Israels Militär hat über das Wochenende seine Einsätze gegen die palästinensische Terrorgruppe Hamas in der Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens fortgesetzt. Dabei brachten die Streitkräfte (IDF) das Nasser-Krankenhaus, eine der größeren Kliniken des Küstengebiets, unter ihre Kontrolle.
Nach Darstellung von Mitarbeitern ist das Krankenhaus nicht mehr funktionsfähig. Die Armee teilte am Sonntagabend mit, hunderte Terroristen und Terrorverdächtige, die sich in der Klinik versteckt hätten, seien gefangen genommen worden. Einige von ihnen sollen sie sich als medizinisches Personal ausgegeben haben.
Verteidigungsminister Joav Galant sieht derweil den Kampfgeist der Islamisten nach mehr als vier Monaten Krieg gebrochen. »200 Terroristen ergaben sich im Nasser-Spital, Dutzende weitere im Amal-Spital«, sagte Galant am Sonntag bei einer Besprechung mit Armeekommandeuren. »Das zeigt, dass die Hamas ihren Kampfgeist verloren hat.«
Noch kein Einsatzbefehl
Zudem habe die aus Furcht vor den israelischen Sicherheitskräften abgetauchte Hamas-Führung unter Gaza-Chef Jihia al-Sinwar in ihren Verstecken den Kontakt zur Außenwelt verloren. »Die Gaza-Filiale der Hamas antwortet nicht«, sagte Galant.
»Es ist niemand mehr vor Ort übrig, mit dem man sprechen kann.« Die Hamas-Führung im Ausland suche bereits nach Ersatz für Al-Sinwar. Über organisierte Streitkräfte verfüge die Terrororganisation nur noch im mittleren Gazastreifen sowie in Rafah, dem südlichen Grenzort zu Ägypten.
In Rafah bereitet sich die israelische Armee auf ein Einrücken vor, um die verbliebenen Hamas-Bataillone zu zerschlagen und dort vermutete Geiseln zu befreien. Die israelische Regierung hat aber diesbezüglich noch keinen Einsatzbefehl erteilt.
Ein militärisches Vorgehen in der südlichsten Stadt des Gazastreifens ist vor allem außerhalb von Israel höchst umstritten, weil sich dort auf engstem Raum 1,3 Millionen Palästinenser drängen, von denen die meisten vor den Kämpfen in anderen Teilen des Küstengebiets geflohen sind.
Israels Pläne in Rafah, die sowohl der Selbstverteidigung dienen, als auch eine Befreiung weiterer Geiseln ermöglichen könnten, werden derzeit weitaus öfter und heftiger kritisiert, als das Vorgehen der Hamas-Terroristen. Sie ermordeten am 7. Oktober 1200 Menschen in Israel und haben weiterhin über 100 Geiseln in ihrer Gewalt.
Die israelische Regierung hat eine Evakuierung der Zivilisten in Rafah in Zeltlager vorgeschlagen. Seit Beginn des Krieges versuchen die IDF, Opfer in der Zivilbevölkerung Gazas so gut es geht zu vermeiden. Fluchtrouten werden eingerichtet, Bewohner vor Angriffen auf ihre Gebäude oder in ihrer Nachbarschaft gewarnt. Die Hamas missbraucht ihre eigene Bevölkerung als lebende Schutzschilde.
Marshallplan für Gaza
Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje forderte derweil die internationale Gemeinschaft zu einem Aufbauprogramm für das schwer zerstörte Küstengebiet auf. »Wir brauchen einen Marshallplan für den Gazastreifen«, sagte Schtaje der Deutschen Presse-Agentur am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz.
Dieser Plan müsse aus drei Komponenten bestehen: Nothilfe, Rekonstruktion und einer Wiederbelebung der Wirtschaft. »Wir wissen aus Satellitenaufnahmen, dass 45 Prozent des Gazastreifens zerstört sind. Das bedeutet 281.000 Wohneinheiten, die vollständig oder teilweise zerstört sind.«
Eine Reparatur könne teils schon in Wochen oder Monaten möglich sein. »Das bedeutet, wir brauchen dafür viel Geld«, führte Schtaje weiter aus. Mit den Vereinten Nationen laufe eine Untersuchung, wie man der größten Not begegnen könne.
Keine faktische Kontrolle
Der Regierungschef amtiert mit seiner Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland und hat keine faktische Kontrolle über den bis zum Kriegsausbruch von der Hamas allein beherrschten Gazastreifen. Die PA bezahlt Gehälter an Terroristen, die Israelis ermorden. Dies gibt ihr Präsident Mahmud Abbas offen zu.
Die Hamas verdankt Geld, Waffen und Ausbildung ihrer Kämpfer zum großen Teil dem Iran. Seit dem 7. Oktober heizen auch andere, vom Iran unterstützte Terrorgruppen die Spannungen in der weiteren Nahost-Region an. Die Hisbollah beschießt vom Südlibanon aus den Norden Israels, von wo 80.000 Bewohner ins Landesinnere in Sicherheit gebracht werden mussten.
Schiitische Kampfverbände in Syrien und im Irak greifen vermehrt US-Stützpunkte an. Die Huthi im Jemen feuern Raketen auf Schiffe im Roten Meer ab. Die Formationen verstehen sich zusammen mit ihrem Förderer Iran als »Achse des Widerstands«, die sich die Vernichtung Israels zum Ziel gesetzt hat.
Flächenbrand in Nahost
Die USA und Großbritannien reagierten bislang mit Bombardierungen von Stützpunkten und Raketenstellungen der mit Teheran verbündeten Milizen, vermieden es aber, den Iran selbst anzugreifen. Eine weitere Eskalation an irgendeiner dieser Fronten, vor allem aber im Libanon, könnte - so die allgemein geteilte Befürchtung - einen Flächenbrand in Nahost auslösen.
Nach einem Bericht der »Washington Post« soll nun der Iran auf die Vermeidung eines solchen Szenarios dringen. Iranische Emissäre hätten zuletzt in diskreten Treffen mit Verbündeten in der Region diesen zur Mäßigung geraten, schrieb die Zeitung am Sonntag. »Der Iran unternimmt äußerste Anstrengungen, um eine Ausdehnung des Kriegs und eine unumkehrbare Eskalation zu verhindern«, zitierte das Blatt einen nicht näher genannten irakischen Offiziellen.
Auch im Libanon scheint Teheran seinem Verbündeten, dem Schiiten-Führer Hassan Nasrallah, davon abzuraten, die ultimative Konfrontation mit Israel zu suchen. Dort, so die »Washington Post«, habe man sich auf das Narrativ verständigt, dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nicht durch die Eröffnung einer neuen Kriegsfront aus seiner politischen Drucksituation zu helfen.
Anhörung in Den Haag
Am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag beginnt unterdessen heute eine Anhörung zu Israels Vorgehen in den palästinensischen Gebieten. Die EU-Außenminister wollen derweil in Brüssel angesichts der Huthi-Angriffe auf die Schifffahrt im Roten Meer einen neuen Militäreinsatz - die Operation »Aspides« - beschließen. dpa/ja