Die Lage an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon scheint zusehends gefährlicher zu werden. Am Donnerstag forderte die US-Botschaft in Beirut Amerikaner auf, Reisen in den Libanon »noch einmal gründlich zu überdenken«, nachdem bereits die Länder Deutschland, Holland und Kanada ihre Staatsangehörigen aufgerufen hatten, den Libanon so schnell es geht zu verlassen.
»US-Bürger im Libanon sollten nicht in den Südlibanon, das libanesisch-syrische Grenzgebiet oder Flüchtlingssiedlungen reisen«, hieß es in der Erklärung der Botschaft weiter. »Die Sicherheitslage bleibt komplex und kann sich schnell ändern.«
Bereits am 8. Oktober, unmittelbar nach dem Angriff der Hamas auf den Süden Israels, griff die Hisbollah israelische Militäreinrichtungen im Norden an, später auch zivile Ziele. Seitdem liefert sich die Terrororganisation im Südlibanon fast ohne Unterlass Gefechte mit Israel. Anfangs waren es begrenzte Scharmützel, doch die Kämpfe eskalierten zunehmend. Daraus könnte sich, das sagen beide Seiten, ein Krieg eintwickeln, den eigentlich niemand will. Nicht Israel, nicht der Libanon und nicht einmal die Hisbollah oder der Iran, als dessen Proxy die Schiitenmiliz fungiert.
Resolution 1701 forderte die Entwaffnung der Hisbollah
Die Resolution 1701, die nach dem Ende des Krieges zwischen Israel und dem Libanon 2006 vom UN-Sicherheitsrat erlassen wurde, verlangt die Entwaffnung der Gruppe und zudem eine Zone ohne weitere bewaffnete Kräfte neben der libanesischen Armee im Südlibanon, was bedeutete, dass sie sich hinter den Litani-Fluss zurückziehen musste. Doch stattdessen stellte sich die Hisbollah in den vergangenen Jahren immer weiter in Richtung Grenze mit Israel militärisch auf - und von Entwaffnung kann in keinster Weise die Rede sein.
Gleichwohl ist diese Resolution noch immer der wichtigste Anker für Dialog, weil die libanesische Regierung in Beirut sie unterstützt. Ihre Umsetzung wäre auch eine Antwort auf die israelische Forderung nach dem erneuten Rückzug der Hisbollah über den Litani hinaus. Libanons Außenminister Abdullah Bouhabib trifft sich diese Woche in Brüssel mit Vertretern der Europäischen Union, um zu besprechen, wie eine Ausweitung der Kämpfe zu einem offenen Krieg verhindert werden kann, der besonders für den Libanon verheerende Folgen haben könnte.
»Wir wollen keinen Krieg, aber wir bereiten uns auf jedes Szenario vor.«
israelischer verteidigungsminister yoav gallant
Doch auch für Israel könne eine Auseinandersetzung mit der Terrororganisation noch nie dagewesene Schäden und hohe Opferzahlen mit sich bringen. Mit Geldern aus dem Iran häufte die Hisbollah in den vergangenen Jahren Massen von Präzisionsraketen an. Immer wieder brüstete sie sich, »jedes Ziel in Israel treffen zu können«.
Gallant: Könnten Libanon »in die Steinzeit zurückversetzen«
Während seines Besuchs in Washington in den vergangenen Tagen hatte der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant (Likud) gesagt, dass Israel in der Lage sei, dem Libanon in einem möglichen Konflikt mit der Hisbollah schweren Schaden zuzufügen, und warnte, dass man das Land »in die Steinzeit zurückversetzen« könne.
Gallant hob hervor, dass Israel die militärische Präsenz der schiitischen Terrororganisation entlang der Grenze nicht hinnehmen könne. In Gesprächen mit Vertretern der US-Regierung sagte er, sich mit der »Sicherheitslage im Norden« zu befassen, sei dringlich.
Der Verteidigungsminister machte jedoch auch klar, dass seine Regierung einer diplomatischen Lösung den Vorzug gebe. Es werde derzeit mit Hilfe des Weißen Hauses noch versucht, einen Krieg durch Verhandlungen zu verhindern, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete. »Wir wollen keinen Krieg, aber wir bereiten uns auf jedes Szenario vor«, resümierte Gallant vor Journalisten.
Zivilbevölkerung in Israel bereitet sich vor
Währenddessen bereitet sich auch die Zivilbevölkerung vor: Viele Israelis decken sich mit Wasser und lang haltbaren Lebensmitteln ein, um im Falle eines Krieges im Norden versorgt zu sein.
Der Direktor des Medizinzentrums in Galiläa, Masad Barhoum, teilte dem Krankenhauspersonal am Donnerstag mit, dass es sich auf eine Eskalation der Feindseligkeiten zwischen Israel und der Hisbollah einstellen müsse. »Das von uns geforderte Maß an Vorbereitung ist seit fast neun Monaten hoch, aber jetzt sieht es so aus, als ob noch mehr von uns verlangt wird«, schrieb er an seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Norden.
Dazu gehöre unter anderem, dass nicht mehr als ein Drittel jeder Einheit gleichzeitig in Urlaub gehen dürfe. Außerdem bereite sich das Hospital darauf vor, mehrere Tage lang »abseits vom Netz« zu arbeiten, was heißt, dass man auf Notstromaggregate angewiesen sein könnte.