Hintergrund

»Ich habe einfach gehandelt«

»Ein beängstigend wachsender Antisemitismus«: Abdallah Chatila am Sonntag in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem Foto: dpa

Mit 600.000 Euro zog der Genfer Diamantenhändler Abdallah Chatila unlängst eine Reihe von Besitztümern Adolf Hitlers aus dem Verkehr - damit sie nicht in falsche Hände geraten. »Hitler ist die Personifikation des Bösen für die gesamte Menschheit, nicht nur für Juden«, erklärte der libanesischstämmige Christ seine Motivation am Sonntag in einer Pressekonferenz mit jüdischen Vertretern in Jerusalem. Nachdem Chatila die Besitztümer ersteigert hatte, spendete er sie der israelischen Stiftung »Keren Hayesod«.

Zuvor ging alles ganz schnell: Chatila hörte von der Versteigerung und dem gescheiterten Versuch, sie zu stoppen. 24 Stunden später gehörten ihm neben dem Faltzylinder Hitlers auch dessen Zigarrenschachtel, Schreibmaschine oder eine Ausgabe von »Mein Kampf« mit Widmung. Der Kauf, erzählt der Geschäftsmann, sei so spontan gewesen, dass er ihn während eines wichtigen Treffens von der Lobby eines Pariser Hotels am Telefon habe abwickeln müssen, »ein Ohr bei der Versteigerung, das andere bei meinem Gesprächspartner«. Zwei Gegenstände seien durch ein Missverständnis zwischen Käufer und Agenten in andere Hände gelangt.

Mit der Aktion will er auch andere zum Einsatz für Toleranz inspirieren.

MOTIVATION Über die anderen Mitbieter der Auktion sowie über die Käufer der beiden verbleibenden Hitler-Gegenstände ist kaum etwas bekannt - sehr verschwiegen sei das Auktionshaus diesbezüglich gewesen, sagt Chatila. »Möglicherweise hatten sie schlechte Intentionen, vielleicht aber auch bessere als ich. Meine Motivation beruht auf dem, was ich in den letzten fünf Jahren in Europa gesehen habe: einen beängstigend wachsenden Rassismus und Antisemitismus.«

Ein Mitbieter mit ähnlichen Motiven wie Chatila offenbarte sich in Jerusalem: Er habe sich - ohne große Prüfung der Person seitens des Aktionshauses - für die Versteigerung registrieren lassen, nachdem Versuche, den Verkauf der Nazi-Devotionalien zu stoppen, gescheitert waren, sagte der Vorsitzende der Europäischen Jüdischen Vereinigung, Rabbiner Menachem Margolin. Letztlich sei er aber zu dem Schluss gekommen, dass das Geld in der Waisenhilfe besser aufgehoben sei.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Chatilas Geschichte klingt wie ein Drehbuch, und der Hauptakteur wirkt geradezu überwältigt von der Reaktion auf seine Handlung. Er habe »ganz einfach gehandelt« aus dem Gefühl heraus, handeln zu müssen, »ohne nachzudenken« und »nicht, um vom israelischen Präsidenten eingeladen zu werden«.

Genau dort aber saß Chatila an diesem Morgen: in der Residenz von Präsident Reuven Rivlin, der ihm für den »wahrhaft menschlichen Akt« dankte. »Ihre Spende ist von großer Bedeutung in diesen Zeiten, in denen Menschen versuchen, die historische Wahrheit zu verneinen«, so Rivlin.

INSTINKT Seinem ersten Instinkt folgend wollte Chatila die Gegenstände zerstören. Dann habe er jedoch gedacht, er habe »nicht das Recht, darüber zu entscheiden« - und gab sie an die jüdische Organisation »Keren Hayesod«. Diese hat wiederum beschlossen, die Artefakte an die Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem zu übergeben.

Der Präsident von »Keren Hayesod«, Avi Lugassi, sagte, die ersteigerten Gegenstände sollten bis Ende des Jahres in Jerusalem ankommen.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Die Entscheidung über den richtigen Umgang mit dem Hitler-Erbe anderen zu überlassen, zeigt bei aller Spontaneität von Weitsicht - denn die jüdischen Stimmen dazu sind durchaus kontrovers. So plädierte Rabbiner Margolin für das »Zerstören und Verbrennen aller Hitler-Besitztümer mitten in Berlin«, damit »keine seiner Botschaften überlebt«.

Dagegen sprachen sich Yad-Vashem-Direktor Avner Schalev und Präsident Rivlin für deren Konservierung aus, um, so die Worte Rivlins, »zu helfen, das Erbe des Holocaust den nächsten Generationen zu vermitteln, die keine Überlebenden treffen werden«.

Chatila schließt unterdessen weitere Auktionen wie diese aus. Er hoffe jedoch, andere zu inspirieren, »das Richtige zu tun« und »die Botschaft für Toleranz vorwärts zu bringen«, erklärte er. »Offen zu sein und zu zeigen, wir helfen uns untereinander, aber wir müssen auch den anderen helfen - das ist die schönste Friedensbotschaft für alle.«

Nahost

Hamas: Keine Geiseln kommen mehr frei

Seit 714 Tagen foltert und ermordet die Hamas Geiseln. Nun benutzt sie die verbleibenden 48 Verschleppten als Druckmittel

 19.09.2025

Eilat

Terror-Drohne der Huthi trifft Hoteleingang

Die Polizei sperrt den Einschlagsort, Sprengstoffexperten untersuchen die Überreste der Waffe

 19.09.2025

Wirtschaft

Netanjahus unglücklicher »Sparta«-Vergleich

Israels Premierminister spricht in einer Rede von wirtschaftlicher Isolation und sieht sein Land in einer ähnlichen Situation wie einst der griechische Stadtstaat. Politik und Märkte reagieren unerwartet heftig

von Sabine Brandes  18.09.2025

Israel

Zwei Tote bei Anschlag an Grenze zu Jordanien

Der Angreifer ist offenbar in einem Lastwagen angekommen, der humanitäre Hilfsgüter für den Gazastreifen transportierte. Der Anschlag könnte laut Medien auch Auswirkungen auf Gaza-Hilfen haben

 18.09.2025 Aktualisiert

Nachruf

Sie trug ein strassbesetztes Krönchen

Tovia Ringer überlebte die Konzentrationslager Groß-Rosen und Schömberg, bevor sie 1948 nach Israel emigrierte. Nun ist die »Miss Holocaust Survivor 2018« im Alter von 102 Jahren gestorben

von Sara Klatt  18.09.2025

Kurznachrichten

Hotel, Datteln, Pilger

Meldungen aus Israel

von Sabine Brandes  18.09.2025

Tel Aviv

Israel: Entwicklung von Laser-Abwehrwaffe abgeschlossen

Das Hochleistungs-Lasersystem »Iron Beam« markiert einen Wendepunkt: Präzise, schnell und überraschend günstig. Wie verändert dies Israels Schutz vor Bedrohungen aus feindlichen Ländern der Region?

 18.09.2025

Kommentar

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Gaza

»Gebt mir mein Mädchen zurück!«

Ifat Hayman fleht, dass ihre Tochter Inbar, die letzte weibliche Geisel der Hamas, zur Bestattung zurückgebracht wird

von Ifat Hayman  17.09.2025