Feiertag

Erntedank bei Sommerhitze

indestens einmal im Jahr macht Israel seinem Ruf, das Land von Milch und Honig zu sein, ganz sicher alle Ehre: an Schawuot. Wochen bevor das jüdische Erntefest beginnt, plakatieren schwindelfreie Menschen Brückengeländer und meterhohe Wände mit Werbung für Käse, Quark und allem, was sich sonst noch aus Milch machen lässt.

Doch obwohl es einen hohen Stellenwert hat, dreht sich nicht alles um Essen und Trinken an diesem Feiertag, der an die Übergabe der Tora an das jüdische Volk erinnert und gleichzeitig ein Erntefest ist. Das hebräische Wort Schawuot bedeutet »Wochen« und weist darauf hin, dass dieses Fest sieben Wochen nach Pessach gefeiert wird.

Ganz in Weiß gekleidet, mit Blumen im Haar und Körbchen voller Obst in den Händen feiern die Kindergarten- und Grundschulkinder in Israel Schawuot. Für viele landwirtschaftliche Gemeinschaften, vor allem die Moschawim und Kibbuzim, ist es der jährliche Höhepunkt des Gemeindelebens. Ob in Ein Schemer, Gwat, Givat Brenner oder Dan – obwohl auch hier der Kapitalismus längst die sozialistischen Strukturen abgelöst hat – zelebriert der Kibbuz an diesem Tag die Nostalgie.

Sämtliche Traktoren, Mähdrescher und Erntefahrzeuge werden aus den Garagen geholt, geschrubbt und gewienert und tuckern dann zur Schawuot-Parade über den Rasen. Hunderttausende von Menschen aus dem ganzen Land sitzen am Rand und beklatschen begeistert das Spektakel. Die Kinder dürfen eine Runde Trecker fahren, bestaunen die schwarz-weißen Milchkühe und füttern Kälbchen mit der Flasche. Die Erwachsenen laben sich derweil an den ersten Früchten der Frühlingsernte, den Bikkurim.

Gemeinschaft »Es ist ein besonderes Fest von vier Generationen in den Kibbuzim und Moschawim«, so Giora Saltz, der Leiter des Regionalrates Obergaliläa. Die Gemeinden würden nicht nur stolz ihre Fahrzeuge vorführen, sondern vor allem zwei Dinge zeigen: »Zum einen drücken sie durch die einzelnen Produkte, ob landwirtschaftlich oder industriell, die von den Mitgliedern des Kibbuz geerntet und hergestellt wurden, ihre Gemeinschaft aus, zum anderen präsentieren sie die gesamte Wirtschaft auf einen Blick.«

Oft sind die Kibbuzim mit den sieben Arten geschmückt, die charakteristisch für den Feiertag stehen: Weizen, Gerste, Trauben, Feigen, Granatäpfel, Oliven und Datteln. Diese wurden in antiker Zeit als Opfergaben in den Tempel von Jerusalem gebracht. Auch heute noch pilgern Vertreter der Landwirtschaftsverbände in die Hauptstadt. Allerdings überreichen sie ihre Produkte keinem Priester im Gewand, sondern dem Staatspräsidenten, der zu Schawuot seine Residenz öffnet und Gäste einlädt.

Generell spüren die Israelis zu Schawuot, dass, zumindest den Temperaturen nach, der Frühling fast vorbei und der Sommer angekommen ist. Abkühlung suchen viele am Strand, bei Ausflügen in einen der vielen Naturparks mit Wasserfällen oder Naturpools. Oder aber auf öffentlichen Plätzen im Zentrum, bewaffnet bis an die Zähne mit Wasserpistolen, -ballons, sonstigen Spritzgeräten und ganzen Eimern, von denen sie ohne zu zögern Gebrauch machen. Die jährlich wiederkehrenden Wasserschlachten werden immer beliebter. In Jerusalem, Haifa, Tel Aviv und anderen Städten nehmen oft Tausende an dem nassen Spaß teil.

Im Käseladen »Dafka Gourmet« mitten auf dem Tel Aviver Carmelmarkt preisen die Verkäufer dieser Tage ihre Waren noch lauter an als sonst. Dabei müssten sie das eigentlich gar nicht. Denn die Menschen reißen ihnen Käse, Joghurt und Sahnepäckchen förmlich aus den Händen. Alle brauchen Zutaten für ihre besten Schawuot-Rezepte, die bereits Wochen vorher in Zeitungen und Zeitschriften auftauchen und in den sozialen Netzwerken im Internet fleißig getauscht werden.

Die Vereinigung israelischer Milchprodukte-Hersteller brüstet sich damit, mehr als 1000 lokale Produkte anzubieten und in Israel die weltweit größte Auswahl an Frischkäsesorten bereitzustellen.

Lesenächte Chantal Maor hat im Dafka Gourmet ihren halben Einkaufswagen vollgepackt. »Ich liebe Schawuot und lade die ganze Familie ein.« Maor lebt in Rischon LeZion, und ihre Familie besteht aus mehr als 50 Mitgliedern, merkt sie lachend an. »Da muss ich jede Menge Blintzes machen.«

Verkäufer Joni fügt hinzu: »Wir haben die besten Sachen aus den feinsten Zutaten. Die ganzen Chefköche der Stadt kommen bei uns einkaufen.« Jonathan Roschfeld etwa, einer der Juroren der Sendung Masterchef und Inhaber mehrerer Top-Restaurants, nehme immer einen bestimmten Käse für seine berühmten Memulaim, das gefüllte Gemüse, lässt Joni wissen und zeigt auf eine Käsedose mit der Aufschrift: »Gazi – Made in Germany«.

Für andere Menschen steht die Tora im Mittelpunkt dieses Tages – oder besser gesagt der Nacht. Denn die Legende besagt, dass das jüdische Volk die Übergabe des Heiligen Buches nicht sehnsüchtig erwartend verbrachte, sondern sogar den Morgen verschlief. Also gibt es die Tikkun Leil Schawuot, eine Tradition, die durch das nächtelange Lernen den Frevel wiedergutmachen soll. Hunderttausende strömen dafür zum Beginn des Feiertags am Abend in Weiß in die Synagogen überall im Land, um über Religion und Tradition zu lernen.

Zavta-Club Die ultraorthodoxen Gemeinden halten sich strikt daran, die Tora zu lesen, doch viele pluralistische Vereinigungen veranstalten Lesungen, Vorträge und Diskussionsrunden. Der Zavta-Club etwa organisiert jährlich Lesenächte, in denen bewusst orthodoxe, konservative und liberale Gläubige zusammengebracht werden.

Der Jerusalemer Schaul Nathan bezeichnet sich als traditionellen Juden, der die Kaschrut, die jüdischen Feste sowie den Schabbat einhält »und natürlich an Schawuot die Nacht zum Tage macht«.

Er freut sich schon seit Wochen darauf, weil er an diesem Abend seine Freunde und Bekannten in der Synagoge einmal nicht nur auf ein »Hallo« und »Auf Wiedersehen« trifft, sondern stundenlang mit ihnen über »das wichtigste Buch der Welt« diskutieren kann. Das Wachbleiben sei zwar nicht ganz einfach, nach einigen Stunden fielen manchen die Augen zu, »doch meine Frau backt den besten Käsekuchen der Welt – schon allein dafür lohnt es sich, nicht schlafen zu gehen«.

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