Terrormiliz

Gewappnet für den Ernstfall

Im Moshav Neve Ativ auf den Golanhöhen scheint die Zeit stillzustehen. Die Siedlung nahe der syrischen Grenze macht einen idyllischen Eindruck. Doch unweit des Dorfes, das an den Hängen des Berges Hermon liegt, sehen Anwohner und Besucher seit einigen Jahren eine immer stärkere Präsenz der israelischen Streitkräfte (IDF). »Die Gefahr eines Kriegsausbruchs ist permanent zu spüren«, sagt Zvika Schimoni, seit Gründung 1972 Bewohner der kleinen Ortschaft. »Unsere Soldaten bereiten sich schon lange auf den Ernstfall vor.«

Der 72-jährige IDF-Veteran leistet auch heute noch freiwilligen Reservedienst für das Militär. Mit seinem Kleintransporter fährt er mehrmals im Monat von Neve Ativ aus über das drusische Nachbardorf Majdal Shams die schlangenförmigen Straßen zwischen grünen Obstgärten mit seinen zahlreichen Apfelbäumen Richtung Norden. »Es ist eine Ehre für mich, die jungen Soldaten bei ihrer militärischen Übung mit Verpflegung, Literatur und wichtigen Materialien zu versorgen«, erzählt der pensionierte Landwirt.

Obwohl die Region seit dem zweiten Libanonkrieg 2006 relativ ruhig geblieben ist, bleibt die Lage an Israels Nordgrenze weiterhin angespannt. Um auf diese permanenten Gefahren vorbereitet zu sein, hält die Armee im Schatten der Bedrohung durch den Iran und seine Verbündeten wie der libanesischen Terrororganisation Hisbollah immer wieder groß angelegte Manöver entlang der sogenannten »blauen Linie« ab, die Israel vom Zedernstaat trennt.

TRAINING Eine erst kürzlich absolvierte Übung, bei der echte Kampfhandlungen im Libanon nachgeahmt wurden, brachte einige Panzerkorps, Infanterie und nachrichtendienstliche Truppen zusammen. Ziel dieses mehrtägigen Trainings war es, die Soldaten für Kampfeinsätze unter ähnlichen topografischen Bedingungen wie im Nachbarstaat auszubilden. Ihren Schwerpunkt setzt die Armee dabei besonders auf die Fähigkeiten der mehr als 2000 Soldaten des 932. Bataillons der Nahal-Brigade.

In Koordination mit den anderen Einheiten trainieren die Bodentruppen nicht nur Kämpfe gegen die Schiiten-Miliz, die in der Simulation die Soldaten von den Hügeln aus beschoss, sondern auch die Zerstörung ihrer Raketenabschussrampen. Auch die Einnahme einer Ortschaft, die von der Terrororganisation als Stützpunkt benutzt wird, war Teil des Tests. »Im nächsten Libanonkrieg werden wir nicht in jedes Dorf eindringen«, erklärt Oberstleutnant Assaf, Bataillonskommandeur der Infanterieeinheit. »Wir werden die Ziele auswählen, die wir erobern müssen, und die wichtigen Orte treffen, von denen wir wissen, dass sie uns helfen, den Feind zu besiegen.«

Während der Libanon in eine immer tiefere Krise versinkt und dadurch große Teile der Bevölkerung in die Armut reißt, werden die Drohgebärden aus der ehemaligen »Schweiz des Nahen Ostens« immer lauter. In seinen hasserfüllten Propaganda-Ansprachen warnt Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah wiederholt, dass die vom Iran unterstützte Terrorgruppe das israelische Militär vernichten und zerstören würde, sollte es in einem zukünftigen Krieg in ihr Land eindringen.

Die Drohgebärden aus der ehemaligen »Schweiz des Nahen Ostens« werden immer lauter.

Die Hisbollah (arabisch: Partei Gottes) wurde 1985 mit iranischer Hilfe gegründet. Bis heute unterstützt Teheran die Miliz. Darüber hinaus finanziert sich die Organisation über ein weltweites Netzwerk mit Drogenhandel und Geldwäsche. Mit schätzungsweise 150.000 Raketen, die auf Israel gerichtet sind, ist die Hisbollah mittlerweile eine der gefährlichsten Bedrohungen für das israelische Militär in der Region geworden. Geheimdienstberichten zufolge half der Iran dabei, präzisionsgelenkte Projektile zu entwickeln, mit denen jeder Ort des jüdischen Staats erreicht werden kann.

»Sie operieren auch in zivilen Gebieten und sind mit einer großen Anzahl von Panzerabwehrraketen ausgestattet«, sagt Oberstleutnant Assaf. »Auch hat die Hisbollah weiterhin Pläne, mit ihrer Eliteeinheit Radwan in Galiläa einzumarschieren, einige Ortschaften in Nordisrael für einige Tage oder sogar Stunden zu erobern und so viele Zivilisten und Soldaten wie möglich zu töten, begleitet von einem massiven Sperrfeuer von zahlreichen Geschossen, Mörsern und Panzerabwehrraketen.«

BLAUHELME Durch ihre Unterstützung für Syriens Machthaber Baschar al-Assad hat der verlängerte Arm Irans im seit über zehn Jahre anhaltenden Bürgerkrieg wichtige und umfangreiche Erfahrungen gesammelt und ausgeklügelte Kampftechniken entwickelt. Nachdem sich die Situation immer mehr zugunsten des Regimes in Damaskus stabilisiert hat, stationierte die Hisbollah einige kleine Truppen an der Grenze zu Israel, während die meisten ihrer Kämpfer wieder in den Libanon zurückkehrten.

