Niemand würde in diesen Tagen behaupten, dass der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas ein stabiler sei. Er ist so zerbrechlich wie wohl kaum ein anderer. Dennoch zeigte sich US-Vizepräsident J.D. Vance bei seinem Besuch in Israel zuversichtlich, dass die Waffenruhe von Dauer sein werde. Es irritiere ihn, dass die Medien jedes Mal, »wenn etwas Schlimmes geschehe«, schrieben, die Waffenruhe sei vorbei. »So ist es, wenn sich Menschen hassen und schon sehr lange gegeneinander kämpfen.« Dafür laufe es sogar sehr gut. Vance bekräftigte, dass von der Hamas erwartet werde, dass sie die Waffen niederlegt und die Gewalt in Gaza beendet. »Und wenn sie nicht kooperiert, dann wird sie, wie Trump gesagt hat, ausgelöscht.« Vance zeigte sich zuversichtlich, dass die restlichen toten Geiseln überführt werden – allerdings werde dies »nicht über Nacht geschehen«.
Jared Kushner, hochrangiger Nahost-Vermittler von US-Präsident Donald Trump und sein Schwiegersohn, sieht es ähnlich: »Die Hamas tut derzeit genau das, was man von einer Terrororganisation erwartet: Sie versucht, ihre Positionen zurückzuerobern«, sagte er im Interview mit der TV-Sendung »60 Minutes«. Zusammen mit Steve Witkoff, US-Sondergesandter für den Nahen Osten, versicherte er, »Gutes tun und Lösungen« bieten zu wollen. »Und wir werden zu 100 Prozent Erfolg haben, denn wir können es uns nicht leisten zu scheitern.« Ein Satz, den Kushner durchaus logisch findet.
Im Interview beschrieben beide zudem, dass Israels Angriff auf Hamas-Anführer in Katar im September der Moment gewesen sei, der zum Abkommen führte. »Wir fühlten uns etwas betrogen«, so Witkoff. Der Präsident habe das Gefühl gehabt, »die Israelis gerieten etwas außer Kontrolle«. Da sei es an der Zeit gewesen, »sehr stark zu sein und sie davon abzuhalten, Dinge zu tun, die nicht in ihrem langfristigen Interesse waren«, fügte Kushner hinzu.
Alte, verknöcherte Muster aufbrechen
An Überzeugung mangelte es Witkoff und Kushner in dem einstündigen Gespräch nicht. Auch nicht, als sie persönlich auf dem Platz der Geiseln in Tel Aviv von »einer anderen Zeit für den Nahen Osten und einer Epoche des Friedens, der Stabilität und des Wohlstands für alle« sprachen. Amerikanische Naivität oder eher ein »Out-of-the-box«-Denken, das vielleicht nötig ist, um alte, verknöcherte Muster aufzubrechen? Kushner und Witkoff beantworteten diese Frage mit einem lauten »Ja«. Sie wollten Dinge anders angehen, als es in »50 Jahren dummer Wortspiele in Nahost« geschehen sei, und hätten dafür ihre besonderen Verbindungen genutzt. Damit meinten sie vor allem die Beziehungen zu arabischen Staaten, in denen beide auch enge und für sie lukrative geschäftliche Verbindungen pflegen. Einen Interessenskonflikt erkannten sie darin nicht.
Dass die Hamas nach Verkündung des Waffenstillstands wieder verstärkt öffentlich auftritt, angeblich mit Israel verbündete Clanmitglieder, vermeintliche Gegner und Zivilisten auf offener Straße hinrichtet und sich kategorisch weigert, die Waffen niederzulegen, würde sie auch nicht schockieren. Kushner meinte: »Soweit wir gesehen haben und nach dem, was uns von Unterhändlern übermittelt wurde, handelt die Hamas bisher im guten Glauben, um den Waffenstillstand zu respektieren.«
Zwei Soldaten getötet und drei verletzt
Politbüromitglied Muhammad Nazzal schlug stattdessen eine fünfjährige »Hudna« vor, eine islamische Waffenruhe. Die soll wohl Zeit zur Wiederbewaffnung verschaffen, begleitet von Milliarden internationaler Wiederaufbauhilfe. Am Sonntag gab die israelische Armee (IDF) bekannt, dass bei einem Angriff palästinensischer Terroristen am Morgen in Rafah zwei Soldaten getötet und drei verletzt wurden, und machte die Hamas-Führung direkt dafür verantwortlich. Trump erklärte am selben Tag jedoch, dahinter stecke nicht die Hamas-Führung, sondern »einige Rebellen im Gazastreifen«. Die Hamas behauptete, der Vorfall habe sich in einem von Israel kontrollierten Gebiet ereignet, in dem sie angeblich seit Monaten keinen Kontakt mehr zu ihren Kämpfern habe.
