Keren Hayesod

»Europa ist sehr wichtig für uns«

Sam Grundwerg ist seit Anfang 2019 internationaler Vorsitzender des Verbands Foto: picture alliance/AP Images | Willy Sanjuan

Herr Grundwerg, wie ist die Situation in Israel im Moment?
Seit Montagabend haben die Hamas und andere Terrororganisationen in Gaza mehr als 3000 Raketen auf Israel abgefeuert. Etwa ein Drittel dieser Raketen hat Israel gar nicht erreicht. Stattdessen landeten sie innerhalb des Gazastreifens und haben dort wahrscheinlich viele palästinensische Bürger getötet oder verletzt. Uns und dem Rest der Welt ist deren Leben offenbar weitaus wichtiger zu sein als ihnen selbst.
In der Nacht zum Freitag wurde ein sechsjähriger Junge namens Ido bei einem Raketenangriff getötet. Er war in einem Schutzraum in den Armen seiner Mutter, als eine Rakete einschlug. Ido starb, seine Mutter wurde schwer verwundet. Als er am Freitag beerdigt wurden, gingen die Sirenen erneut los. Nicht einmal die Menschen, die an der Beerdigung teilnahmen, waren sicher. Sie mussten sich flach auf den Boden legen, weil es weitere Raketenangriffe aus Gaza gab.
Solche Szenen spielen sich aktuell in Israel ab. Diese Raketen terrorisieren Millionen von Bürgern. Sie machen übrigens keinen Unterschied zwischen Arabern und Juden.

Was tut Ihre Organisation, Keren Hayesod, um der betroffenen Bevölkerung in Israel zu helfen?
In erster Linie sammeln wir Spenden, die wir dann in humanitäre und andere Programme in Israel leiten. Wir sind in 45 Ländern aktiv. Auch außerhalb von Konfliktzeiten ist es unsere Aufgabe, die Menschen in Israel nachhaltig zu unterstützen und vor allem schwächeren und unterprivilegierten Mitgliedern der Gesellschaft zu helfen, und zwar ganz ohne Diskriminierung. Mit dem Beginn des jüngsten Konflikts haben wir eine internationale Solidaritätskampagne gestartet und die Bemühungen hier vor Ort verstärkt.

Wie erfolgreich sind Sie damit?
Es gibt große Unterstützung weltweit. Wir erfahren von unseren Geldgebern und Mitarbeitern in der ganzen Welt immer wieder, wie zentral Israel für ihr Leben ist. Hier in Israel gibt es natürlich wachsende, dringende Bedürfnisse, die durch den Konflikt verursacht werden. Am Donnerstag erhielt ich beispielsweise einen Anruf von einem Bürgermeister einer Stadt im Süden Israels, ganz in der Nähe des Gazastreifens, wo viele Menschen leben. Er hat mich gefragt, ob wir helfen können, ihm mehr Schutzräume gegen die Raketen zur Verfügung zu stellen.

Stellen Sie diese Schutzräume selbst auf?
Nein. Wir konzentrieren uns auf das Fundraising. Unsere Projekte werden dann vor Ort von strategischen Partnern realisiert. Aber wir leiten auch nicht einfach Geld an Kommunen oder andere weiter. Das Ganze ist sehr gut organisiert und absolut transparent. Wir bestellen zum Beispiel die Schutzunterkünfte und sorgen dafür, dass die dann so schnell wie möglich ausgeliefert werden. Zusammen mit unserer Partnerorganisation, der Jewish Agency for Israel, haben wir auch Programme, die Kindern helfen, mit den traumatischen Erfahrungen umzugehen, die sie durch die Raketenangriffe erfahren haben. So erhalten zum Beispiel 650 Kinder und Jugendliche ein Jahr lang einen Therapieplatz.

Was passiert mit den Gebäuden, die bei Raketenangriffen beschädigt oder zerstört wurden? Bekommen die betroffenen Familien Unterstützung von der Regierung - oder von Ihrer Organisation?
Dafür gibt es einen speziellen Regierungsfonds. In der vergangenen Woche waren über 2000 Häuser betroffen, und viele von ihnen haben sich an den Fonds gewandt. Betroffene Familien werden in Hotels untergebracht und die notwendigen Renovierungs- und Wiederaufbauarbeiten angegangen. Dieser Fonds wird von der Regierung betrieben, daran sind wir als Keren Hayesod nicht beteiligt. Aber wir haben seit Längerem gemeinsam mit der Jewish Agency einen eigenen Fonds, mit dem die Opfer von Terrorismus unterstützt werden, zum Beispiel, um Kleidung und Lebensmittel zu kaufen.

