Israel

Historische Beratungen des Obersten Gerichts zu Justizumbau

Alle 15 Richter des Obersten Gerichts sind an den Beratungen beteiligt. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Israels Oberstes Gericht hat sich in einer historischen Gerichtsverhandlung mit einem höchst umstrittenen Justizumbau der rechts-religiösen Regierung befasst. Erstmals in der Geschichte des Landes kamen am Dienstag alle 15 Richter zusammen, um über acht Petitionen gegen eine verabschiedete Grundgesetzänderung zu beraten.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Mit einer Entscheidung wird frühestens in einigen Wochen gerechnet. Zum Ende der fast 14-stündigen Sitzung gewährte die Vorsitzende Richterin Esther Chajut eine Frist von 21 Tagen zur Einreichung von Ergänzungen.

Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte Ende Juli die Änderung verabschiedet, die dem Obersten Gericht die Möglichkeit nimmt, gegen »unangemessene« Entscheidungen der Regierung, des Ministerpräsidenten oder einzelner Minister vorzugehen. Kritiker befürchten, dass dies Korruption und die willkürliche Besetzung von entscheidenden Posten fördern könnte. Die Regierung argumentiert dagegen, das Oberste Gericht sei zu mächtig.

Politische Fragen Während der Anhörung verteidigte der Vorsitzende des Justizausschusses, Simcha Rothman, die Pläne und warf dem Obersten Gericht vor, sich zu sehr in politische Fragen einzumischen. Allein die Beratung über die Gesetzesänderung sei ein »Versagen«, sagte Rothman, der neben Justizminister Jariv Levin als treibende Kraft hinter dem Vorhaben gilt.

Befürworter des Gesetzesvorhabens argumentieren, den Richtern fehle die Befugnis, über Änderungen von Grundgesetzen zu entscheiden. Sie seien, anders als Abgeordnete oder Minister, nicht direkt vom Volk gewählt worden. »Mit welcher Berechtigung nimmt man dem Staat Israel seine grundlegendste Eigenschaft als demokratischer Staat - die freien Wahlen und die Fähigkeit der Öffentlichkeit, die Gesetze zu ändern, die ihr Leben bestimmen?«, fragte Rothman. Der wichtigste Souverän sei das Volk.

Die Gesetzesänderung ist Teil eines umfassenden Vorhabens der Regierung zur Schwächung der Justiz. Seit Jahresbeginn spalten die Pläne weite Teile der israelischen Gesellschaft. Am Montagabend gingen erneut Zehntausende Menschen dagegen auf die Straßen.

Todesstoß für Demokratie Eliad Schraga von der Bewegung für Qualitätsregierung rief die Richter eindringlich auf, die Gesetzesänderung aufzuheben. Sie versetze »dem Kern der israelischen Demokratie einen Todesstoß«.

Unklar war, wie das Oberste Gericht sich verhalten wird. Bei der Anhörung äußerten sich mehrere Richter bereits kritisch über das Vorhaben der Regierung. Die Vorsitzende Chajut sagte über die Auswirkungen der Gesetzesänderung: »Niemand kann mehr prüfen, ob sie (die Minister) angemessen gehandelt haben oder nicht.«

Richter Izchak Amit sagte, die Judikative müsse eher noch gestärkt und nicht geschwächt werden. »Demokratien sterben nicht auf einmal, sondern in kleinen Schritten.« Eine Abgeordnete der Regierungspartei Likud, Tali Gottlieb, begann daraufhin aus den Zuschauerreihen zu rufen: »Die Knesset (Israels Parlament) schützt die Demokratie.«

Weitreichende Konsequenzen Rechtsanwalt Aner Helman, der die Generalstaatsanwältin vertrat, warnte vor weitreichenden Konsequenzen. »Diese Regierung mag nicht von ihrer Macht Gebrauch machen, aber es besteht kein Zweifel, dass der Tag kommen wird, an dem eine bestimmte Regierung ihre Macht ausüben wird.« Niemand solle etwas anderes denken. »Wenn sie also sagen: »Vertraut uns, die Knesset ist die Aufsicht«, müssen wir alle sehr, sehr vorsichtig sein.«

In Israels Geschichte wurde bisher noch nie ein Grundgesetz oder eine Änderung eines Grundgesetzes aufgehoben. Sollte dies nun geschehen und die Regierung die Entscheidung nicht akzeptieren, droht dem Land eine Staatskrise, da Zuständigkeiten nicht mehr klar geklärt wären. Unterdessen liefen im Hintergrund weiter Bemühungen um einen Kompromiss.

Bei der Sitzung war auch der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, als Zuhörer dabei. In einem Video auf X, ehemals Twitter, sagte er auf Hebräisch: »Ich denke, etwas Wichtiges passiert hier für Israels Demokratie. Wir als Freunde Israels schauen mit großem Interesse auf das Oberste Gericht. Das wollte ich mir ansehen.«

Massaker der Hamas

Staatsprüfer fordert Massaker-Dokumente von Netanjahu

Staatsprüfer will mit Untersuchung in das Verhalten der israelischen Führungsriege vor, während und nach dem 7. Oktober beginnen

von Sabine Brandes  02.05.2024

Interview

»Wir sind sehr besorgt«

Der Internationale Strafgerichtshof erwägt, Haftbefehle gegen Israelis wegen angeblicher Kriegsverbrechen zu erlassen. Robbie Sabel, Professor für Internationales Recht, ordnet die möglichen Konsequenzen ein

von Sabine Brandes  02.05.2024

Nahost

Hamas lehnt Geiseldeal ab, will aber weiter verhandeln

Die Lage am Donnerstagmorgen - und ein Ausblick auf den Tag

 02.05.2024

Bogotá

Kolumbien bricht wegen Gaza-Krieg Beziehungen zu Israel ab

Mehrmals hat der kolumbianische Präsident Petro Israels Krieg gegen die Hamas mit der NS-Zeit verglichen. Jetzt verkündet er einen drastischen Schritt.

 01.05.2024

Krieg

Israel geht für Geisel-Deal auf Hamas zu

Israel gibt der Terrororganisation vor der angekündigten Offensive in Rafah eine »letzte Chance« für eine Feuerpause. Die könnte bis zu einem Jahr dauern, heißt es

 01.05.2024

Jerusalem

Netanjahu und Herzog verurteilen mögliche Haftbefehle gegen Israelis

Premier und Präsident: Israel hat das uneingeschränkte Recht, seine Geiseln zu befreien und seine Bürger zu verteidigen

 01.05.2024

Völkermord-Klage

Gericht schmettert Antrag Nicaraguas für einstweilige Anordnung gegen Deutschland ab

Das höchste UN-Gericht fällt ein klares Urteil

von Michael Thaidigsmann  30.04.2024

Krieg gegen die Hamas

Medien: Netanjahu befürchtet Haftbefehl durch Strafgerichtshof

Berichten zufolge soll mehreren Israelis Haftbefehle drohen - darunter auch dem Regierungschef

 28.04.2024

Antisemitismus

Der Krieg ist fern - der Konflikt ganz nah

Nach den Eskalationen der Uni-Proteste in den USA laden israelische Universitätspräsidenten Studenten und Professoren an ihre Hochschulen ein

von Dana Wüstemann  28.04.2024