Beer Sheva

Häuser für Schoa-Überlebende

Blick auf Tel Aviv: Für ältere Einwanderer aus der früheren Sowjetunion sind die heute in israelischen Großstädten üblichen Mieten oft unerschwinglich. Foto: imago images

In Israel gibt es heute noch etwa 200.000 Holocaust-Überlebende. Juden aus aller Welt, älter als 75 Jahre, Menschen wie mein Freund Jakob, der 1944 in einem Versteck in den polnischen Wäldern geboren wurde, oder inzwischen hoch in den Neunzigern Stehende, die, als Nazi-Deutschland unterging, Anfang 20 waren.

Um 2015, anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager, beschäftigten sich die israelischen Medien intensiv mit der Situation dieser alten Menschen, die in vielen Fällen in dürftigen und unwürdigen Umständen lebten. Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen berichteten über Fälle von Armut und Verlassenheit, vor allem über Wohnungsprobleme, da die israelischen Immobilienpreise und Mieten ständig steigen.

Für ältere Einwanderer aus der früheren Sowjetunion sind die heute in israelischen Großstädten üblichen Mieten oft unerschwinglich. Die israelische Regierung wurde heftig kritisiert, weil sie zu wenig zur existenziellen Sicherung von Überlebenden der Schoa getan habe.

AMIGOUR-PROGRAMM Daher ist es nur fair, darüber zu schreiben, wie sich der israelische Staat seither bemüht, die Lage dieser alten Menschen zu verbessern. »Israel’s government allocated a record 5.5 billion shekels ($1.6 billion) to all survivors of persecution in 2019«, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters zu Beginn dieses Jahres, am 27. Januar 2020.

Für ältere Einwanderer aus der früheren Sowjetunion sind die heute in israelischen Großstädten üblichen Mieten oft unerschwinglich.

Ein Teil dieser Bemühungen ist das Amigour-Programm des israelischen Spendenfonds Keren Hayesod, das bedürftigen Schoa-Überlebenden Wohnungen zur Verfügung stellt, für eine symbolische Miete von monatlich 300 Schekel, etwa 75 Euro.

Im Rahmen dieses Programms werden derzeit im ganzen Land 57 Apartmenthäuser gebaut oder aufwendig rekonstruiert, in denen 7500 alte Menschen ein würdiges, von dringenden Sorgen freies Leben führen können, zudem in einem Netzwerk sozialer Aufmerksamkeit, das allmorgendlich mit einem »Guten-Morgen-Anruf« der Direktion beginnt, der sowohl Empathie vermittelt als auch eine dezente Kontrolle im Fall gesundheitlicher Zwischenfälle bei den meist hochbetagten Bewohnern ermöglicht.

GESELLSCHAFT Die Apartments sind nicht groß, doch in bestem Zustand, modern ausgestattet, mit Kochnische, Balkon und einem für die Bedürfnisse alter Menschen konstruierten Bad. Jede Etage verfügt – in Israel unvermeidlich – über einen geräumigen, bombensicheren Schutzraum.

Die Bewohner leben für sich und versorgen sich selbst, finden aber in zahlreichen Gesellschaftsräumen, Gymnastik- und Musikzimmern, in der an ein Hotel erinnernden Lobby, in parkartigen Vorplätzen und Innenhöfen jederzeit Gesellschaft. Während der Corona-Monate wurde in diesen Höfen Musik oder Theater gespielt, um die alten Leute zu unterhalten.

Die derzeit laufende Initiative zur Vergrößerung und Modernisierung der bestehenden Einrichtungen baut um die alten Gebäude neue, weiträumigere, fügt Flügel hinzu, stockt weitere Etagen auf und versieht sie mit eleganten Fassaden, da in israelischen Großstädten wie Tel Aviv oder Haifa kaum noch freie Baugrundstücke verfügbar sind. Anderswo, in kleineren Orten oder im Süden des Landes, kann man neu bauen.

BAUKOSTEN 2650 solcher Apartments sollen im derzeit laufenden Programm neu gebaut werden. Von den anfallenden Baukosten trägt der israelische Staat 40 Prozent, rund 145 Millionen Schekel, weitere 40 Prozent werden von der Jewish Agency durch Kredite finanziert (wobei der Staat hier nochmals mit Kreditsicherheiten und bei der Tilgung einspringt), und knapp 20 Prozent hofft man, durch Spenden aufzubringen.

