Tel Aviv

Jetzt erst recht

Schon zwölf Stunden nach dem Anschlag öffnete »Max Brenner« wieder. Foto: Flash 90

Das Leben in Tel Aviv steht niemals still. Schon gar nicht wegen des Terrors. »Jetzt erst recht!«, sagen viele Städter und zeigen ihren Trotz, indem sie uneingeschränkt ihre Lebenslust zelebrieren. Am vergangenen Mittwoch ermordeten zwei palästinensische Terroristen kaltblütig vier Israelis in einem Café auf dem Marktkomplex Sarona im Zentrum der Stadt und verletzten 16 weitere. Schon zwölf Stunden nach den Morden öffnete das »Max Brenner« seine Türen wieder und machte damit der Daffke-Attitüde der Stadt alle Ehre.

Unter den Ersten, die kamen, waren die Frontfrauen der Zionistischen Union, Zipi Livni und Shelly Jachimowitsch. Demonstrativ setzten sie sich am Morgen danach in das Schokoladenlokal und bestellten Kaffee. Das Personal hatte Sticker mit der Aufschrift »Tel Aviv atmet tief durch« an ihren T-Shirts und versuchte sich, so gut es ging, im »business as usual«.

Schock Schachar Rize ist mit einer Freundin hier, »weil wir einfach das Gefühl hatten, dass wir hier sein müssen«. Die Angestellte, die in einem Büro an der nahe gelegenen Ibn-Gabirol-Straße arbeitet, fühlt sich von den Geschehnissen manchmal überwältigt, wie sie zugibt. »Vor drei Monaten war ich im Süden von Tel Aviv unterwegs, als ich die schier endlosen Krankenwagensirenen hörte. Es war der Abend des Anschlags auf der Strandpromenade. Tagelang war ich hinterher wie im Schock.« Trotz ihrer Trauer über die Opfer will sie sich indes nicht dauerhaft von »feigen Terroristen« runterziehen lassen. »Denn das ist genau das, was Terror erreichen will – und ich mache da nicht mit.«

Auch 20 Botschafter und Gesandte verschiedener Staaten statteten dem Einkaufszentrum einen spontanen Besuch ab. »Wie die Tel Aviver damit umgehen, ist wichtig«, befand der italienische Botschafter Francesco Talo. »Wenn man den Terroristen zeigt, dass man das Leben genießt, verlieren sie. Wir sagen damit, dass wir keine Angst vor ihnen haben.« Ähnlich reagierte der Chef der Partei Jesch Atid, Yair Lapid, als er in Sarona vor Journalisten sprach. »Dies ist ein Kampf der Kulturen. Eine liebt die Demokratie, die Energie der Menschen, die einfach nur Leben wollen, während die andere Tod und Zerstörung feiert.« Am Tag des Anschlags hätten Menschen in Ramallah, Nablus und Gaza gefeiert und Bonbons verteilt, so Lapid weiter. »Was feierten sie? Den Tod einer jungen Frau, die in einigen Wochen heiraten wollte, den Tod eines Familienvaters ... Wir hingegen müssen das Leben feiern.«

Facebook Doch nicht alle Palästinenser geben sich dem Hass hin. Kommentatoren, etwa auf der Facebook-Seite des Tel Aviver Friedensaktivisten Ronny Edry, verurteilten den Anschlag, äußerten sich bestürzt und wünschten den Verletzen eine schnelle Genesung. »Und darauf möchte ich mich konzentrieren«, betonte Edry.

Trotz des jüngsten Anschlags sieht man in Tel Aviv nicht mehr Polizei als gewöhnlich. Auf der Strandpromenade patrouillieren zwei Beamte, die nach der Messerattacke vom März eingesetzt wurden. Doch zusätzliches Sicherheitspersonal sucht man vergebens. Die Polizei hatte das Management von Sarona vor einigen Monaten gewarnt, dass die Sicherheitsvorkehrungen in dem Markt, der täglich Tausende von Besuchern anzieht, nicht ausreichend sind, und hatte den Entzug der Betreibergenehmigung gefordert. Das Management hatte die Vorwürfe damals zurückgewiesen. Auf Anfragen, wie es in der Zukunft mit der Sicherheit umgehen werde, gab es keinen Kommentar.

Eine Familie hatte besonderes Glück im Unglück. Die Gradys boten einem der Terroristen unwissentlich nach dem Anschlag Schutz in ihrer Wohnung, als er in ihre Richtung rannte und sie dachten, er sei auf der Flucht wie die anderen. Ofri Hefetz-Grady berichtete anschließend im Fernsehen über das schockierende Erlebnis. Sie hätten mit Angehörigen auf der Treppe der Cinematheque gesessen, als sie Schüsse hörten und Menschen in ihre Richtung rannten. Da ihre Wohnung nur wenige Meter entfernt war, brachten sie sich dort in Sicherheit. Mit ihnen lief ein junger Mann im dunklen Anzug, »der am ganzen Körper zitterte«. Das einzige Wort, das er herausbrachte, war auf Englisch »Water«.

Ofris Ehemann, ein Polizist, nahm seine Mütze und Schusswaffe und lief wieder hinaus, um zu helfen – in völliger Ahnungslosigkeit, dass er seine Familie gerade mit einem Terroristen allein gelassen hatte. Doch Sekunden später, als er an der Stelle vorbeikam, an der der andere Täter angeschossen am Boden lag, erkannte er, dass die beiden dieselben Anzüge trugen. Sofort rannte er zurück in die Wohnung, berichtete seine Frau. Dort saß der Terrorist noch immer auf dem Sofa und konnte überwältigt werden. Ofri weiß: »Es waren die längsten Sekunden im Leben meines Mannes. Er hatte solche Angst, dass wir alle tot sein könnten.«

Grenze Für Danielle Regev hat das Tel Aviver Attentat schwerwiegende Implikationen. »Wir erfahren nach jedem Terroranschlag, wie wichtig unsere Arbeit ist und welche Auswirkungen sie hat.« Die Leiterin der Ephraim-Einheit der Armee ist für die Überwachung der Grenze zwischen dem Westjordanland und Israel zuständig. 180 Frauen sorgen hier rund um die Uhr für den Grenzschutz. Regev erklärt, wie es den Terroristen gelingen konnte, illegal nach Israel einzureisen: »Seit Jahren haben wir das Problem, dass viele Palästinenser in Israel illegal arbeiten – weil sie hier viel mehr Geld verdienen können. Dieses Problem haben viele Länder. Für uns bedeutet das aber außerdem, dass Terroristen auf diese Weise zu uns gelangen.«

Es gebe eine regelrechte Industrie von Schmugglern, die Willigen gegen Bargeld helfen, die Grenze zu überqueren, erläutert Regev. Zwar würde ihre Einheit fast alle illegalen Grenzübertritte wahrnehmen und einen Großteil der Leute festnehmen, »doch die Zahl ist mittlerweile so hoch, dass es sehr schwer ist, alle einzufangen«. Um Terror zu verhindern, würde die Armee die Schmuggler genauestens ins Visier nehmen.

Der wirksamste Schutz ist nach Regevs Meinung noch mehr Wachsamkeit. »Wir müssen maximalen Aufwand betreiben, um die Leute zu schnappen. Denn selbst, wenn es nur einer unter 1000 ist, der Terror ins Land bringt, lohnt sich doch alle Mühe, um viel Leid zu verhindern.«

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