Krieg

Gaza ohne Hamas

Die Frage, wer im Gazastreifen regieren soll, wenn die Terroristen vertrieben sind, spaltet Israels Regierung. Foto: picture alliance / Anadolu

Auf den Tag genau drei Monate nach dem Ausbruch des Krieges zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas infolge des Massakers vom 7. Oktober gibt es einen vorläufigen Plan für die Zukunft des Gazastreifens. Zum ersten Mal hat ein hochrangiger israelischer Beamter einen detaillierten Entwurf präsentiert. Obwohl dieser bereits mit der US-Regierung und anderen Verbündeten diskutiert wurde, ist er noch keine offizielle Politik, da die Regierung in Jerusalem in Sachen Zukunftsvision für die Enklave am Mittelmeer tief gespalten ist.

Der Vierpunkteplan stammt von Verteidigungsminister Yoav Gallant. Er erklärte, sein Rahmenwerk beruhe auf der Annahme, dass die Hamas nicht mehr die Kontrolle über Gaza habe und für Israel keine Sicherheitsbedrohung mehr darstelle. Der Schwerpunkt liege auf der zivilen Verwaltung des Streifens, wobei Israel die militärische Kontrolle an den Grenzen behalten und das Recht haben solle, »alle erforderlichen militärischen und sicherheitspolitischen Maßnahmen innerhalb Gazas« zu ergreifen.

»Die Bewohner des Streifens sind Palästinenser, daher werden palästinensische Körperschaften die Verantwortung tragen, unter der Bedingung, dass es keine feindseligen Aktionen oder Drohungen gegen den Staat Israel geben wird«, betonte Gallant.

Ägypten als »Hauptakteur«

Dieses Nachkriegsszenario stehe auf vier »Säulen«: Erstens soll Israel die Zivilverwaltung koordinieren und für die Inspektion eingehender Waren verantwortlich sein. Zweitens soll eine multinationale Taskforce unter der Leitung der USA in Zusammenarbeit mit europäischen und gemäßigten arabischen Nationen die Verantwortung für die Verwaltung ziviler Angelegenheiten und den wirtschaftlichen Wiederaufbau übernehmen.

Drittens soll Ägypten, das in dem Plan als »Hauptakteur« genannt wird, in Abstimmung mit Israel den wichtigsten Grenzübergang zum Gazastreifen kontrollieren. Viertens sollen die bestehenden palästinensischen Verwaltungsmechanis­men beibehalten werden, sofern die entsprechenden Beamten nicht mit der Hamas verbunden sind. Lokale Behörden, die sich derzeit mit Wasser und Abwasser, Strom und der Verteilung humanitärer Hilfen befassen, würden dann in Zusammenarbeit mit der multinationalen Taskforce weiterhin tätig sein, heißt es.

Eine israelische Besatzung, Wiederbesiedlung und die Umsiedlung von Palästinensern aus Gaza sind bei Gallants Vorhaben ausgeschlossen. Beides verlangen allerdings die rechtsextremen Mitglieder der Koalition in Jerusalem. Während Premierminister Benjamin Netanjahu das Beharren auf einer vollständigen israelischen Sicherheitskontrolle und Handlungsfreiheit teilt, verärgert die Betonung der palästinensischen Zivilkontrolle ohne israelische Zivilpräsenz die Hardliner-Koalitionspartner.

So machte der ultranationalistische Finanzminister Bezalel Smotrich sofort klar, dass er »entschieden dagegen« sei. Stattdessen verlangte er eine »Förderung der freiwilligen Auswanderung von Palästinensern und eine vollständige israelische Sicherheitskontrolle, einschließlich einer erneuten Besiedlung« durch Israelis. Die Diskussion über eine »freiwillige Auswanderung«, die andere als »Umsiedlung oder Deportation« bezeichnen, sorgt nicht nur in der Region für Unmut.

Israels Sicherheit ist »erreichbar«

Auch Washington hat klargemacht, dass Israel Gaza nach dem Krieg nicht besetzen dürfe. Die Biden-Regierung spricht sich dafür aus, dass die Enklave einer »neu gestalteten« Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) anvertraut wird – etwas, das Gallants Plan nicht vorsieht. US-Außenminister Antony Blinken sagte am Dienstag bei seiner Visite in Israel, dass keine vollständige Integration in die Region erreichbar sei, »ohne den Weg zu einem palästinensischen Staat zu unterstützen«. Alle regionalen Verbündeten der USA, die er auf seiner Reise in den Nahen Osten getroffen habe, hätten ihm gesagt, dass sie »bereit sind, eine dauerhafte Lösung zu unterstützen, die den langjährigen Kreislauf der Gewalt beendet und die Sicherheit Israels gewährleistet«.

Von Gaza dürfe keine Gefahr mehr für Israels Existenz ausgehen, betonte auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem vierten Besuch innerhalb von drei Monaten Anfang dieser Woche und unterstrich, dass die Enklave am Mittelmeer den Palästinenserinnen und Palästinensern gehöre und es weder eine erneute israelische Besatzung noch eine Besiedlung geben dürfe. Ihrer Meinung nach spiele die PA eine wichtige Rolle in Gaza und dem Westjordanland, »denn sie ist die legitime Vertretung des palästinensischen Volkes«.

Zivilverwaltung und die Verteilung humanitärer Hilfe lokalen Clans anvertrauen

Währenddessen kursieren noch andere Pläne rund um den Gaza­streifen. Bei einem, der allerdings als eine Art Notlösung gehandelt wird, wollen IDF und der Inlandsgeheimdienst Schin Bet die Enklave in Abschnitte aufteilen, in denen die Zivilverwaltung und die Verteilung humanitärer Hilfe lokalen Clans anvertraut werden sollen. Das berichtete der öffentlich-rechtliche Sender Kan. Allerdings kämen nur Clans infrage, die den israelischen Sicherheitsbeamten vertraut sind, heißt es.

Die Hamas regierte den Gazastreifen, seit sie 2007 die Kontrolle über das Gebiet von der PA an sich gerissen hat, die von der rivalisierenden Fatah-Partei dominiert wird. Am 7. Oktober 2023 griff die Hamas überraschend Israel an, tötete in verheerenden Blutbädern mehr als 1200 Menschen, meist Zivilisten, und entführte etwa 240 weitere nach Gaza. Israel reagierte mit einer massiven Militärkampagne, um die Hamas zu zerstören und die Geiseln zu befreien.

Der zehn Jahre alte Plan einer Insel

Vielleicht könnte bald sogar ein mehr als zehn Jahre alter Plan in neuem Licht strahlen. Der Initiator ist gerade neuer Außenminister geworden: Israel Katz. 2011 sprach er zum ersten Mal über die Idee einer künstlichen Insel vor Gaza, die bedeutende Infrastruktur beinhalten solle, darunter einen Hafen, eine Strom- sowie eine Wasserentsalzungsanlage. 2017 ließ er einen professionellen Werbefilm darüber drehen.

Das Eiland solle durch eine Brücke mit dem Festland verbunden werden, die von der internationalen Gemeinschaft finanziert und gebaut werde und ihr auch gehört. Die Kontrolle solle Israel übernehmen. Auf diese Weise könnte man die schwerwiegendsten Probleme in den Griff bekommen. »Wir können es uns nicht leisten zu warten. Wir steuern direkt auf eine humanitäre Katastrophe oder einen Krieg oder beides zu«, sagte Katz vor fünf Jahren. Nun ist beides da. Und vielleicht ist die künstliche Insel realistischer denn je.

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