In Beer Sheva sollen in dem für 120 Apartments projizierten Neubau mehrere Etagen nach Fritz Bauer benannt werden.

In Beer Sheva, der Gebietshauptstadt der Negevwüste im Süden Israels, sollen in dem für 120 Apartments projizierten Neubau mehrere Etagen nach Fritz Bauer benannt werden, dem hessischen Generalstaatsanwalt, der in der Bundesrepublik der frühen 60er-Jahre nach internen Kämpfen gegen im deutschen Justizapparat noch immer dominierende Nazi-Juristen die Auschwitz-Prozesse in Gang brachte.

Eine passende Gelegenheit, an diesen tapferen, außergewöhnlichen Mann zu erinnern, der das Eis gebrochen, den Opfern Gerechtigkeit verschafft und der deutschen Öffentlichkeit zu einem dringend notwendigen »soul-searching« verholfen hat.

Israel ist heute kein armes Land mehr, aber immer noch ein schwer belastetes. Allein die Ausgaben für Verteidigung und innere Sicherheit sind exorbitant, verglichen mit anderen westlichen Ländern. Bei außergewöhnlichen Projekten wird daher bis heute an die Spendenwilligkeit ausländischer Juden und Israelfreunde appelliert. Für das Fritz-Bauer-Projekt wird in diesem Monat in Deutschland ein Crowdfunding veranstaltet.

Chaim Noll ist Schriftsteller und lebt in Israel. Zuletzt erschien von ihm »Die Wüste. Literaturgeschichte einer Urlandschaft des Menschen«.

Spenden erbeten an Keren Hayesod, Frankfurter Sparkasse, Frankfurt/Main, IBAN: DE84 5005 0201 0200 5454 50, BIC: HELADEF1822, Verwendungszweck: Fritz Bauer Project. Oder ab 10. September online direkt unter folgendem Link

Nach Luftschlägen

Iran setzt Zusammenarbeit mit Atombehörde aus

Nach den Angriffen auf sein Atomprogramm will Irans Regierung die Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde aussetzen. Was bedeutet dies in der Praxis?

 02.07.2025

Gazastreifen

Nach Berichten über Schüsse: Armee ändert Strategie an Verteilzentren

Zuvor hatte die Haaretz eine Recherche veröffentlicht, in der Soldaten schildern, dass sie auf Zivilisten geschossen haben, um die Menschenmassen vor den Zentren unter Kontrolle zu halten

von Nils Kottmann  02.07.2025

Geiseln

Der Hamas-Terrorist sagte: »Wählt, wer den Kopfschuss bekommt«

In der Knesset erzählte die ehemalige Geisel Ohad Ben Ami vom grausamen Psychoterror, den er und andere Mitgeiseln in den Terror-Tunneln durchleiden mussten

von Sabine Brandes  02.07.2025

Terror

Israel fängt Huthi-Rakete ab

Das Ziel des Raketenangriffs war der Flughafen Ben Gurion

 02.07.2025

Zwölf-Tage-Krieg

Israel: 86 Prozent der Raketen aus dem Iran abgefangen

Israel meldet trotz massiver Zerstörungen eine hohe Abfangquote iranischer Raketen. Neue Waffen kamen in dem zwölftägigen Krieg erstmals zum Einsatz – viele davon wurden über Jahrzehnte entwickelt

 02.07.2025

Kommentar

Alle haben Frieden verdient

Aber es braucht die richtigen Partner dazu

von Nicole Dreyfus  02.07.2025

Verhandlungen

Trump: Israel stimmt Waffenruhe im Gazastreifen zu

Der US-Präsident forderte die Terroristen der Hamas auf, dem Vorschlag ebenfalls zuzustimmen, denn so Trump: »Es wird nicht besser werden - es wird nur schlimmer werden«

 02.07.2025

Berlin

»BILD«: Hinweis auf Ausspähung von deutschen Juden durch den Iran kam vom Mossad

Die Hintergründe

 01.07.2025

Meinung

Kontrollverlust im Westjordanland

Immer wieder ziehen radikale Siedler marodierend durch palästinensische Ortschaften. Nun machen sie nicht einmal mehr vor Soldaten der eigenen Armee Halt

von Ralf Balke  01.07.2025