Abkommen

Israel verschiebt Freilassung palästinensischer Häftlinge

Erst müsse die Hamas versichern, die Geiseln nicht mehr öffentlich zu demütigen, so Ministerpräsident Netanjahu

von Lars Nicolaysen  23.02.2025 09:36 Uhr

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Foto: copyright (c) Flash90 2025

Erst müsse die Hamas versichern, die Geiseln nicht mehr öffentlich zu demütigen, so Ministerpräsident Netanjahu

von Lars Nicolaysen  23.02.2025 09:36 Uhr

Israel verschiebt nach der Freilassung weiterer Geiseln durch die Hamas die im Waffenruhe-Abkommen vorgesehene Entlassung palästinensischer Häftlinge auf unbestimmte Zeit. Das gab das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der Nacht bekannt. Erst müsse die islamistische Terrororganisation versichern, mit den demütigenden Zeremonien bei der Freilassung der israelischen Geiseln aufzuhören, hieß es zur Begründung. 

Die Entscheidung könne zum Rückzug Israels aus dem Waffenruhe-Abkommen führen, schrieb die Zeitung »Times of Israel«. Noch befinden sich mehr als 60 israelische Geiseln in der Gewalt von Islamisten im Gazastreifen, wobei etwa die Hälfte davon nach israelischen Informationen nicht mehr am Leben ist. 

»Angesichts der wiederholten Verstöße der Hamas, einschließlich der Zeremonien zur Demütigung unserer Geiseln und der zynischen Ausnutzung unserer Geiseln für Propagandazwecke, wurde beschlossen, die für gestern geplante Freilassung der Terroristen zu verschieben, bis die Freilassung der nächsten Geiseln sichergestellt ist, und zwar ohne die demütigenden Zeremonien«, hieß es in der Mitteilung des Büros des Ministerpräsidenten.

Propaganda-Video sorgt für Entsetzen

Israelische Medien verbreiteten am Abend ein Propaganda-Video, das zeigte, wie zwei israelische Geiseln von der Hamas gezwungen werden, von einem Fahrzeug aus die am Samstag erfolgte Freilassung drei ihrer Landsleute in Nuseirat im Gazastreifen aus nächster Nähe mitanzusehen, während sie selbst weiter in der Gewalt der Terrororganisation sind. »Dieser kalkulierte Akt psychologischer Folter ist ein krasses, abscheuliches Beispiel von Grausamkeit«, hieß es in einer Mitteilung des Forums der Geisel-Angehörigen.

Die Hamas hatte an dem Tag sechs weitere Geiseln freigelassen. Vermummte und bewaffnete Hamas-Kämpfer in Uniformen hatten die Übergaben der Israelis in Rafah und Nuseirat erneut mit Schaulustigen, lauter Musik und palästinensischen Fahnen inszeniert. Die Entführten wurden auf Bühnen vorgeführt. Sie erhielten von ihren bewaffneten Bewachern sichtbar Anweisungen, zu lächeln und der wartenden Menschenmenge zuzuwinken. 

In dem Propaganda-Video der Hamas sind der »Times of Israel« zufolge die beiden Geiseln Eviatar David und Guy Gilboa-Dalal in einem Fahrzeug im Bühnenbereich im Flüchtlingsviertel Nuseirat zu sehen. »Sie zwangen sie zuzusehen, wie ihre Freunde freigelassen wurden, und brachten sie dann zurück in die Tunnel. Es gibt keine größere Grausamkeit«, zitierte die Zeitung Gilboa-Dalals Vater. Das Video ist demnach das erste Lebenszeichen von David seit seiner Entführung am 7. Oktober 2023 und das erste von Gilboa-Dalal seit Juni. 

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In dem Videoclip rufen die beiden Geiseln laut der Zeitung die israelische Regierung verzweifelt auf, für ihre Freilassung zu sorgen. Die Freilassung von Eviatar David und Guy Gilboa-Dalal ist laut israelischen Medienberichten jedoch in der geltenden ersten Phase des Waffenruhe-Abkommens nicht vorgesehen. Dieses sieht die Freilassung von 25 Geiseln und die Übergabe von acht getöteten Geiseln vor – im Austausch gegen 1.904 palästinensische Häftlinge. Die 25 Geiseln sind nun frei. Die letzten vier Leichen sollen laut Hamas nächste Woche übergeben werden. Die erste Phase soll damit offiziell Samstag enden.

Ob die zweite Phase, die zu einem endgültigen Ende des Krieges sowie zur Freilassung der noch verbliebenen Geiseln führen soll, zustande kommt, ist jedoch ungewiss. Berichten zufolge haben beide Kriegsparteien bislang, anders als vorgesehen, noch gar keine ernsthaften Verhandlungen darüber geführt. 

Alle noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln müssten jetzt zurückgebracht werden, verlangte das Forum der Angehörigen. »Jede Sekunde zählt. Unsere Lieben leiden, werden gefoltert und sterben in den dunklen, erstickenden Tunneln der Hamas. Dieser Albtraum darf nicht einen weiteren Tag andauern«.

Hamas warnt Israel

Die Hamas kritisierte die Verzögerung der Freilassung palästinensischer Häftlinge durch Israel scharf. Eigentlich hätte Israel nach palästinensischen Angaben gemäß Vereinbarung am Samstag rund 600 inhaftierte Palästinenser freilassen sollen. Darunter befinden sich 50 mit lebenslangen Haftstrafen. 

Die Hamas habe die Vermittler Ägypten und Katar über die Verzögerung informiert, stand in einer Erklärung der Terrororganisation. Israel werde keine Vermittler für den Konflikt mehr finden, wenn es das Abkommen jetzt verletze und sich weigere, die Häftlinge freizulassen, warnte die Hamas. Kurz darauf gab das Büro von Netanjahu bekannt, dass die Freilassung verschoben werde. 

Die Hamas verlangt eine dauerhafte Waffenruhe und einen vollständigen Abzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen als Bedingung für eine Einigung auf eine zweite Phase des Abkommens. Israel beharrt jedoch auf dem Kriegsziel einer kompletten Zerstörung der islamistischen Terrororganisation.

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