Der Erfolg oder Misserfolg des Waffenstillstands hänge nach Aussagen der US-Vermittler nicht von der Gewalt der Terroristen ab, sondern davon, »ob Israel und die internationale Gemeinschaft in der Lage sein werden, eine Alternative zu schaffen«. Wenn die erfolgreich sei, werde die Hamas scheitern und Gaza in Zukunft keine Bedrohung mehr für Israel darstellen, ist Kushner überzeugt.
»Die Verantwortung für die Sicherheit im Gazastreifen muss in Israels Händen bleiben.«
Ex-IDF-Stabschef Gadi Eizenkot
Wenn es doch nur so einfach wäre, dürften sich bei diesen Aussagen viele israelische Experten denken, die nun ihre Zweifel äußern. Einer von ihnen ist Gadi Eizenkot, ehemaliger IDF-Stabschef und Vorsitzender der Zentrumspartei Jaschar. »Die Situation wird von einer externen Partei, den Amerikanern, gesteuert, und das ist höchst problematisch«, sagte er Anfang der Woche. »Mit Fortschreiten des Abkommens werden weitere internationale Kräfte ins Spiel kommen, was den Handlungsspielraum der israelischen Streitkräfte einschränken wird.«
Seiner Meinung nach müsse ein Kernprinzip gewahrt bleiben: »Die Verantwortung für die Sicherheit in Gaza muss in Israels Händen bleiben.« Er räumte jedoch ein, dass »die wirtschaftliche Verantwortung von gemäßigten sunnitischen Ländern übernommen werden kann«.
Alternativen zum Extremismus schaffen
Dan Diker, Präsident des Jerusalem Center for Security and Foreign Affairs und Mitarbeiter am Internationalen Institut für Terrorismusbekämpfung an der Reichman University, meint, »der 20-Punkte-Plan des US-Präsidenten bietet sowohl eine historische Chance als auch eine kritische Bewährungsprobe für Israel, die USA und ihre Verbündeten«. In seinem Essay »Gaza stabilisieren – Israel sichern« legt er dar, dass der Plan »bei effektiver Umsetzung einen Rahmen für langfristigen Frieden und Wiederaufbau in Gaza schaffen« könne. »Um Trumps Konzept vom Wunsch in die Tat umzusetzen«, schlägt Diker eine Politik vor, die auf drei Säulen basiere: »Erstens diplomatische und sicherheitspolitische Unterstützung durch die USA, zweitens intensive Überwachung und Kontrolle und drittens wirtschaftliche und soziale Entwicklung für die Deradikalisierung.«
Israel und seine Verbündeten müssten modernste technologische Systeme und geschultes Personal einsetzen, um Grenzen, Übergänge und logistische Knotenpunkte Gazas zu überwachen. »Langfristige Stabilität hängt nicht nur von der Abrüstung ab, sondern auch von der Bekämpfung der Ursachen der Radikalisierung«, resümiert er. »Investitionen in Bildung, Gesundheitswesen, Infrastruktur und Beschäftigung könnten Alternativen zum Extremismus schaffen.« Programme zur Förderung bürgerlichen Selbstverständnisses, religiöser Mäßigung und Berufsausbildung müssten Priorität haben. »Denn je mehr die Jugend Gazas Chancen im Leben statt im Märtyrertum sieht, desto schwächer wird der Einfluss der Hamas.«