Jerusalem

Es stinkt zum Himmel

In der Wiege der drei Weltreligionen stinkt es zum Himmel. Der Anblick des malerischen Kidrontales, über dem sich die Stadt Jerusalem erstreckt, und in dessen Mitte die Kuppel des Felsendoms in der Sonne schimmert, ist atemberaubend schön. Und raubt gleichzeitig den Atem.

Denn seit fünf Jahrzehnten fließt ein Drittel aller städtischen Abwässer in diese Umgebung – völlig ungeklärt und ungefiltert. Eine Gemeinschaftsinitiative von Israelis und Palästinensern will dem jetzt einen Riegel vorschieben.

Kidron Das Team der »Kidrontal-Wadi-Nar-Initiative« besteht aus 15 Experten, die sich zusammengetan haben, um das Tal von den Abwässern zu befreien. Sie erarbeiteten einen Masterplan nicht nur für Klärung und Aufbereitung des Wassers, sondern auch für eine Belebung des Tourismus und verschiedene Bildungsmaßnahmen im Bereich Umwelt.
Die Arbeiten sollen binnen eines Jahres beginnen.

Das Team der »Kidrontal-Wadi-Nar-Initiative« besteht aus 15 Experten, die das Tal von den Abwässern befreien wollen.

Geleitet wird das Team von Richard Laster, Professor für Umweltrecht an der Hebräischen Universität, Mohammad Nakhal, Städteplaner aus Ostjerusalem, und dem Archäologen Avner Goren.

Kosten Nakhal arbeitet besonders an der Verbindung zu den Palästinensern. »Zuerst haben sie ihre Teilnahme verweigert, doch mittlerweile sind sie mit im Boot. Es bewegt sich endlich etwas«, freut sich Laster. Der Plan ist nach einigen Schwierigkeiten auch von der Regierung angenommen worden.

Die Arbeiten sollen binnen eines Jahres beginnen und insgesamt fünf Jahre dauern. Die Kosten werden auf rund 600 Millionen Schekel (umgerechnet etwa 154 Millionen Euro) geschätzt. Das aufbereitete Wasser soll hauptsächlich für die Dattelplantagen in Jericho und im Jordantal benutzt werden. Die beste Art, mit Wasser in einem Strom umzugehen, sei es, das Flussbecken zu überwachen. »Denn hier passiert alles«, sagt Laster. Die Situation müsse von oben nach unten kontrolliert werden, »sonst wird das nichts«. Als Flussbecken wird das Landstück bezeichnet, in dem sich alle oberflächlich verlaufenden Gewässer vereinen. Oberhalb des Kidronbeckens liegt die Stadt Jerusalem. Golden und majestätisch – und ebenso dreckig wie stinkend.

Europa Die Idee, das Kidrontal zu säubern, hat Laster bereits seit vielen Jahren. Doch die Hürden schienen kaum überwindbar. Er erläutert, dass im Jahr 2000 eine Direktive in Europa herausgegeben wurde, nach der alle Flüsse und Ströme überwacht werden. Auch dabei kommt die Flussbecken-Methode zum Einsatz. »Sogar die Donau wird auf diese Weise überwacht, und das ist ein riesengroßer Fluss, der durch zehn Länder fließt.« Das brauche natürlich Kooperation. »Genau daran aber mangelt es in Israel.«

Die Stadt produziert 20.000 bis 30.000 Kubikmeter Abwasser täglich.

Trotzdem oder gerade deshalb habe er sich den schwierigsten Strom ausgesucht: den Kidron. »Er durchläuft auf 28 Kilometern Länge fünf verschiedene Verwaltungen und Gerichtsbarkeiten, die palästinensischen Gebiete A, B und C sowie West- und Ost-Jerusalem. Niemand weiß allerdings, wo genau diese Grenzen verlaufen.« Der Kidron ist heute ein ausgetrocknetes Flussbett.

Nur die Abwässer der Fast-Millionenstadt rauschen hier noch. Die Hauptstadt produziert 20.000 bis 30.000 Kubikmeter Abwasser täglich. Das sind rund 10.000 für den Kidron. Jeden einzelnen Tag. Seit 50 Jahren. Die stinkende Brühe fließt anschließend weiter durch arabische Dörfer bis ins Tote Meer. Laster schüttelt den Kopf: »Politiker mögen es oft nicht, Entscheidungen zu treffen. Doch dann werden die Entscheidungen von selbst gemacht. Tatsache ist, dass die Jerusalemer, ob jüdisch, christlich oder muslimisch, jeden Tag auf die Toilette gehen. Das Ergebnis ist dieses Desaster hier.«

Stadtverwaltung Goren erklärt: »Die gesamte Gegend führt kein Nass mehr, der einzige Zufluss sind die Abwässer ins Tal, die einen höllischen Gestank hinterlassen. Verantwortlich seien Stadtverwaltung und Regierung, die seit fünf Jahrzehnten nichts an der Situation geändert haben. »Israel, die Nummer eins der Welt in Sachen Abwas­serklärung, sollte sich schämen, so mit seiner Hauptstadt umzugehen.«

NGO Bei der Vermittlung zwischen beiden Seiten hätte vor allem die Non-Profit-Organisation »Engineers Without Borders« geholfen. Goren selbst ist Mitbegründer. »Als wir mit der Initiative begonnen haben, war es sehr schwierig, die gewöhnlichen diplomatischen Kanäle zu benutzen. Diese Gruppe aber kümmert sich nicht nur um technische Unterstützung, sondern arbeitet mit den Gemeinden Hand in Hand, indem sie gute Beziehungen aufbaut.«

»In Jerusalem nennt man diese Gegend nur ›Tal der Hölle‹.« Mohammad Nakhal

Gestank Es heißt, dass es an diesem Ort sein wird, wo die Menschen beim Jüngsten Gericht in Gut und Böse aufgeteilt und gen Himmel oder Hölle geschickt werden. »In Jerusalem aber nennt man diese Gegend nur ›Tal der Hölle‹. Denn bei dem Gestank kann man sich schon vorstellen, wie es dort sein wird«, frotzelt Nakhal.

Die Abwässer würden von allen Seiten fließen – aus West und Ost, von jüdischer und arabischer Seite sowie aus allen drei heiligen Orten: von der Grabeskirche, der Al-Aksa-Moschee und den Einrichtungen an der Kotel.

»Es ist Gift für die Erde, die Natur und die Menschen«, echauffiert sich der Städteplaner. Und noch immer seien die Politiker wenig an einer Lösung interessiert. »Doch jetzt wollen die Menschen endlich etwas tun – gemeinsam.« Er sei sehr stolz, Teil der Initiative zu sein und mitzuarbeiten, die Stadt für alle zu einer besseren zu machen. »Endlich haben sich die Gemeinden auf einen Frieden geeinigt – zumindest einen ökologischen.«

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