Regierung

Es gibt viel zu tun

Der neue Premier Naftali Bennett (M.) in der ersten Kabinettssitzung am 20. Juni Foto: POOL

In Jerusalem krempelt man die Ärmel hoch. Die 36. Regierung Israels steht vor großen Herausforderungen: vom Fehlen eines Staatshaushaltes über die Bedrohungen aus dem Iran und Gaza bis zum aktuellen Anstieg der Neuinfektionen mit dem Coronavirus. In vielen Bereichen gehen die Meinungen der acht Koalitionspartner weit auseinander, und doch wolle man konstruktiv an die Arbeit gehen, versicherte der neue Ministerpräsident Naftali Bennett von der Rechtspartei Jamina. Bereits in den ersten Tagen wurden mehrere wegweisende Entscheidungen getroffen.

Nach Berichten in israelischen Medien, darunter der Tageszeitung »Haaretz« und Fernsehkanal 12, seien nur Stunden vor Bennetts Amtsübernahme im Büro des Premierministers offizielle Dokumente zerstört worden. Angeblich hätten engste Verbündete des damaligen Regierungschefs Benjamin Netanjahu auf dessen direkte Anordnung Papiere geschreddert. Netanjahus Partei Likud wies dies vehement zurück und bezeichnete die Vorwürfe als »absurd«. Alle Dokumente seien digital gesichert. Derweil wurde eine vorläufige Untersuchung unter der Beteiligung von Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit eingeleitet.

Staatshaushalt und Gesundheitswesen sind die großen Herausforderungen.

Außenminister Yair Lapid (Jesch Atid) sprach von »unglaublicher Zerstörung und Vernachlässigung«, die die neue Regierung in den Ministerien vorfand, nachdem sie am 13. Juni die Ämter übernahm. Nach zwölf Jahren war an diesem Tag der Block aus religiösen und rechten Parteien unter Netanjahus Leitung von einer breiten Koalition aus linken, Mitte- und rechten Parteien sowie einer arabischen Fraktion abgelöst worden.

GEDULD »Wir haben viel Arbeit vor uns«, sagte Lapid bei der Eröffnung seiner Fraktionssitzung. »Wir fangen nicht bei null an, sondern unter null.« Statt sich um das Land zu kümmern, habe sich die vorherige Regierung nur um sich selbst geschert. Staatliche Einrichtungen, darunter Polizei und Gesundheitsinfrastruktur, bedürften einer Wiederbelebung. Er rufe daher die Bevölkerung dazu auf, geduldig zu sein. »Wir werden bessere Staatssysteme aufbauen, aber dies wird nicht in einem Tag und auch nicht in einem Monat geschehen. Es ist ein Prozess, den wir transparent und ohne parteipolitische Erwägungen durchführen werden.« Er sei bereit, mit der Opposition zusammenzuarbeiten.

In seinem Ressort schaffte Lapid schon nach wenigen Tagen Fakten. »Israel braucht die besten Leute, um für seinen guten Namen in der Welt zu kämpfen«, sagte er und brachte 36 diplomatische Posten in der ganzen Welt zur Bestätigung vor das Kabinett. Die Positionen waren bereits vor Monaten benannt worden. Es gehören Schlüsselpositionen dazu, darunter Haim Regev als Chef der Vertretung in der EU, Daniel Zohar-Zonshine als Botschafter in Brasilien und Eitan Surkis als oberster Diplomat beim Nachbarn Jordanien.

Anfang des Monats war eine Petition beim Obersten Gericht eingereicht worden, die fordert, dass der ehemalige Ministerpräsident erklärt, warum er die Stellen mehr als ein halbes Jahr lang nicht mit Personal ausstattete. Ein Drittel der diplomatischen Vertretungen war lange Zeit unterbesetzt.

Lapid selbst hat nach Angaben von israelischen Medien offenbar vor, seinen Amtsantrittsbesuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu absolvieren. Es wäre der erste Besuch eines israelischen Ministers nach dem Abschluss der Abraham-Abkommen mit den Golfstaaten VAE und Bahrain. Das Ministerium bestätigte dies noch nicht.

Sicherheit Auch beschloss die Regierung, eine Kommission einzurichten, die das Unglück untersuchen soll, das sich an Lag Baomer auf dem Berg Meron ereignet hatte. Dabei waren 45 Menschen ums Leben gekommen, alle ultraorthodoxe Juden. Es sollen vor allem die Entscheidungsprozesse betrachtet werden. Bennett unterstrich, dass es die Aufgabe der Regierung sei, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. »Und diese Aufgabe werden wir erfüllen.«

Die Opposition wirft der neuen Regierung derweil vor, nicht genug gegen die Corona-Pandemie zu tun. Moshe Gafni von der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Tora-Judentum wetterte, der neue Premierminister sei ein »Nichtsnutz«: Nur fünf Tage im Amt, und schon würden die Neuinfektionen ansteigen.

Die Positivrate bei den Corona-Tests war in den vergangenen Tagen von 0,1 auf 0,6 Prozent geschnellt, die Delta-Variante des Virus ist in Israel angekommen. Einer der ersten Tagesordnungspunkte des Premiers war die Pandemie. Das Kabinett beschloss striktere Maßnahmen am Ben-Gurion-Flughafen. »Auch Israel«, so Bennett, »ist durch diese Variante bedroht.« Vor allem Reisende, die aus Risikogebieten im Ausland zurückkehren, würden sich oft nicht strikt an die Quarantäneregeln halten.

FINANZEN Eine der schwierigsten Aufgaben dürfte der neue Finanzminister Avigdor Lieberman (Israel Beiteinu) haben. Er muss einen neuen Staatshaushalt auf den Weg bringen. Den letzten hatte es im Dezember 2018 gegeben. Die vergangene Regierung unter Netanjahu und Benny Gantz (Blau-Weiß) als Vize-Premier hatte sich nicht auf ein neues Budget einigen können. Lapid und Bennett haben in ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben, dass die Regierung aufgelöst wird, sollte nicht binnen 100 Tagen ein Haushalt verabschiedet werden.

Die Ratingagentur Moody’s Investor Service erklärte am Montag, ein Haushalt würde zeigen, ob die neue Regierung in der Lage ist, nach der Krise effektive Finanzstrategien zu formulieren und auch umzusetzen. Sie geht davon aus, dass ein Konsens wegen der unterschiedlichen Ideologien innerhalb der Koalition nur schwer zu erreichen sei. Allerdings gebe es eine breite Übereinstimmung der Mainstream-Parteien in Sachen Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Moody’s geht daher davon aus, dass man sich in Jerusalem zunächst auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt konzentriert, um sich von dem Schock zu erholen, der durch die Pandemie ausgelöst worden war. Lieberman machte bereits klar, dass die Regierung einen »verantwortlichen Staatshaushalt verabschieden« und es keine Steuererhöhungen geben werde.

Durch das Fehlen eines Staatsbudgets besonders hart getroffen wurde der Gesundheitsbereich. Der neue Minister in diesem Ressort, Nitzan Horowitz, sagte dazu: »In den vergangenen ein, zwei Jahren hat die Regierung auf einem sehr niedrigen Niveau gearbeitet, es gab massive Vernachlässigungen. Wichtige Angelegenheiten sind lange nicht bearbeitet worden.« Dann jedoch gab sich der neue Minister optimistisch: »Die neue Regierung ist vereidigt, die Sonne geht auf und unter – und das Leben geht weiter.«

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