Ein internes Dokument der israelischen Armee zieht eine ernüchternde Bilanz der jüngsten Großoffensive gegen die Hamas im Gazastreifen. Die Analyse, über die unter anderem die »Times of Israel« berichtet, wurde vom »Operational Information Center« der Streitkräfte (IDF) verfasst und in mehreren Brigaden verteilt.
Darin heißt es, die im Mai gestartete und Ende August beendete Operation »Gideon’s Chariots« habe ihre Kernziele klar verfehlt: Weder sei es gelungen, die Terrororganisation Hamas zu stürzen, noch seien Geiseln befreit worden. Zwar hätten Spitzenmilitärs wie Generalstabschef Eyal Zamir die Operation öffentlich gelobt, doch intern spreche das Papier von »allen erdenklichen Fehlern«, die Israel in diesem Einsatz gemacht habe.
Besonders kritisiert wird, dass die Armee »entgegen der eigenen Doktrin« gehandelt habe – etwa in dem sie die Hamas über humanitäre Hilfe mitversorgt habe. Gleichzeitig kritisiert der Bericht »Inkompetenz« bei der Planung und Verteilung von Hilfsgütern. Damit habe die Hamas international eine PR-Kampagne ausspielen können, die Israel geschwächt habe. Zudem habe die Armee ihre Truppen zermürbt, ohne entscheidende Fortschritte zu erzielen.
Unzureichende Vorbereitung
Das Dokument bemängelt außerdem, dass Israel keinen Zeitdruck aufgebaut und wiederholt in denselben Gebieten operiert habe. Zudem seien die IDF zu sehr darauf bedacht gewesen, eigene Verluste zu vermeiden – auf Kosten des Missionserfolgs. Die Ausrüstung sei verschlissen, die Soldaten überlastet, und die Vorbereitung auf den Guerillakrieg der Hamas unzureichend gewesen.
Die Kritik fällt in eine heikle Phase: Die Armee bereitet sich auf einen erneuten Vorstoß in Gaza-Stadt vor. Der Name der Operation: »Gideon’s Chariots II«. Zugleich liegt auf politischer Ebene ein Vorschlag für eine Geisel- und Waffenruhevereinbarung auf dem Tisch, den die Hamas bereits akzeptiert hat.
Die Regierung von Ministerpräsident Netanjahu aber lehnt ein Stufenmodell ab und fordert stattdessen ein »umfassendes Abkommen«, das die Freilassung aller Geiseln auf einmal, die Entwaffnung der Hamas sowie die Übergabe des Gazastreifens an gemäßigte arabische Kräfte außerhalb von Hamas und Palästinensischer Autonomiebehörde umfasst.
Sicherheits- und PR-Desaster
Nach Darstellung des vertraulichen Berichts hat die Hamas unterdessen alle Voraussetzungen gehabt, um zu überleben und den Einsatz als eigenen Erfolg darzustellen: Ressourcen, Rückzugsräume und eine für sie passende Kampfform. Israels Strategie, auf Abschreckung und ein späteres Abkommen zu setzen, habe die Terrororganisation ausgenutzt. Besonders das »inkompetente« Management der Hilfslieferungen habe es der Hamas ermöglicht, Israel weltweit der absichtlichen Aushungerung der Zivilbevölkerung zu bezichtigen.
Die Armee wies die Vorwürfe zurück. Sie habe die gesetzten Ziele sehr wohl erreicht und arbeite weiterhin daran, die übergeordneten Kriegsziele umzusetzen. Der fragliche Bericht sei »ohne Genehmigung« verbreitet worden, hieß es. Eine Untersuchung laufe.
Die »Times of Israel« merkt an, die schonungslose Kritik im Papier habe innerhalb der Streitkräfte selbst große Zweifel daran geweckt, dass die notwendigen Lehren in die Planungen für eine Einnahme von Gaza-Stadt miteinbezogen wurden. im