Aufarbeitung

Israelische Archäologen ermitteln: Was geschah am 7. Oktober 2023?

Der zerstörte Kibbuz Kfar Aza Foto: Flash90 2023

Normalerweise erforschen Archäologen jahrtausendalte Stätten, versuchen dem Boden seine Geschichten zu entlocken und bewahren Kulturgüter der Vergangenheit. Dazu reichten früher Spaten, Hacke und Bodensieb. Dazu kommt inzwischen eine weites Repertoire technischer Mittel und naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden. In einem ungewöhnlichen Projekt hat nun die israelische Altertumsbehörde ihre archäologischen Tools und Experten für ein besonderes Anliegen eingesetzt: Nach dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober 2023 sollten sie inmitten der Zerstörung der Kibbuze am Rand des Gazastreifens die Gegenwart entschlüsseln.

Ihre Dokumentationen und Ergebnisse sind jetzt in der Ausstellung »Rising from the Ashes« (»Auferstehen aus der Asche: Archäologie in einer nationalen Krise«) im neuen Gebäude der Antikenbehörde nahe den großen Museen Jerusalems zu sehen.

Die aufwühlende Schau erzählt, analysiert und dokumentiert die Geschichte des Terrorangriffs auf die israelischen Gemeinden im Grenzgebiet - aus der Perspektive der Archäologen. Grabungsfeld war diesmal kein idyllischer Tell - »sSondern verwüstete Kibbuze, niedergebrannte Häuser, verkohlte Autos und Straßen sowie das Open-Air-Gelände des Nova-Festivals«, wie die Behörde erklärt.

Experten gruben in Trümmern zerstörter Häuser

Fachleute, die ihre Fähigkeiten und Werkzeuge für die Interpretation antiker Überreste entwickelt hatten, gruben in den Trümmern frisch zerstörter Häuser und ausgebrannter Autowracks. Dank ihrer Expertise konnten sie Puzzleteile finden und zusammenfügen, die spärlichen Leichenreste bergen und identifizieren und damit Gesichter, Geschichten, Namen und Erinnerungen wiederherstellen.

Schon wenige Tage nach dem 7. Oktober begann die Antikenbehörde mit ihrer Arbeit. Anfangs war es schockierend und schmerzhaft, immer wieder unterbrochen von Alarm und Bunker-Aufenthalt, wenn Raketen aus dem Gazastreifen auf die umliegenden Orte abgefeuert wurden, wie ein Behördensprecher berichtet. Sie hätten Trümmer aufgeräumt und Schuttberge durchsiebt. Es entstanden drei Millionen Fotos und Filmaufnahmen. Sie ermittelten und erforschten Zusammenhänge, fügten Puzzleteile zusammen.

Spurenlese, Feldarbeit und Dokumentation

In Zusammenarbeit mit der Armee sei es den Archäologen gelungen, 16 vermisste Personen zu finden, deren Aufenthaltsort unbekannt war. Zudem wurden wertvolle persönliche Gegenstände gefunden, die dazu beitrugen, das Schicksal bestimmter Menschen aufzuklären. So habe man beispielsweise an Stav Miles den Schmuck aushändigen können, den ihre verstorbene Mutter Yona Fricker angefertigt hatte - und den sie an ihrem Hochzeitstag tragen will.

Auch die Familie der verstorbenen Shani Gabay habe endgültige Beweise für ihr Schicksal bekommen: Ihre Halskette mit einem Anhänger sei genau an dem Ort entdeckt worden, an dem sie vermutlich ermordet worden war. Im Sand fanden sich auch einzelne Schuhe, Ausweise und Kinderspielzeug, wie auf einer Projektionswand dargestellt wird.

Neben dieser Spurenlese und Feldarbeit hat die Antikenbehörde in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kulturerbe ein nationales Dokumentationsprojekt zu den überfallenen Orten gestartet. Von den zerstörten Stätten, Häusern und Straßen fertigen die Experten 3D-Modelle, sogenannte Digitale Zwillinge.

7. Oktober im kollektiven Gedächtnis

Die Ausstellung »Auferstehen aus der Asche« lebt nicht von Fundstücken, sie zeigt nur wenige Handwerkszeuge der Archäologen aus ihrem Einsatz. Im Mittelpunkt stehen Filme, aufgezeichnete Interviews und Zeugenaussagen von Akteuren und Ausgräbern. Dazu viele Bildschirme, über die sich die Zerstörungsstätten mit 3D-Modellen detailliert erkunden lassen. So lassen sich Ortsnamen interaktiv mit Ausgrabungsfunden, mit Gebäuden, mit Menschen in Verbindung bringen.

Das Dokumentationsprojekt soll dazu beitragen, »dass die Schrecken des 7. Oktober in unserem kollektiven Gedächtnis verankert bleiben und die Beweise niemals verloren gehen«, so die Antikenbehörde. Selbst wenn sich die Region wieder erholt, die Häuser neu aufgebaut werden und das Leben weitergeht, werde die Erinnerung daran nicht verblassen.

Tel Aviv

Was passiert nach Netanjahus Begnadigungsantrag?

Versuche, die Prozesse durch eine Absprache zu beenden, gab es bereits. Selbst die Richter regten eine Einigung an. Wie steht es um die beantragte Begnadigung?

 01.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert

Ehemalige Geiseln

»Eli war wie ein Vater für mich«

Alon Ohel und Eli Sharabi treffen sich nach der Freilassung zum ersten Mal wieder

von Sabine Brandes  01.12.2025

Haifa

Nach abgesagter Auktion: Holocaust-Zeugnisse jetzt in Israel

Die geplante Versteigerung von Holocaust-Zeugnissen in Deutschland hatte für große Empörung gesorgt. Nun wurden viele der Objekte nach Israel gebracht und sollen dort in einem Museum gezeigt werden

von Sara Lemel  01.12.2025

Jerusalem

Sa’ar kritisiert geplante Umbenennung des Dubliner Chaim-Herzog-Parks

Israels Präsident und Außenminister üben scharfe Kritik. Von einem »schändlichen und beschämenden Schritt« ist im Büro Isaac Herzogs die Rede

 01.12.2025

Tel Aviv

Tausende demonstrieren für Ran Gvili und Sudthisak Rinthalak

Der Vater von Ran Gvili sagt, es dürfe keinen »nächsten Schritt« geben, solange die Terroristen die letzten Leichen nicht herausgäben

 01.12.2025

Jerusalem

Bennett befürwortet Begnadigung Netanjahus – unter einer klaren Bedingung

Israel sei »ins Chaos und an den Rand eines Bürgerkriegs geführt worden«, so der Oppositionspolitiker. Um das Land aus dieser Lage herauszuholen, unterstütze er ein »verbindliches Abkommen«

 01.12.2025

Jerusalem

Netanjahu bittet Israels Präsidenten um Begnadigung

US-Präsident Trump hat eine Begnadigung des wegen Korruption angeklagten Regierungschefs Netanjahu gefordert. Nun schreibt Netanjahu selbst ein Gnadengesuch. Israels Opposition übt scharfe Kritik

 30.11.2025

Portrait

Die Frau, die das Grauen dokumentieren will

Kurz nach dem 7. Oktober 2023 gründete die israelische Juristin Cochav Elkayam-Levy eine Organisation, die die Verbrechen der Hamas an Frauen und Familien dokumentiert. Unser Redakteur sprach mit ihr über ihre Arbeit und ihren Frust über die Vereinten Nationen

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025