»Mit mehr als 40.000 Kämpfern, organisiert in Regimenten von Kompanien und Bataillonen, sind sie keine Guerilla-Organisation mehr, sondern eine echte Armee«, erzählt der Bataillonskommandeur der Nahal-Einheit. »Doch unsere Nachrichtendienste verfolgen sie auf Schritt und Tritt«, fügt er hinzu. Man werde sich jeder Herausforderung stellen. Die Soldaten seien professionell geschult und auf solche militärischen Auseinandersetzungen vorbereitet.

Damit es nicht dazu kommt, wurde seit 1978 eine Beobachtermission der Vereinten Nationen im Libanon, die United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL), aus 38 Nationen ins Leben gerufen. Ihre Aufstellung soll dazu dienen, den Frieden und die Sicherheit im Süden des Landes wiederherzustellen, und schließlich der Regierung helfen, Souveränität und Autorität in dem Gebiet wiederzuerlangen.

Der Veteran wünscht sich nichts sehnlicher als gute Beziehungen zu seinen nördlichen Nachbarn.

Nach dem zweiten Libanonkrieg im Sommer 2006 wurde die UN-Resolution 1701 verabschiedet, durch die das UNIFIL-Mandat grundlegend erweitert wurde. In dieser bewaffneten Blauhelmmission kann die mittlerweile rund 15.000 Mann starke Armee ihre Aufgaben auch mit Gewalt durchsetzen. Zwar werden sie auch von Marineeinheiten unterstützt, die Libanons 225 Kilometer lange Küste überwachen und den Schmuggel von Waffen unterbinden soll, doch allgemein ist das Mandat der UN-Truppe zu schwach und nicht robust genug, um die terroristischen Aktivitäten der Schiiten-Miliz in ihrem Vernichtungskampf gegen Israel zu unterbinden.

AUSMASS »Wir stehen zwar im regen Austausch mit den Blauhelmen, doch wir wissen auch, dass sich die Nordgrenze und vor allem die Hisbollah verändert haben«, sagt der Kommandant der 91. Galiläa-Division, Brigadegeneral Shlomi Binder. »Die Manöver, die wir in den letzten Jahren abhielten, haben wesentlich dazu beigetragen, unsere Bereitschaft gegen diese Terrorarmee zu verbessern. Da das Ausmaß des nächsten Krieges schlimmer als alle vergangenen Konflikte sein wird, werden wir ständig die Bereitschaft unserer Truppen und des Generalstabs für tagelange Kämpfe erhöhen.«

Die Mission seiner Truppen, die für die gesamte Grenze zum Libanon verantwortlich ist, besteht neben der Verteidigung der 22 Ortschaften entlang der blauen Linie vor allem darin, sicherzustellen, dass die Schiiten-Miliz beim nächsten Waffengang kein Territorium innerhalb Israels erobert. Ein großer Teil des israelischen Verteidigungsplans ist es, den bis jetzt nur elf Kilometer langen Grenzwall komplett zu vollenden und es den Terroristen dadurch zu erschweren, den jüdischen Staat zu infiltrieren. Das Projekt umfasst Mauern und Zäune in Kombination mit höchst moderner Überwachungstechnologie.

»Sollte die Hisbollah versuchen, nach Israel einzudringen, haben wir zahlreiche Überraschungen für sie vorbereitet, die es uns ermöglichen, sie effektiver zu treffen«, erzählt Binder. Der hochrangige Offizier droht mit schweren Vergeltungsmaßnahmen, falls der verlängerte Arm Irans israelische Zivilisten oder Soldaten tötet. Die IDF werde dann die gesamte Logistik der Hisbollah, die mit der zivilen Infrastruktur des Libanon verflochten ist, als mögliches Ziel ins Visier nehmen.

ZIVILISTEN Auch wenn noch einige Manöver in den nächsten Monaten abgehalten werden, so befinden sich die Vorbereitungen für einen möglichen »Krieg im Norden« in der Endphase. Die Einsatzbereitschaft seiner Soldaten durch die vielen professionellen Übungen verschiedener Einheiten stimmen den Divisionskommandeur zuversichtlich – auch wenn noch einige logistische Maßnahmen bei der Zivilbevölkerung abgestimmt werden müssen. »Im Falle eines Krieges werden wir die Bewohner der Grenzgebiete evakuieren und in eine sichere Region bringen. Es wäre zu gefährlich für sie, in ihren Gemeinden zu bleiben.«

Das kommt für Zvika Schimoni nicht infrage. Er würde Neve Ativ auch bei einem erneuten Gewaltausbruch nicht verlassen. »Viele Anwohner hier in den Ortschaften denken wie ich«, erzählt der rüstige Rentner. »Schon beim letzten Libanonkrieg übernahmen zahlreiche Zivilisten einen freiwilligen Dienst bei der Armee.« Der Veteran, der sich nach dem ersten Libanonkrieg 1982 der Friedensbewegung »Peace Now« anschloss, wünscht sich nichts sehnlicher als gute Beziehungen zu seinen nördlichen Nachbarn. Doch Schimoni weiß auch um die Bedeutung des römischen Sprichwortes: »Wenn du Frieden willst, dann bereite den Krieg vor.«

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