten geben wird – auch sie werden künftig, wie alle anderen jungen Israelis, in der Armee dienen müssen. Das Urteil, das nach dem Einbringen einer Petition der Organisation »Movement for Quality Government« zustande kam, müsse innerhalb eines Jahres umgesetzt werden, oder die Regierung muss ein neues Gesetz formulieren, erklärten die Richter.

Es ist ein Problem, das seit Jahrzehnten in der israelischen Gesellschaft schwelt und immer wieder zu Massendemonstrationen und gewalttätigen Ausschreitungen führt. Seit der Staatsgründung waren immatrikulierte Religionsstudenten vom Militärdienst ausgenommen. Doch massiv steigende Zahlen und Skandale wegen fingierter Statistiken der Jeschiwot sorgten dafür, dass der Streit um den Wehrdienst vor dem Obersten Gericht landete. Im Februar 2012 entschied dieses, eine Freistellung religiöser Männer sei verfassungswidrig, da sie dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche.

strafen Demzufolge müssten junge Charedim eigentlich schon lange zur Armee gehen. Folgen sie dem nicht, drohen drakonische Strafen, unter anderem Gefängnis. So lautet zumindest die Theorie. In der Praxis jedoch gab es durch den Druck der ultraorthodoxen Parteien in der Regierungskoalition zunächst eine Verlängerung der Ausnahmeregelung bis 2017, dann bis 2020 und aktuell sogar bis 2023. Nach Meinung der Richter soll damit nun Schluss sein. Insgesamt neun Richter unter dem Vorsitz der Präsidentin Miriam Naor, die kurz vor ihrem Ruhestand steht, entschieden das mit acht zu einer Stimme.

Einer der Gründe sei, dass derzeit so wenige Charedim zur Armee gingen, sodass das Ziel – die Ungleichheit in Bezug auf den Militärdienst zu beenden – mit den bestehenden Regelungen nicht erreicht werden könne. Die vorhandenen Daten bestärkten diese Überzeugung, so Richterin Naor. Es gebe keine »stille Revolution« in Sachen Armeedienst für Ultraorthodoxe.

Mosche Prigan, ehemaliger Leiter der Eingliederungsabteilung für Charedim innerhalb der Armee, widerspricht: »Man kann nicht 70.000 Leute zwingen, zu dienen, und nicht eine Demokratie durch 70.000 Verweigerer aus Gewissensgründen auf den Prüfstand stellen.« Seiner Meinung nach wurde dem aktuellen Gesetz nicht ausreichend Zeit gelassen, um die streng religiösen Männer langsam in die Armee zu bringen. »Es könnte ein exzellentes Gesetz sein. Es wurde einfach nicht lang genug ausprobiert.« Das Oberste Gericht entlasse seiner Meinung nach mit seinem Urteil jene aus der Verantwortung, die den Einberufungsprozess der Charedim sabotieren. »Ein 70 Jahre andauerndes Problem kann nicht so einfach beseitigt werden.«

Feindseligkeit Es gibt keine Partei, die dem Armeegesetz gleichgültig gegenübersteht. Zudem fällt das Urteil in eine Zeit, in der die rechten Parteien dem Obersten Gericht generell feindselig gegenüberstehen. Vor allem die nationalreligiöse Partei Jüdisches Haus mit dem Vorsitzenden Naftali Bennett und Justizministerin Ayelet Shaked versucht mit aller Macht, gegen den Einfluss der Richter anzugehen. Der neueste Coup der beiden Politiker ist der Vorschlag zu einem Gesetz, mit dem sämtliche Urteile zu Grundgesetzen umgangen werden könnten.

Das wäre ganz im Sinne von Arie Deri, dem Innenminister und Vorsitzenden der ultraorthodoxen Schas-Partei. In einem Interview berichtete er, dass Premierminister Benjamin Netanjahu ihm versprochen habe, noch in der Winterperiode der Knesset ein »Umgehungsgesetz« auf die Tagesordnung zu setzen.

Netanjahu, der bis zum 20. September auf Staatsbesuch in verschiedenen südamerikanischen Ländern war und anschließend eine Rede vor den Vereinten Nationen hielt, äußerte sich offiziell noch nicht zu dem neuen Urteil. Die ersten Reaktionen der charedischen Parteien ließen jedoch nicht lange auf sich warten. Noch am Abend der Urteilsverkündung bezeichneten einige Vertreter das Urteil als »abscheulich« und als »Krieg gegen das Judentum«. Dass es die Koalition aber spalten werde, glauben derzeit die wenigsten. Denn immer noch dient diese Regierung den Interessen der Charedim besser als jede Alternative. Doch auch die Ultraorthodoxen fordern ein Gesetz, das die Entscheidung aushebelt.

Nötigung Yair Lapid von der Partei Jesch Atid berief sofort eine Pressekonferenz ein. Der frühere Finanzminister hatte die Armeereform auf den Weg gebracht; sie gilt als sein Steckenpferd. Lapid drohte damit, dass »Demonstranten die Straßen überfluten werden, sollten die religiösen Parteien ihre Forderungen nach einem Umgehungsgesetz erzwingen«. Er rief Verteidigungsminister Avigdor Lieberman auf, Stellung gegen diese Art der »religiösen Nötigung« zu beziehen.

Lieberman, Vorsitzender der überwiegend säkularen Partei Israel Beiteinu, machte deutlich, dass man weder einen Krieg gegen die charedischen Parteien noch gegen das Oberste Gericht anstrebe, sondern vielmehr versuche, das Problem mit gesundem Menschenverstand anzugehen. Zugleich machte der Minister deutlich: »Wir diskutieren definitiv über den Dienst für alle. Jeder junge Mensch, der das 18. Lebensjahr erreicht hat, muss eingezogen werden oder Zivildienst leisten. Es kann gar nicht anders sein.«

Gerhard Conrad

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