»Edannnnn, se ata?« Nach 19 Monaten hört die Mutter von Edan Alexander zum ersten Mal wieder die Stimme ihres Sohnes und fragt ihn, ob er es wirklich ist. Yael Alexander kann es kaum glauben und muss sich bremsen, nicht ins Telefon zu schreien. Schon wenige Minuten nach der Übergabe der Geisel durch das Rote Kreuz an die israelische Armee kann der junge IDF-Soldat mit ihr sprechen. »Du bist stark«, sagt seine Mutter, »du bist in Sicherheit, du bist zu Hause«.
Kurz zuvor war ein Foto des 21-Jährigen veröffentlicht worden, auf dem er eigenständig neben Hamas-Terroristen und einer Vertreterin des Roten Kreuzes steht. Auf den ersten Blick scheint er unversehrt. »Du siehst wunderschön aus«, spricht seine Mutter ins Handy. »Und ich liebe dich so sehr.« Edan entgegnet: »Ich muss erst mal zum Sonnenbaden an den Strand.«
Nur kurze Zeit später rennt Yael in ein Zimmer der Militärbasis Re’im und schreit vor Freude und Glück. Sie und ihr Sohn fallen sich in die Arme. In einem einzigen Moment fällt die unvorstellbare Last von ihnen ab. 584 Tage des grausamen Wartens, Hoffens und der Ungewissheit sind vorbei. Edan muss sich dabei einige Male abstützen. Beide weinen. Auch sein Vater Adi, Schwester Mika und sein jüngerer Bruder Roy laufen auf ihn zu und umarmen ihn fest. Alle küssen ihn immer wieder.
Edans erster Aussage zufolge sei er von den Terroristen, die ihn »den Amerikaner« nannten, schwer gefoltert und für längere Zeit mit Handschellen in einem Käfig festgehalten worden, berichtete der öffentlich-rechtliche Sender Kan. Die meiste Zeit seiner Geiselhaft war er unter der Erde in einem Tunnel ohne Tageslicht im Süden des Gazastreifens. Dennoch habe er seinen Eltern unmittelbar nach seiner Befreiung gesagt: »Ich bin okay.« Vertreter des Roten Kreuzes gaben an, dass er Schwierigkeiten beim Gehen gehabt habe und sie ihn beim Einsteigen in das Auto unterstützen mussten.
Den ganzen Montag lang hatte Israel den Atem angehalten. Dann kam die erlösende Nachricht.
Den ganzen Montag lang hatte das Land den Atem angehalten, bis um 18.25 Uhr endlich die erlösende Nachricht kam: »Edan ist keine Geisel der Hamas mehr.« Er sei in den Händen des Roten Kreuzes, so die Armee. Bei der Familie und auf dem Platz der Geiseln brach bei dieser Nachricht riesengroßer Jubel aus, vielen Menschen liefen Freudentränen über die Wangen.
Freilassung ohne Zeremonie
Die Hamas hatte die Geisel ohne Zeremonie im südlichen Gazastreifen in Khan Younis freigelassen. Viele der verschleppten Israelis hatte die radikal-islamistische Organisation kurz vor ihrer Freilassung auf Bühnen im Gazastreifen vorgeführt und in sadistischen Paraden dazu gezwungen, in die Menschenmenge zu lächeln, zu winken und sich bei der Terrororganisation zu bedanken. Bei Edan indes gab es keinerlei öffentliche Zurschaustellung. Er trug auch keine Pseudo-Uniform, die die Hamas den Geiseln bei früheren Freilassungen aufgezwungen hatte. Ob auf Donald Trumps Drängen hin oder um den US-Präsidenten nicht zu verärgern, ist nicht bekannt.
Fahrzeuge des Roten Kreuzes brachten ihn anschließend über die Grenze zum israelischen Armeestützpunkt Re’im. Nach einer ersten medizinischen Untersuchung wurde er mit seiner Familie wiedervereint und dann per Flugzeug in das Ichilov-Krankenhaus in Tel Aviv geflogen, wo andere Angehörige warteten, darunter seine Großeltern. Auch der US-Sondergesandte Steve Witkoff, der am selben Tag in Israel angekommen war, reiste extra nach Reʼim, um bei der Freilassung der amerikanischen Geisel zugegen zu sein.