Haben Sie einen Anstieg der Spenden seit Beginn des Konflikts festgestellt?
Ja, und zwar nicht nur im Hinblick auf das Spendenvolumen, sondern auch, was die Reaktionen angeht, die wir von den Menschen erhalten. Bislang haben wir noch keine Nothilfekampagne gestartet. Es gibt vorerst nur eine Solidaritätskampagne, in der Menschen aus aller Welt ihre praktische Unterstützung für den Staat Israel manifestieren können.

Wie viel der Unterstützung erhalten Sie aus Europa?
Europa ist sehr wichtig für uns. Von dort kommt mindestens ein Viertel der Spenden, die wir einwerben. Auch, wenn man natürlich hinzufügen muss, dass wir in den Vereinigten Staaten gar kein Fundraising betreiben.

Welchen Eindruck haben Sie von der politischen Reaktion Europas auf diesen Konflikt?
Europa - oder zumindest die europäischen Medien - hat schon immer an der Spitze der Kritiker Israels gestanden. Dort wird oft ein doppelter Maßstab angelegt. Es werden, ohne auf die Fakten zu schauen, unfaire Vorwürfe erhoben, beispielsweise, dass Israel unverhältnismäßig hohe Gewalt anwendet. Westliche Medien vergessen oft, dass die Hamas und die anderen Terrorgruppen ein doppeltes Verbrechen begehen: Zum einen schießen sie wahllos auf die Zivilbevölkerung in Israel, zum andern feuern sie ihre Raketen von Bevölkerungszentren in Gaza aus ab. Das ist ja ein zynischer Versuch, Opfer auf der eigenen Seite zu generieren.

Gibt es auch positive Aspekte?
Ja. Im Verhältnis zu Europa hat sich auch einiges verbessert. Das Existenzrecht Israels und sein Recht, sich gegen solche Angriffe zu verteidigen, wird in Europa mittlerweile weitgehend anerkannt. Und wir sind den europäischen Staats- und Regierungschefs dankbar, die sich zur Unterstützung Israels geäußert haben, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Bundeskanzler Sebastian Kurz in Österreich. In einer Reihe von Ländern wehten zuletzt israelische Flaggen auf offiziellen Gebäuden. Das war auch ein klares Zeichen der Unterstützung.

Wie steht es mit Amerika? Sie sind in Miami aufgewachsen, waren Israels Generalkonsul in Los Angeles. Glauben Sie, dass der Wechsel von Trump zu Biden auch etwas an der US-Unterstützung für Israel geändert hat?
Auch da muss man zwischen Politik und Medien unterscheiden. Präsident Biden kennt sich im Nahostkonflikt gut aus, er versteht die Problematik. Biden und seine Administration haben sich klar für das Selbstverteidigungsrecht Israels ausgesprochen, und im UN-Sicherheitsrat von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht. Das war sehr gut. Ich denke nicht, dass wir viel mehr verlangen können. In Bezug auf die Medien gilt jedoch nach wie vor: Es gibt viel einseitige, parteiische Berichterstattung.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel werden häufig einfach Opferzahlen genannt, ohne eine Erklärung der Ursachen zu geben.

Was ist der Grund dafür? Warum gelingt es Israel so selten, das richtigzustellen?
Das ist die spannende Frage. Darüber haben sich schon viele den Kopf zerbrochen. Es geht ja schon seit vielen Jahren so. Journalisten nach Israel zu bringen, um ihnen die Lage vor Ort näher zu bringen, hat zwar geholfen, aber nicht annähernd genug. Kurzum, es ist kompliziert. Man muss viel Zeit und Mühe investieren, die Geschichte dieses Teils der Welt und all die verschiedenen Ebenen zu verstehen. Einige Journalisten lassen sich von Aktivismus leiten, andere nehmen den Konflikt als eine Geschichte von David und Goliath wahr. Fälschlicherweise ist darin Israel in der Rolle des Goliath. Diejenigen, die wirklich den Aufwand betreiben, etwas über diesen Konflikt und seine Geschichte zu lernen, werden zwar nicht unbedingt zu Zionisten - das müssen sie auch nicht. Aber sie werden die Thematik besser verstehen und ausgewogener und fairer berichten.

Das Interview mit dem internationalen Vorsitzenden der israelischen Hilfsorganisation Keren Hayesod führte Michael Thaidigsmann.

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