Die Hamas hatte zuvor erklärt, Alexanders Freilassung sei eine Geste des guten Willens, die die Wiederaufnahme von Verhandlungen über einen Waffenstillstand, den Austausch von Gefangenen und die Lieferung humanitärer Hilfe nach Gaza erleichtern soll. Die Terrorgruppe hat ihre Bereitschaft zu intensiven Gesprächen bekundet, um eine umfassende Einigung zu erzielen, die auch die Einrichtung einer unabhängigen Regierung in Gaza beinhaltet, berichteten israelische Medien.
Keinerlei Zutun vonseiten Israels
Es habe keinerlei Zutun vonseiten Israels gegeben, berichteten lokale Medien übereinstimmend. Eine israelische Quelle bestätigte der regierungsnahen Gratis-Tageszeitung »Israel Hayom«, dass Alexanders Freilassung über den von der Hamas und dem US-Sondergesandten für Geiselnahmen, Adam Boehler, genutzten Kanal ausgehandelt wurde. Es sei der erste Fall direkter Verhandlungen mit der Hamas, anstatt über Mittelsmänner zu arbeiten. Israel nutzt diesen Kanal nach offiziellen Angaben nicht.
Der junge IDF-Soldat, der in der Golani-Einheit diente, soll nach Aussagen von freigelassenen Geiseln, die mit seinen Eltern sprachen, während seiner Gefangenschaft von der Hamas »fast ausgehungert, verhört und gefoltert worden« sein. Er habe auch versucht, auf Englisch zwischen thailändischen Arbeitern und ihren Entführern zu vermitteln. Mit dem Argument, sie seien nicht am Konflikt beteiligt, habe er die Terroristen zur Freilassung der thailändischen Staatsangehörigen bewegen wollen.
Premierminister Benjamin Netanjahu sagte am Montagabend, die Freilassung der Geisel sei »durch unseren militärischen Druck und den diplomatischen Druck von Präsident Trump möglich geworden. Das ist eine gewinnbringende Kombination«.
»Herzlichen Glückwunsch an seine wunderbaren Eltern, seine Familie und seine Freunde!«
US-Präsident Trump gratulierte persönlich: »Edan Alexander, die letzte lebende amerikanische Geisel, ist freigelassen worden. Herzlichen Glückwunsch an seine wunderbaren Eltern, seine Familie und seine Freunde!« Der amerikanische Botschafter in Israel, Mike Huckabee, bestätigte anschließend, dass die USA hofften, Edan Alexanders Freilassung sei »ein Zeichen für den Anfang vom Ende dieses schrecklichen Krieges«.
Das Forum für Geiseln und vermisste Familien erklärte, es sei ein Lichtblick und ein Zeichen der Hoffnung.
Das Forum für Geiseln und vermisste Familien erklärte, es sei ein Lichtblick und ein Zeichen der Hoffnung. »Aber es ist auch eine eindringliche Erinnerung daran, dass 58 Geiseln noch immer in Gaza gefangen gehalten werden. Niemand darf zurückgelassen werden.« Ohne die Rückkehr aller Geiseln werde es keinen israelischen Sieg, keine nationale Erholung und keine wahre Wiedergeburt geben.
Auch Edans Großmutter, Varda Ben-Baruch, forderte, dass alle entführten Menschen, die noch in der Gewalt der Hamas sind, freikommen. Dann sagte sie, nachdem ihr Enkel die Grenze zu Israel überquert hatte: »Hasafta smecha!« (deutsch: Die Großmutter ist glücklich). »Du bist wieder zu Hause und in Sicherheit. Und jetzt, Edanile, werden wir dich nie wieder loslassen.«
In seinem ersten Post in den sozialen Medien am Dienstagabend schrieb die freigelassene Geisel neben einem Selfie: »home sweet home«. Auf dem Foto trägt Edan eine Kette mit einem Davidstern, die ihm US-Sonderberater Witkoff einen Tag zuvor um den Hals gelegt hatte. Das Schmuckstück gehörte einst seinem Sohn Andrew, der 2011 verstorben war. Eine Geste, die Edans Familie zu Tränen rührte, denn Witkoff sagte: »Es wäre Andrew eine große Ehre, wenn du sie nun trägst.«